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Der Haß in den Herzen der Warraulen war so stark, daß sie die Rettung des zweiten Akawois mit Verwünschungen begleiteten. „Was für ein wildes Volk’, sagte ich laut zu Arnak und Wagura. „Es achtet seine eigenen Worte nicht!”

Plötzlich bemerkte ich auf der anderen Seite der Enge eine Bewegung. Mehrere mit Spießen bewaffnete Warraulen näherten sich von hinten den beiden liegenden Akawois. Entschieden hegten sie böse Absichten. Als ich Oronapi darauf aufmerksam machte, schrie ihnen der Häuptling zu, sie sollten sofort zurückkehren. Daraufhin blieben sie stehen, setzten aber ihren Weg gleich wieder fort. Jetzt hatte der erste Dabaro erreicht und hob den Spieß, um zuzustoßen.

Ich griff zur Büchse und zielte. Zugleich mit dem Krachen des Schusses stieß der Warraule einen Schmerzensschrei aus, ließ seine Waffe fallen und hielt sich den rechten Unterarm. Genau dorthin hatte ich gezielt, die Kugel hatte richtig getroffen. Der getroffene Warraule rannte davon, und seine Gefährten folgten ihm.

Unter den Indianern, die mich umstanden, herrschte Grabesstille. Alle waren wie versteinert. Während ich die Büchse wieder lud, schrie ich Oronapi wütend an, um ihn gar nicht erst zur Besinnung kommen zu lassen: „Ein rohes Volk ist das! Ein verräterisches Volk!”

Doch der Oberhäuptling war ganz zahm. Er hatte gar nicht im Sinn, sich gegen mich aufzulehnen.

„Das war gut so, Weißer Jaguar”, bekannte er offen. „Den Schädel hätte man ihm zerschmettern sollen.”

Um mich zu besänftigen, schlug Oronapi vor, dem letzten Akawoi das Leben zu schenken und ihn nicht ins Wasser zu schicken. Alle Anwesenden, einschließlich Arasybo, waren sofort damit ein-verstanden. So blieben drei Gefangene vor dem Tode bewahrt.

Etwas später kam Kapitän Powell, der in der Nähe gestanden hatte, zu mir. Seine Augen flackerten vor Erregung.

„Ich habe den Vorfall mit Oronapi beobachtet”, sagte er und ergriff meine Hand. „Unglaublich, wie die Indianer Sie verehren! Sie haben sie völlig in der Hand, ich werde an der richtigen Stelle darüber Meldung erstatten. Wie herrlich haben Sie diese Szene gespielt, es war großartig, wie Sie den Erzürnten vorgetäuscht haben!”

„Ich habe überhaupt nichts vorgetäuscht, ich war wirklich zornig!”

Powell trat einen halben Schritt zurück, als könne er mich so besser betrachten.

„Sie haben nicht gespielt? Das war keine Täuschung?” „Nein.”

„Unglaublich, by Jove!” Seine Verwunderung steigerte sich noch.

Ich wurde langsam ungeduldig. Dann konnte ich nicht mehr an mich halten und stieß hervor: „Es erscheint Ihnen nur deshalb verwunderlich und unverständlich, weil Sie ausschließlich in Ihrer allzu engen Vorstellungswelt leben. Ich täusche die Indianer nicht, ich spiele ihnen nichts vor, und darin besteht der ganze Unterschied zwischen Ihnen und mir. Meine Freundschaft zu den Eingeborenen ist echt!”

„Goddam you, wer soll Sie verstehen?” brummte Powell vor sich hin und schien in Gedanken versunken.

Eine Stunde später trafen zahlreiche Gäste vom gegenüberliegenden nördlichen Ufer des Orinoko bei uns ein. Dort lebte ein volkreicher Zweig der Warraulen, die nicht der Herrschaft Oro-napis unterstanden. Fünfzehn mit Kriegern bemannte Itauben brachten uns Hilfe. Sie wurden von Abassi, dem Oberhäuptling des Stammes, angeführt, einem Menschen mit sehr energischem

Gesichtsausdruck und noch jung an Jahren. Auch diesen Warraulen hatten die Akawois böse mitgespielt. Ihnen gehörte jenes Dorf, das die Räuber überfallen hatten. Es waren ihre Männer, die wir auf dem Hauptarm des Flusses befreit hatten. Sie waren nicht nur gekommen, um Hilfe zu bringen, sondern äußerten die Bitte, ob sie nicht mit den Arawaken ein Bündnis schließen könnten, wie dies Oronapi getan hatte. Ob wir dazu bereit wären?

„Dazu sind wir bereit!” versicherte ich ihnen freundschaftlich.

In den Nachmittagsstunden wurde im Verlauf einer großen Beratung, an der alle anwesenden Häuptlinge und viele erprobte Krieger teilnahmen, ein Beschluß gefaßt, der für die Indianer am unteren Orinoko von unabsehbarer Tragweite war. Zwischen den Stämmen der nördlichen und der südlichen Warraulen sowie der Arawaken vom Itamaka wurde ein feierliches Verteidigungsbündnis geschlossen und mir der Oberbefehl in diesem Bündnis übertragen. Sechzig junge Warraulen sollten mit uns auf unbestimmte Zeit nach Kumaka fahren, um sich dort im Umgang mit Feuerwaffen zu üben und sich die allgemeinen Regeln der Kriegskunst anzueignen. Oronapi und Abassi verpflichteten sich, nicht nur die Nahrungsmittel für die sechzig Krieger zur Verfügung zu stellen, sondern darüber hinaus noch einmal soviel Lebensmittel, Matten und Itauben der Sippe des Weißen Jaguars aIs Entschädigung anzubieten.

Wir alle begrüßten das Zustandekommen des Bündnisses mit heller Begeisterung, auch Kapitän Powell zeigte sich darüber äußerst erfreut. Er hegte die feste Hoffnung, daß der gegen die Tyrannei der Spanier gerichtete Bund früher oder später dazu beitragen werden, den Engländern die Besitzergreifung des Orinokogebietes zu erleichtern. Und damit die Indianer bereits jetzt die Freigebigkeit der Engländer kennenlernten, schenkte der durchtriebene Powell dem eben gegründeten Bund zehn neue Büchsen sowie dreißig Pfund Pulver und einen Zentner Blei nebst den zum Gießen der Kugeln benötigten Geräten. Ich veranlaßte die Warraulen, dem Engländer nichts schuldig zu bleiben und ihm eine Anzahl Matten, von denen sie einen großen Vorrat besaßen, als Gegengeschenk anzubieten. Selbst erklärte ich dem Kapitän: „Meinen besten Dank für dieses schöne Geschenk. Bedenken Sie aber, daß ich meinen Standpunkt zur Zukunft dieser Indianer und dieses Landes niemals ändern werde. Es würde mir sehr leid tun, wenn die uns von einem Engländer geschenkten Büchsen einmal Engländer töten müßten, die sich ohne rechtlichen Grund am Orinoko festsetzen wollten.”

„Kommt Zeit, kommt Rat, und Sie werden Ihre Ansichten ändern.”

„Zeit kommt, aber meine Ansichten werde ich niemals ändern”, gab ich mit fester Stimme zur Antwort.

Als nach einer Stunde die Ebbe einsetzte und Kapitän Powell mit seiner Besatzung die letzten Vorbereitungen zur Abfahrt der Brigg traf, wandte ich mich an Pedro, der neben mir am Ufer stand: „Noch ist es Zeit, überlege es dir! Kapitän Powell kommt an Trinidad vorüber und wird dich gern in einem spanischen Hafen der Insel an Land setzen.”

„Willst du mich mit Gewalt loswerden, Jan?” rief der Jüngling vorwurfsvoll.

„Aber nein! Nur mußt du dich jetzt entscheiden, mein Freund.” „Ich habe mich entschieden: Ich bleibe bei euch! Hier habe ich noch eine Mission zu erfüllen.”

„Eine Mission?”

„Ich werde die Indianer lesen und schreiben lehren.” „Donnerwetter!” platzte ich verwundert heraus.

Als ich dann aber über meine eigene Zukunft nachdachte, entdeckte ich, daß auch ich nicht mehr so sehnsüchtig an die Rückkehr nach Virginia dachte, als hätte ich hier meine Heimat und die Erfüllung meines Herzenswunsches gefunden. Und band mich nicht wirklich mein Herz hier fest?

Nach der Abreise Powells ließ ich die drei Gefangenen herbeiführen. Sie zeigten äußerst betrübte Mienen, was ich nicht ganz begreifen konnte. Arnak gab ihnen ihre Waffen zurück, Oronapi ließ ihnen Reiseverpflegung herrichten und schenkte ihnen eine kleine Jabota.

„Ihr seid nun frei”, teilte ich den Akawois mit, „und ihr könnt alles tun, was einem freien Krieger zusteht. Nur kommt nicht etwa auf den dummen Gedanken, uns jetzt noch einen Schaden zuzufügen. Dann würden eure fünf Stammesgenossen, die wir als Geiseln hierbehalten, sofort getötet werden. Ich glaube, daß es mir gelingen wird, sie nach ihrer Genesung gesund nach Hause zu schicken.”