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An diesem Tag gingen wir etwas früher vor Anker, und wie üblich fuhren einige Männer mit dem Boot an Land, um frisches Futter für unser Pferd zu holen. Wir besaßen nur noch eins. Die beiden verletzten Tiere hatten wir geschlachtet, das Fleisch zerteilt, auf Schnüre gezogen und zum Trocknen aufgehängt.

Weil es noch hell war, hatten sich einige Gefährten entschlossen, auf die Jagd zu gehen, und waren, mit Bogen und Messern bewaffnet, mit an Land gefahren. Kaum eine halbe Stunde später gellten plötzlich wilde Schreie durch den Urwald.

„Unsere Jäger wurden überfallen!” rief Manauri.

Der Lärm erscholl von mehreren Seiten und näherte sich schnell.

„Sie werden verfolgt!” stieß Arnak hervor.

Ich sprang auf und schrie: „Arnak, die Musketen hinab in die Boote! Alle an die Ruder!”

Zum Glück waren die Waffen geladen, doch lagerten sie unter Deck. Einen Augenblick lang trat Verwirrung ein, da alle zugleich losstürzten. Es gelang mir aber, die Gefährten abzufangen, und nachdem wir eine lebende Kette gebildet hatten, wanderten die Waffen schnell von Hand zu Hand. Als die zehnte Büchse in das größere Boot hinabgereicht wurde, sprang ich hinein und ergriff ein Ruder. Hinter mir kamen Manauri und etliche andere, darunter auch Lasana. Ich brauchte niemand anzufeuern, alle ruderten, daß ihnen die Augen aus den Höhlen traten. Arnak und die fünf Neger befanden sich im zweiten Boot.

Es war nicht weit zum Ufer, doch kamen wir gerade noch zurecht, um Schlimmes zu verhüten. Unsere unglücklichen Jäger stürzten aus dem Wald und eilten über den offenen Strand auf uns zu. Sekunden später erschien bereits die Schar der Verfolger; es mochten dreißig oder vierzig sein. Sie stießen durchdringende Schreie aus und schossen ihre Pfeile ab.

Mit gehacktem Blei schoß ich in den ungefähr hundert Schritt entfernten Haufen hinein. Auf diese Entfernung wirkten die Geschosse zwar nicht mehr tödlich, doch rissen sie Wunden, wo sie trafen. Schon krachte neben mir ein zweiter und ein dritter Schuß, dann ein vierter und in schneller Folge mehrere hintereinander, eine ohrenbetäubende Salve. Die Angreifer hatten genug von dem Blei und dem Gedröhn, sie machten kehrt und flohen in den Wald.

Keiner von uns war ernsthaft verletzt worden, ein einziger hatte eine leichte Verwundung davongetragen. Zum Glück war die Pfeilspitze nicht vergiftet gewesen.

„Was ist das für ein Stamm?” fragte ich.

„Sicher sind es Pariagotos”, antwortete Manauri und fügte voller Abscheu hinzu: „Kariben.”

Auch Lasana hatte einen Schuß abgegeben. Da es der erste in

ihrem Leben war, hatte sie vergessen, die Büchse fest gegen die Schulter zu drücken, und hatte einen mächtigen Stoß und eine Ohrfeige erhalten. Sie blutete ein wenig, doch war es weiter nicht schlimm.

„Jetzt habe ich schon Erfahrung”, rief sie mir zu und versuchte, Verwirrung und Schmerz hinter einem Lächeln zu verbergen. „Soso”, erwiderte ich lachend. „Hast du wenigstens getroffen?” „Siehst du es nicht? Mich selbst.”

„Nur gut, daß es nicht einer von uns war.”

„Nimm du dich in acht, Weißer Jaguar!”

Ihre Worte klangen recht doppelsinnig, und sie begann plötzlich zu lachen.

Um vor jedem Angriff sicher zu sein, lichteten wir den Anker, fuhren weiter aufs Meer hinaus und verbrachten dort die Nacht.

Als Arnak und Wagura am folgenden Morgen wie gewöhnlich zum Waffenunterricht riefen, meldeten sich alle Männer ohne Ausnahme. Und es war kein Strohfeuer. Unsere gemeinsamen Erlebnisse waren Bande, die uns fest umschlungen hielten und nun um ein neues bereichert worden waren, um das Band des gemeinsamen Waffengebrauchs. Die Zukunft sollte zeigen, daß es ein starkes, ein dauerhaftes Band war.

Die unliebsame Begegnung mit den Pariagotos fand an der Küste der langgezogenen Halbinsel statt, die Pedro mit dem Namen Paria belegt hatte, und zwar unweit der Stelle, wo sie endet und die weiten Gewässer der Pariabucht beginnen, in die wir einfahren und nach Süden weitersegeln wollten. Als wir die Spitze erreichten und die Durchfahrt zwischen Trinidad und der Halbinsel anzusteuern versuchten, zeigte es sich aber, daß die Wassermassen mit solcher Gewalt aus der Bucht herausschossen, daß wir dagegen nicht ankommen konnten. Sooft wir uns auch näherten, jedesmal spülten uns die schweren Wogen wieder weit aufs Meer hinaus.

Pedro erklärte mir, daß die Spanier diese Enge zwischen der Pariahalbinsel und Trinidad „Boca del Drago”, das heißt Drachen-

schlund, nennen. Nur große Schiffe seien imstande, hier einzufahren, und auch die nur an solchen Tagen, an denen die Strömung schwächer sei.

„Warum ist die Strömung hier gar so reißend?”

„Weil die Öffnung im Süden, wie ich bereits erwähnt habe, bedeutend breiter ist als diese hier. Von dorther wälzen sich die Massen des Ozeans mit großer Gewalt in die Bucht, außerdem münden hier mehrere Arme des Orinoko. Alle diese Wasser drängen nach Norden in die schmale, nur einige Meilen breite Kehle der Bucht und schießen mit gewaltiger Kraft durch die Boca del Drago ins offene Meer hinaus.”

Wir mußten unsere Absicht, in die Pariabucht einzulaufen, aufgeben, den Drachenschlund in weitem Bogen umfahren und die Küste Trinidads entlang nach Osten weitersegeln, was eine Verlängerung der Reise um mehr als einhundert Meilen bedeutete.

Zum Glück hatten wir stets günstiges Wetter und begegneten weder spanischen noch anderen Schiffen. Auch Eingeborene bekamen wir nicht zu Gesicht, obwohl wir jeden Abend die Küste anliefen, um Süßwasser und Futter für unser Pferd zu holen. Als wir den östlichen Zipfel Trinidads erreicht hatten, gingen wir auf südlichen Kurs, segelten zwei Tage die Insel entlang und näherten uns dann wieder dem Festland.

Wie ganz anders war diese Küste! So weit das Auge reichte, ein flacher, ebener Streifen ohne die geringste Bodenerhebung. Es war das berüchtigte Delta des Orinoko, mehr als zweihundert Meilen breit, ein Gebiet unzähliger Gabelungen und Verästelungen eines einzigen Flusses, eine Welt Tausender Inseln, Inselchen und Werder. Auch hier war alles überdacht von dem unendlich scheinenden Urwald, genau wie auf der Halbinsel Paria und auf Trinidad. Während aber dort zuweilen ein Berg oder ein Hügel zu sehen gewesen war, gab es hier nichts als Sumpf und Moor. Meilenweit standen Bäume im Wasser, ragten Luftwurzeln auf und verflochten sich in wahnwitzigem Durcheinander.

„Hier können kaum Menschen leben?” sagte ich vor mich hin.

„Doch”, erwiderte Manauri. „Hier lebt der Stamm der Guarau-nos.”

„Wo halten sich diese Menschen denn auf?”

„Sie wohnen auf trockenen kleinen Inseln oder bauen ihre Hütten auf Pfählen und leben vom Fischfang.”

Das Meer zeigte eine andere Farbe als bisher. Es hatte sein durchsichtiges Dunkelblau verloren. Das Flußwasser färbte es gelb und trüb. Alle Elemente schienen sich dem großen Kraftfeld des Orinoko zu unterwerfen.

Während wir tagaus, tagein den unendlichen, geheimnisumwitterten Waldsumpf entlangglitten und selbst dem Zauber der unheilverkündenden Majestät zu verfallen drohten, vernachlässigten wir unsere gewohnten Beschäftigungen nicht. Ich lernte fleißig Spanisch, manchmal auch ein Stündchen Arawakisch, und die Gefährten übten mit den Schußwaffen. Als wir die Hauptmündung des Orinoko erreichten, bemerkte ich mit großer Freude, daß wir ein verschworener Freundeskreis geworden waren. Niemand von uns wußte, was ihm die nächste Zukunft bringen würde, und diese Ungewißheit hatte uns zu einem festen Bund zusammengeschweißt, zu einer Gemeinschaft von Brüdern, man konnte fast sagen: zu einem neuen Stamm.

Alle hatten leidlich gelernt, mit den Feuerwaffen umzugehen und sie, was gleichfalls wichtig war, in diesem mörderischen Klima vor Vernichtung zu bewahren. Sie waren nicht nur begeistert, sondern empfanden, daß diese Waffen etwas Wertvolles waren, und behandelten die Musketen, Büchsen und Pistolen mit viel Feingefühl. Da ich weder Mißverständnisse noch Enttäuschungen hervorrufen wollte, erklärte ich, daß die Waffen vorläufig mein Eigentum blieben, daß ich aber bereit sei, demjenigen, der seine Waffe gut pflege, diese später für immer zu überlassen.