Plötzlich wurde in einiger Entfernung vor uns im Blattwerk für einen Augenblick das fahlgelbe Fell eines Raubtieres sichtbar, um gleich darauf wieder zu verschwinden. Der Räuber war den letzten Affen der Horde auf den Fersen. Er mußte gerade ein Tier gerissen haben, denn in der Luft zitterte ein Schrei, der einem das Blut in den Adern erstarren ließ. Dann hörten wir nur noch ein Röcheln, das immer schwächer wurde. So schnell es unsere Kräfte ermöglichten, drangen wir durch das dichte Unterholz vor. „Das ist ein Puma!” flüsterte mir Pedro, den wir eingeholt hatten, zu.
Bald erkannten wir, daß schon andere Jäger am Schauplatz eingetroffen waren und mit ihren Geschossen den Räuber zum Rückzug zwangen. Der Puma kam nicht auf die Erde herunter, er bewegte sich genauso gewandt in den Bäumen wie die Affen. Plötzlich konnten wir ihn sehen. Als ich die große gelbe Katze über uns gewahrte, war mein erster Gedanke Bewunderung. Es schien mir geradezu erstaunlich, daß ein so schweres Tier — es war nicht viel kleiner als ein Jaguar — derart elastisch und schnell dahinglitt. Mit gewaltigen Sprüngen und mit der unwahrscheinlichen Leichtigkeit einer schwebenden Ballettänzerin suchte es sich seinen Weg.
Ich spannte den Hahn der Büchse. Uns drohte jedoch keine Gefahr, denn der Puma zeigte nicht die geringste Lust, uns anzugreifen. In seinem Rücken steckten zwei Pfeile. Obwohl sie nicht tödlich waren, ließen sie ihm doch die Gefahr bewußt werden, die ihm von den zweibeinigen Gegnern drohte.
Ich wollte nicht schießen, um nicht unnötigen Lärm zu verursachen. Lasana aber, die neben mir stand, schoß einen Pfeil ab. Sie traf den Räuber. Da er gerade schnell einen Ast entlanglief, bohrte sich ihm das Geschoß in den Bauch. Die Katze ließ nur ein zorniges Knurren hören. Vielleicht siebzig Schritt weiter stand ein hoher, alter Baum mit weitausladender Krone. Der Puma klomm den Stamm empor und verkroch sich in das dichte Blättergewirr des Wipfels. Er hoffte vergeblich, daß ihn die Verfolger dort nicht finden würden.
Ohne sich lange zu besinnen, erstiegen mehrere Jäger die umliegenden Bäume und überschütteten von hier aus das Raubtier mit einem Hagel von Pfeilen. Trotz aller Katzenzähigkeit brachte der Puma nicht mehr die Kraft zur weiteren Flucht auf. Sein Körper war mit Pfeilen gespickt. Allmählich wurde er schwächer und stürzte schließlich auf den Waldboden herunter, wo er kurz darauf unter Keulenschlägen sein räuberisches Leben aushauchte.
Der Tod des Pumas erfüllte die Indianer mit wilder Freude. Siegestrunken hüpften und tanzten sie wie übermütige Kinder, schwatzten ungereimtes Zeug und überhäuften das verendete Tier mit Verwünschungen. Arasybo kam herbei und beteiligte sich an dem eigenartigen Tanz. Bald darauf ließ er aber die allgemeine Beschwörung abbrechen und das erlegte Tier zum Lagerplatz schaffen.
„Du darfst dich nicht wundern”, erklärte er mir, „daß die Krieger so ausgelassen sind. Sie wissen jetzt genau, daß wir die Akawois besiegen werden.”
„Der Puma hat ihnen diese Gewißheit gegeben?” fragte ich. „Natürlich! Dieses Raubtier, der Uosabia, ist unser Feind, und wir haben ihn zur Strecke gebracht. Der Feind liegt am Boden. Wir werden ihn jetzt aufessen.”
Abgesehen von der magischen Kraft, die von dem erlegten Puma ausging, brachte er uns auch einen spürbaren irdischen Genuß. Die Indianer lobten das Fleisch des Pumas als einen besonderen Leckerbissen, und ich konnte mich bald darauf selbst überzeugen, daß diese Behauptung kein leeres Gerede war.
Die Jäger hatten acht Affen erlegt, darunter leider auch drei Weibchen, an deren Fell sich ängstlich je ein Junges festkrallte. Die jungen Äffchen waren beim Fall nicht verletzt worden, und die Männer wollten sie nun töten, um sie zu verzehren wie die Mütter. Lasana hinderte sie aber daran. Vom Mitleid übermannt, entriß sie die Tiere den groben Händen der Krieger und trug sie ins Boot.
Bald darauf verzehrten wir unser reichliches und schmackhaftes Abendessen. Obgleich es noch hell war, ordnete ich allgemeine Ruhe an, doch waren wir alle so angeregt, daß keiner Lust zum Schlafen verspürte. Am morgigen Tag, vielleicht sogar noch in dieser Nacht, erwartete uns eine schwere Auseinandersetzung mit einem unerbittlichen Feind, und doch waren die Krieger guter Stimmung und von kämpferischem Geist erfüllt. Die geheimen Mächte, davon hatten sich die Indianer überzeugt, waren uns günstig gesinnt. Das verlieh unseren Männern außerordentlichen Mut. Sie brannten darauf, zu kämpfen und zu siegen.
Die Versicherungen der Warraulen, daß wir viel Zeit hätten und vier, fünf Stunden rasten könnten, vermochten mich nicht recht überzeugen. Über den Guapo waren es, grob gerechnet, immer noch dreißig Meilen bis Kaiiwa. Sollte sich uns unterwegs ein unvorhergesehenes Hindernis in den Weg stellen, so könnten wir einige Stunden verlieren und unsere Hilfe käme sicher zu spät. Die Akawois, die den Hauptarm des Orinoko hinunterfuhren, hatten zwar den längeren Weg und mußten mehrere Stunden gegen die starke Flut ankämpfen, doch wenn sie sich entschlossen, keine Ruhepause einzulegen, so konnten sie Kaiiwa mit Sicherheit noch vor Tagesanbruch erreichen.
Während ich am Feuer saß und mir diese Überlegungen durch den Kopf gehen ließ, kamen mir immer stärkere Zweifel. Mit blutigrotem Schein verschwand die Sonne hinter dem Horizont, dunkle Schatten breiteten sich über den Urwald und senkten sich auf das Wasser hernieder. Gleichzeitig legte sich eine eigenartige Melancholie auf meine Seele. Die Tatenlosigkeit wurde mir schließlich so unerträglich, daß ich den in der Nähe ruhenden Freunden meine Bedenken mitteilte. Außerdem ließ ich den Warraulen Kuranaj herbeirufen.
„Wann müssen wir nach deiner Meinung aufbrechen?” fragte ich ihn.
„Wie soll ich das wissen? Vielleicht in zwei, drei Stunden. Dann geht der Mond auf, und wir haben gute Sicht.”
„Der Himmel ist klar. Kann man nicht auch beim Schein der Sterne rudern?”
„Natürlich kann man das, doch ist es nicht notwendig, denn wir haben genug Zeit, und bei Mondlicht fährt es sich besser.” „Und wenn uns etwas aufhält?”
„Was sollte uns aufhalten?” Sein Gesicht drückte Verwunderung und Mißtrauen aus.
„Zum Beispiel ein Baum, der auf dem Fluß treibt. Du selbst hast uns gesagt, daß der Guapo stellenweise recht schmal ist. Mehrere Bäume könnten eine Barriere bilden und uns zwingen, die Boote um das Hindernis herumzutragen, wodurch wir Zeit verlieren würden. Was meinst du?”
Kuranaj wurde verlegen und kratzte sich den Kopf. Schließlich murmelte er: „Daran habe ich nicht gedacht.”
Arnak erhob sich und rief aus: „Brechen wir auf, Jan! Wir haben uns satt gegessen und neue Kräfte gesammelt. Genug gefaulenzt!”
Bereits zehn Minuten später fuhren unsere Boote in einer Reihe hinter der Itauba der Warraulen her. Wir durchquerten die Bucht und erreichten den eigentlichen Guapo. Die dichten Wände des Urwalds rückten bis auf hundert Schritt zusammen, und es wurde Nacht. Völlige Finsternis herrschte aber nicht, denn unzählige Sterne blinkten am Himmel und spiegelten sich im Fluß. Der Wind ließ allmählich nach, und aus dem warmen Wasser stiegen kräuselnde Dämpfe empor, die sich schnell verdichteten. Bald darauf umgab uns wallender Nebel, der nur auf Steinwurfweite die Sicht freigab. Wir waren gezwungen, langsamer zu fahren, doch trösteten wir uns damit, daß auch die Akawois nur mühsam vorwärts kämen.
„Und wenn auf dem Hauptstrom kein Nebel ist?” brummte der Neger Miguel.
Es war eine wahnwitzige Fahrt, ein quälendes Rennen. Wenige Meilen weiter strebte der Feind dem gleichen Ziel entgegen wie wir. Dieser peinigende Gedanke verließ uns keinen Augenblick. Mit ständig wachsender Ungeduld trieben wir die Boote voran. Wir waren uns bewußt, daß jede Verzögerung den sicheren Unter-gang unserer Freunde zur Folge haben und vielleicht auch unser Schicksal besiegeln konnte. Jeden schwimmenden Baumstamm, der unseren Weg kreuzte, empfanden wir als Drohung nahenden Unglücks, jedes Hindernis wurde uns zum Feind. Die Warraulen erwiesen sich als gute Führer, und doch war es nicht immer möglich, allen Hemmnissen glatt auszuweichen.