Was war mit Arnak und Wagura, die mir in vielen Monaten tapfer zur Seite gestanden hatten? Würden auch sie mich enttäuschen? Besorgt blickte ich zu ihnen hinüber und entdeckte auch hier nur Ergebenheit und rätselhafte Fügsamkeit. Sollten auch sie mich im Stich lassen?
Die Lage wurde immer bedrohlicher, das Unwetter kam immer näher.
„Es sind unsere Leute”, bat Manauri für die Neger und setzte verzweifelt hinzu: „Füge ihnen kein Unrecht zu. Reiße uns nicht auseinander, Herr. Wir gehören zusammen. Es sind freie Menschen.”
„In diesem Land gibt es keine freien Neger, das weißt du genau!” schrie der Spanier. „Diese hier sprechen Spanisch. Daraus geht hervor, daß sie Sklaven auf einer Hazienda waren und von dort geflohen sind. Nehmt sie fest!” befahl er seinen Leuten.
Die Reiter trabten auf die Neger zu, um sie zu überwältigen und von den anderen zu trennen. Dolores stieß einen gehenden, unmenschlichen Schrei aus.
„We must kill them all!” raunte ich Arnak und Wagura zu.
Sie zwinkerten mir zu, zum Zeichen, daß sie verstanden hatten. „Sagt den andern, daß sie sich bereit halten sollen.”
„Sie sind schon bereit, Jan”, versicherte Arnak.
Ich schenkte dieser Versicherung nicht viel Vertrauen; doch blieb mir keine Zeit mehr zu Erklärungen, und ich beschränkte mich auf die mahnenden Worte: „Achtet gut auf alles, was ich tue!”
Bei der Gruppe der Neger herrschte großer Tumult. Ich trat unbemerkt aus der Reihe und rief, so laut ich konnte:
„Haltet ein!”
Ich hatte englisch gerufen, doch übten die Worte auch so ihre Wirkung aus. Diese energische, befehlende Stimme, die aus dem Kreis der Indianer kam, ließ die Reiter verwundert stutzen und brachte sie geradezu aus der Fassung. Alle blieben ruckartig stehen, wie vom Blitz getroffen. Sie waren zunächst stumm vor Erstaunen, daß ein Indianer sie so anzuschreien wagte, und starrten mich entgeistert an.
Erst nach einer Weile erholte sich ihr Anführer von der Über-raschung und wandte sich grollend und zugleich erheitert an mich: „Was bist denn du für ein Köter?”
Da ich ihn nicht verstehen konnte, mußte Manauri die Worte ins Arawakische übersetzen und Arnak aus dem Arawakischen ins Englische. Auf diese Weise hatten sie bereits eine anständige, weniger beleidigende Form angenommen, als sie mich erreichten.
„Ich bin Engländer, befand mich auf dem gesunkenen Schiff und wurde von der See an den Strand gespült”, erklärte ich. „Mein Name ist John Bober.”
„Eine sehr interessante Begegnung, Herr Engländer”, sagte der Spanier gespreizt und strich sich mit böswilligem Wohlgefallen den schwarzen Bart. „Was glaubst du wohl, wohin dich der Teufel geführt hat, in welchem Land du dich jetzt befindest?”
„Ich nehme an, in Venezuela.”
„Stimmt, in Venezuela, also in einem spanischen Land, in dem du als Engländer ein zwar ehrenvoller, aber ungebetener Gast bist.”
„Ich bin gezwungenermaßen hier, nicht aus freien Stücken.” „Quien sabe! Wer kann es wissen! Übrigens bist du ein eigenartiger Engländer: nackt, verwildert wie jeder Indio, dazu noch barfuß, ohne Stiefel.”
„Es ist bequemer so. Außerdem besitze ich Stiefel. Sieh sie dir an!”
Ich wies auf die Stiefel, die ich Arasybo geschenkt hatte. Zwar trug der Hinkende sie schon lange nicht mehr, da er barfuß viel besser laufen konnte; doch hatte er seinen Schatz nicht weggeworfen und die Stiefel fürsorglich über die Schulter gehängt.
Der Anblick der Stiefel schien Eindruck auf den Spanier zu machen, denn er schlug einen anderen Ton an: „Warum hast du uns vorhin so angeschrien? Was haben wir dir getan?”
„Ihr wolltet mir meine Leute wegnehmen.”
„Die Neger sind deine Sklaven?”
„Sie sind nicht meine Sklaven, sondern unter meiner Obhut.” „Das verstehe ich nicht.” „Sie stehen unter meinem Schutz und gehören folglich zu mir.” „Willst vielleicht auch du behaupten, daß sie frei sind?” „So ist es.”
„Du weißt doch, daß es in diesem Land keine freien Neger gibt, und das, was du sonst erzählst, ist albernes Zeug. Die Neger waren in spanischen Händen — wo sollten sie sonst Spanisch gelernt haben — und kehren nun in spanische Hände zurück.” „Das werden sie nicht, Senor! Es wäre offenkundige Gewalt.” „Gewalt? Du ungebetener Eindringling willst mich noch beleidigen?”
„Nicht im geringsten! Mein Wunsch ist es, daß wir uns höflich begegnen. Ich habe schon sehr viel von dem guten Benehmen und dem Entgegenkommen der Spanier gehört, besonders Ausländern gegenüber, aber auch gegenüber den Indianern.”
Der Bärtige betrachtete mich finster und war so von sich eingenommen, daß er den Spott in meinen Worten gar nicht heraushörte.
„Ich wünschte, daß wir uns im guten einigten und freundschaftlich auseinandergingen.”
„Ich habe doch bereits gesagt, daß die Indianer gehen können, wohin es ihnen beliebt. Ich gestatte es!”
„Es handelt sich jetzt nur um die Neger. .
„Die Neger? Das ist etwas anderes. Die gehören uns, und dabei bleibt es! Darüber brauchen wir nicht weiter zu verhandeln.” „Wenn du, o Senor, uns schon keinen Beweis spanischer Großmut geben willst, so bitte ich dich, wenigstens einer anderen Stimme gegenüber nicht taub zu bleiben.”
„Und die wäre? “
„Die Stimme der Vernunft.”
„Der Vernunft?”
„Ja, der Vernunft. Beliebe zu zählen, und du wirst sehen, daß wir mehr sind als ihr. Sollte es zu einer Auseinandersetzung kommen, wird also unser Zorn entsprechend größer und nachdrücklicher sein, vielleicht auch schrecklicher, wer kann es wissen? Es
ist daher besser, wenn du nachgibst und wir in Freundschaft auseinandergehen. ”
Ich sprach sehr höflich, wie es zuvor die Indianer getan hatten, denn mir lag viel an einer friedlichen Einigung. Die Spanier aber begegneten meinen Bitten und Vorstellungen mit offenem Hohn und hielten die Warnungen für Ausbrüche eines frivolen Kerls, der seinen Ärger nicht verbeißen kann. Da sie von ihrer Würde und der Überlegenheit ihrer Waffen überzeugt waren, fand der Gedanke, daß wir ernsthaften Widerstand leisten könnten, in ihren hochmütigen Köpfen keinen Platz.
„Elender Eindringling”, brauste der Spanier auf. „Nicht genug damit, daß du gesetzwidrig in dieses Land eingedrungen bist, nun drohst du uns Spaniern noch? Auch dich werden wir mitnehmen! Ja, du kommst mit uns!”
„Ich gehe nicht mit euch! Besinne dich, Mensch!”
Alle Worte waren vergebens, er wollte nicht hören.
„Packt ihn!” schrie er seinen Leuten zu, gab dem Pferd die Sporen und sprengte auf mich los.
Da er während unseres Gesprächs die Pistole in den Gürtel gesteckt hatte, war seine rechte Hand frei. Er versuchte, mich am Hals zu erwischen. Er kam aber nicht mehr dazu, denn nun ging alles blitzschnelclass="underline" die Pistole aus dem Gürtel reißen, den Hahn spannen und dem Spanier aus nächster Nähe eine Kugel in die Brust schießen war eins. Er ließ nur ein Stöhnen hören und fiel nach hinten vom Pferd.
Mit zwei Sprüngen war ich bei der Muskete, hob sie auf, und während ich sie in Anschlag brachte, sah ich mich um., von welcher Seite ein Angreifer käme. Es erschien aber kein Gegner, denn es gab keinen mehr, der hätte angreifen können.
Was sich nach meinem Schuß in Bruchteilen von Sekunden ereignet hatte, ist schwer zu beschreiben. Wie der Blitz war es über die Spanier gekommen: ein Aufzucken, ein Zuschlagen. Wie aus einem Lauf krachten mehrere Schüsse, gleichzeitig zischten Pfeile durch die Luft, surrten Speere, trafen Keulen. Ganz unheimlich