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„Dieses Trugbild von der englischen Obhut ist mir zu schön, Sir. Es ist nur schade, daß Sie nicht mehr an das denken, was ich Ihnen über das Schicksal des Volkes Pohattans in unserem Virginia und über den Tod des unglücklichen Opentschakanuk erzählt habe.”

„Diese Geschehnisse liegen weit hinter uns, sie gehören einer längst vergangenen Epoche an.”

„Das ist leeres Gerede!”

Ich wiederholte noch einmal alles, was ich ihm in Kumaka erklärt hatte, und fügte hinzu, ich würde meinen ganzen Einfluß aufbieten, um zu verhindern, daß sich Kolonisten einer europäischen Nation am unteren Orinoko ansiedelten.

Nur wenige der vierzehn Gefangenen waren völlig unverletzt, wie zum Beispiel Dabaro; die übrigen hatten mehr oder weniger ernste Verwundungen davongetragen, die aber alle heilbar waren. Oronapi erwähnte es, als er Kapitän Powell das Angebot machte, die Akawois als Sklaven zu kaufen.

„Ich soll die Akawois kaufen?” Powell starrte den Häuptling entgeistert an und schüttelte den Kopf. „Möge mich das Schicksal davor bewahren!”

„Ich verkaufe sie billig’, versuchte Oronapi den Kapitän zu locken.

„Und wenn du sie mir schenken würdest, Häuptling, eine solche Dummheit würde ich nie begehen.”

„Warum sollte es eine Dummheit sein?” Jetzt war es der Häuptling, der große Augen machte. Auch ich, obgleich ich mich an der Unterredung nicht beteiligte, war verwundert.

„Warum es eine Dummheit wäre?” antwortete der Kapitän. „Weil die Akawois im Süden zu Hause sind, und zwar in der Nähe unserer Faktoreien am Essequibo. Sie würden nur zu bald von meiner Tat erfahren, und sie sind grimmige Kämpfer, wie man ihresgleichen nicht bald wieder findet, und erbitterte Rächer ihrer Ehre. Ihr könnt mit ihnen tun, was ihr wollt, ihr dürft sie töten, mißhandeln, lebendig eingraben — das ist euer Kriegsrecht, denn sie haben euch überfallen und wurden besiegt. Wenn ich es aber wagen sollte, sie in die Sklaverei zu entführen, dann hätten wir Engländer in Guayana keinen ruhigen Tag mehr. Nein, Oronapi, schafft sie euch selbst vom Halse, ihr dürft es tun!”

Er machte eine abwehrende Handbewegung, zum Zeichen, daß er davon nicht mehr zu sprechen wünsche.

Oronapi war verlegen geworden. Mißmutig und ängstlich blickte er zu mir herüber, dann forschte er in den Zügen der Freunde, als suchte er bei ihnen den erlösenden Rat. Ihre Mienen waren jedoch genauso verschlossen wie die meine. Die Sache war äußerst unangenehm und kompliziert. Zwei Möglichkeiten waren völlig ausgeschlossen: Die Gefangenen durften nicht kaltblütig umgebracht werden, dagegen wehrte sich mein inneres Empfinden; aber man konnte ihnen auch nicht einfach die Freiheit schenken, dagegen standen die Moralbegriffe und die Bräuche der Indianer. Da diese beiden Lösungen wegfielen, mußte ein dritter Ausweg gefunden werden, und das wollte uns nicht gelingen.

Weil die Angelegenheit so ernst war, rief Oronapi die Häuptlinge und die ältesten Krieger seines Stammes zu einer Beratung zusammen, an der auch die Arawaken und die Neger teilnahmen. Die vierzehn Gefangenen lagen an einer erhöhten Stelle unweit des Versammlungsplatzes. Ihr ständiger Anblick reizte die Männer und ließ die allgemeine Erbitterung gegen sie noch wachsen.

Mir wurde zuerst das Wort erteilt. Vorsichtig brachte ich die Rolle, die ich bei der Vernichtung der feindlichen Expedition gespielt hatte, in Erinnerung, verwahrte mich gleichzeitig gegen die Überschätzung meiner Verdienste und sprach dann standhaft die eindringliche Bitte aus, die Gefangenen zu schonen, wofür ich zwei Gründe anführte. Erstens sei es mein unumstößlicher Grundsatz, Gefangene niemals zu töten, und zweitens werde sich die Großherzigkeit, den Gefangenen die Strafe zu erlassen, in Zukunft reichlich bezahlt machen, da sie uns im Süden Freunde schaffe.

Meine Worte rührten diesmal weder an den Verstand noch an die Herzen der Zuhörer. Vielleicht war ich zu übermüdet, vielleicht wirkte auch das mit Powell geführte Gespräch über den politischen Appetit der Engländer in mir nach. Wenn ich von den Indianern etwas forderte, das gegen ihre Ansichten war, so pflegten sie leidenschaftlich zu widersprechen. Dieser oder jener ließ alle möglichen Einwände vom Stapel, und mir fiel es dann zu, mit der Unterstützung Arnaks und Waguras die stürmischen Meinüngsströmüngen in ein für uns günstiges Bett zu leiten.

Heute aber war es völlig anders. Meine arawakisch gesprochene Rede, die Fujudi ins Warraulische übersetzte, wurde von den Indianern kühl, auffallend fügsam und ohne jeden Widerspruch hingenommen. Sie verschlossen sich mir, und das war ein schlechtes Zeichen für mich. Das Schweigen wurde schließlich unerträglich, es war geradezu beschimpfend; da räusperte sich endlich Jaki und erklärte mit aufrichtiger Stimme: „Weißer Jaguar, unser großer Freund! Du hast viele Worte gesprochen, um uns zu über-zeugen, aber du hast vergessen, daß ein Wort von dir, ein kurzer Befehl, genügt, und wir, deine ergebenen Freunde, werden ihn erfüllen, selbst wenn uns das Herz darüber brechen sollte. Warum hast du kein solches Wort gesprochen, warum redest du nur von Großherzigkeit und vom Erlassen der Strafe? Weißt du nicht, daß die Akawois einen derartigen Entschluß nach dem Recht der Wildnis als Furcht auslegen würden, daß sie uns verachten würden und nur darauf bedacht wären, so schnell wie möglich wieder-zukommen und uns zu vernichten? Es wäre unbesonnen, uns gegenüber diesen Mördern so dumm zu verhalten.”

Seine Worte überzeugten die Krieger, und das allgemeine Murmeln bestätigte, daß Jaki ihnen aus dem Herzen gesprochen hatte. Als wieder Ruhe eingetreten war, fragte ich, was die Krieger also mit den Gefangenen tun wollten. Keiner konnte mir antworten, bis auf Konauro, der folgenden Vorschlag machte: „Der Weiße Jaguar hat uns aufgefordert, den Gefangenen die Freiheit zu geben. Lassen wir sie also frei. Da sie aber eine Strafe verdient haben und damit ihnen die Lust vergeht, sich in Zukunft wieder an uns zu vergreifen, werden wir ihnen die rechte Hand abschlagen.”

Dieser Vorschlag gefiel den Indianern sehr. Abwartend blickten sie mich an. Leider wurden sie abermals enttäuscht, denn ich schüttelte energisch den Kopf und brachte auf diese Weise wortlos meinen Widerspruch zum Ausdruck.

„Das Abschlagen der rechten Hand ist keine so grausame Strafe”, setzte Konauro auseinander. „Ich erinnere mich, einmal einem englischen Matrosen begegnet zu sein, der mir von ähnlichen Bräuchen in seiner Heimat berichtet hat. Er versicherte mir, daß es in England bereits bei einem kleinen Diebstahl üblich sei, dem Missetäter die rechte Hand abzuschlagen. Vielleicht hat der Matrose gelogen.”

„Er hat nicht gelogen, es ist wirklich so”, gab ich zur Antwort. „Nur gibt es in England Ärzte, die den Armstummel sofort verbinden, so daß der Dieb nicht zugrunde geht. Wenn aber wir den Gefangenen die Hand abschlagen, so werden sie verbluten. Nein, diesen Vorschlag können wir nicht annehmen.”

In den Augen der Indianer erschien ich als widerspenstiger Starrkopf. Sie wurden ungeduldig, und ich fühlte, daß sich die Unruhe gegen mich richtete, daß ich langsam den Boden unter den Füßen verlor. Mit sorgenvollem Ausdruck sah Arnak zu mir herüber. Sollte ich den Bogen überspannt haben?

Plötzlich zwinkerte mir Arasybo verständnisvoll mit seinem schielenden Auge zu und verzog den Mund zu einem Lächeln, womit er die Häßlichkeit seines Gesichts, das in diesem Augenblick der abstoßenden Fratze eines bösen Dämons glich, noch unterstrich. Dann erhob er sich, damit ihn alle besser sehen und hören konnten.

„Eben habe ich die Stimmen großer Krieger vernommen, außerordentlicher Kämpfer”, begann er mit heuchlerischem Spott, „doch verstehen sie sich sichtlich besser darauf, einen Gegner niederzuringen als in ihrem Kopf einen vernünftigen Gedanken zu fassen. So viele Krieger sitzen hier beisammen und wissen nicht, was sie mit einem Häufchen verfangener Feinde beginnen sollen? Ich weiß, warum dem so ist! Ihr wollt selbst einen Aus-weg finden und erkennt nicht, daß dafür der menschliche Verstand zu schwach ist. So werde ich euch sagen, wo ihr ratlosen Männer die Antwort darauf suchen müßt, was ihr mit den Gefangenen beginnen sollt.”