„Alle Feinde wurden getötet, dieses schöne Schiff haben wir erobert.. .”
„Auch das Pferd?”
„Auch dieses Pferd... Er ist eben unbesiegbar.”
„Und wie nennt ihr das Wunder?”
„Welches Wunder?”
„Dieses Wunder von Tapferkeit und Mut, den Paranakedi?” „Es ist der Weiße Jaguar”, antwortete Manauri ohne Zögern.
Diese maßlose Übertreibung bei der Schilderung meiner Person geschah sicher nicht ohne Grund. Wie ich den Häuptling kannte, verfolgte er damit bestimmte Absichten. Wahrscheinlich schrieb mir der Schlaukopf deshalb alle möglichen Tugenden und eine fast unbegrenzte Macht zu, weil er für sich Vorteile daraus ziehen wollte. Welcher Verwegene würde es wagen, mit ihm Streit anzufangen, wenn er einen so mächtigen Freund und Verbündeten hatte? Manauri wußte nicht, wie ihn sein Stamm aufnehmen würde; er befürchtete, daß die Begrüßung wenig günstig ausfallen könnte, und setzte daher Gerüchte in Umlauf, daß wir unbesiegbar seien.
„Du hast gesagt, daß er sehr reich ist?” fragte Fujudi weiter, wobei seine Stimme nicht mehr höhnisch klang, sondern eher Verwunderung ausdrückte. „Warum ist er dann nackt wie jeder andere von euch armen Schluckern?”
Da hörte ich es wieder! Es war immer das gleiche. Die Eingeborenen konnten sich die Europäer nicht anders vorstellen als bekleidet, in Stiefeln, herausgeputzt, mit einem Hut auf dem Kopf und dem blitzenden Degen an der Seite. In ihrer Vorstellung verband sich der Begriff Macht mit prunkvollem Aussehen. Ein Europäer ohne Kleidung konnte keine Macht besitzen, war also völlig bedeutungslos. Ihnen erklären zu wollen, daß ich mir in dem heißen Klima auf der Insel das Tragen von Kleidung abgewöhnt hatte und mich ohne Kleidung viel wohler fühlte, würde bedeuten, tauben Ohren zu predigen.
„Das ist so seine Gewohnheit, es ist eine Marotte dieses großen Häuptlings”, erklärte Manauri.
Endlich schien man am Ufer zu einem befriedigenden Urteil
über uns gekommen zu sein, denn Fujudi rief uns zu, wir sollten ihm ein Boot schicken, damit er auf das Schiff übersetzen könne. Während das Boot zum Ufer gerudert wurde, öffnete sich die grüne Wand des Waldes ein wenig und ließ für einen Augenblick zahlreiche mit Pfeil und Bogen bewaffnete Indianer erkennen, die hinter den nahen Bäumen verborgen waren. Sollte es zu einem Kampf kommen, so wäre es schlecht bestellt um uns!
Fujudi war ein starker, sehniger Mann im besten Alter, mit scharfem Blick und lebhaften Bewegungen — ein aufgeweckter Bursche, das erkannte man auf den ersten Blick. Ich hatte zum erstenmal Gelegenheit, einen Indianer im Festschmuck zu betrachten. Er trug eine Kopfbedeckung aus farbigen Federn, die miteinander verflochten waren, und seinen Hals zierten drei bunte Ketten, von denen ihm verschieden gefärbte Nüsse, Fischzähne und Tierkrallen über die Brust herabhingen. Sein nackter Körper, er trug nur den Lendenschurz, und besonders das Gesicht waren mit vielen schwarzen und roten Streifen bemalt.
Meine Gefährten, die sich immer noch in dem Zustand befanden, in dem sie aus der Sklaverei entflohen waren, sahen dagegen etwas verwahrlost aus. Sie hingen mit bewundernden Blicken an diesem prachtvollen Anblick und starrten Fujudi mit einem Ausdruck an, der fast an Neid grenzte. Es schien, als verspürten sie durch die Gegenwart ihres Stammesgenossen zum erstenmal den Atem der Freiheit, als versinnbildliche er ihnen das Ziel ihrer Reise.
Mit verständlicher Eile bestürmten sie Fujudi mit Fragen, wie es ihren Brüdern an der Mündung des Itamaka ergehe. Fujudi aber fand sich nur widerwillig zu der kurzen Antwort bereit, daß alles in Ordnung sei, und forderte seinerseits eine genaue Beschreibung unserer Abenteuer. Meine Gefährten erzählten ihm alles und verheimlichten nichts.
Als Fujudi genug erfahren hatte, wandte er sich an mich: „Meine Brüder loben dich, Weißer Jaguar, du hast ihnen geholfen und bist ihr guter Freund. Auch ich begrüße dich daher als Freund
und wünsche, daß du weiterhin unser Bruder bleiben mögest. Jekuana, mein Gastgeber, der Häuptling der hiesigen Warraulen, ladet dich und die anderen ein, in sein Dorf zu kommen. Heute findet ein großes Fest statt, und er möchte euch die gebührenden Ehren erweisen.”
„Wir nehmen die Einladung gern an”, antwortete ich. „Was für ein Fest wird denn gefeiert?”
„Das Gericht der Ameisen. Der Sohn des Häuptlings hält Hochzeit . . .”
Zwar konnte ich mir nicht vorstellen, was es mit dem Gericht der Ameisen für eine Bewandtnis habe, doch merkte ich, daß alle meine Gefährten freudig erregt waren, und wollte ihnen die Freude nicht verderben.
In diesem Augenblick schossen mehrere große Boote aus der Biegung des Flusses hervor und hielten, von vielen Ruderern schnell vorangetrieben, auf uns zu. Sie nahmen den Schoner ins Schlepptau und brachten uns in kurzer Zeit zur Siedlung der War-raulen, die kaum eine Viertelmeile von unserem Ankerplatz entfernt lag.
Inzwischen hatten mir Manauri und Arnak die spanische Kapitänsuniform gebracht und forderten mich auf, sie sofort anzuziehen. Es war jene schwere Paradeuniform, in der es so verteufelt heiß war und von der sich der Häuptling unter keinen Umständen hatte trennen wollen. Da ich mich auf Manauris Kenntnisse der hiesigen Bräuche verließ, zog ich die Uniform an.
Dann fuhr ich in Arasybos Stiefel, schnallte mir den Degen mit dem Perlmuttgriff um und steckte die silberne Pistole in den Gürtel. Den Gipfel der Herrlichkeit aber bildete das Jaguarfell.
Jetzt wurde mir klar, warum die Frauen während der letzten Tage das Fell auf das Deck gebracht und es von morgens bis abends fleißig gegerbt, gestreckt, eingerieben und geglättet hatten, bis es ganz weich wurde und die Haare einen wunderbaren Glanz annahmen. Es war das Fell jenes Jaguars, den ich gemeinsam mit Arnak und Wagura auf der einsamen Insel erlegt hatte. Es wurde
mir nun so umgelegt, daß der Kopf des Raubtieres meinen Kopf bedeckte und nur das Gesicht frei ließ, während mir das Fell über die Schultern herabhing und bis zu den Fersen reichte.
Die Wirkung dieser Maskerade war über Erwarten groß. Meine Gefährten sahen zu mir auf wie zu einer Gottheit, und die eigenwilligen, sonst oft widerspenstigen Augen Lasanas nahmen vor Erregung einen feuchten Glanz an, der sie unaussprechlich schön erscheinen ließ. Mich überkam ein schmeichelhaftes Gefühl der Eitelkeit, das ich jedoch beschämt unterdrückte. Ich wandte mich Manauri zu und fragte ihn: „Höre, Häuptling! Feste feiern ist ganz schön, stehst du aber auch dafür ein, daß wir nicht in eine Falle geraten?”
„Glaube uns, hier gibt es keine Falle”, versicherten Manauri und Arnak gleichzeitig.
Inzwischen waren wir beim Dorf angelangt. Auf einer dem Urwald entrissenen Lichtung standen Hütten auf hohen Pfählen. Sie waren mit Laub überdacht und größtenteils ohne Wände. Die Behausungen lagen einzeln und in ziemlich großen Abständen voneinander. In der Mitte der Lichtung erhob sich eine große Plattform, die gleichfalls auf Pfählen errichtet worden war und deren Seiten ungefähr je hundert Schritt maßen. Auch auf dieser Plattform standen Hütten, doch waren sie ansehnlicher und größer als die anderen und lagen dicht nebeneinander. Sie umgaben von drei Seiten einen unbebauten freien Platz, der zum Fluß hin offen war.
Auf diesem Festplatz erwartete uns unter einem großen Baldachin aus Palmblättern der Häuptling Jekuana, umgeben vom Ältestenrat, der sich aus zwölf oder fünfzehn mit Bogen, Speeren, Keulen und Schilden bewaffneten Kriegern zusammensetzte. Der Häuptling war ein schwerer, wohlbeleibter Mann, der in einem mit Schnitzarbeiten reichverzierten Sessel saß, während die übrigen zu beiden Seiten von ihm Aufstellung genommen hatten. Etwas abseits erblickten wir drei leere Stühle, die sichtlich für die Gäste, also für uns, bestimmt waren.