Der Zauberer sprang zu mir heran und gestattete mir als besonderen Gunstbeweis, einen Blick in einen der Körbe zu werfen, dessen Deckel er ein wenig öffnete. Drinnen wimmelte es von Tausenden wütender Ameisen. Der Alte verschloß das Körbchen wieder und eilte zu den Hängematten, wo er das eine Körbchen auf die nackte Brust des Jünglings und das zweite auf die Brust des Mädchens stellte. Die Spannung der Anwesenden stieg, das „Gericht der Ameisen” nahm seinen Anfang.
„Im Boden der Körbchen befinden sich kleine Öffnungen”, ließ mir Fujudi durch Arnak mitteilen. „Die Ameisen können zwar nicht entwischen, doch vermögen sie durch das Gitter hindurch zu beißen. Oh, sie fangen schon an!”
Man konnte den jungen Leuten am Gesicht ablesen, daß die Ameisen nicht müßig waren. Der Schweiß rann beiden aus allen Poren, und sie bissen sich vor Schmerz auf die Lippen; doch taten sie es möglichst unauffällig, um sich nicht zu verraten.
Fujudi fuhr in seiner Erklärung fort: „Es ist Bedingung, daß sie alles tapfer und mit größter Ruhe hinnehmen. Wenn sie vor Schmerz eine Bewegung machen oder gar seufzen und stöhnen, dann ist es aus.”
„Was ist aus?” fragte ich.
„Dann können sie nicht heiraten. Es wäre eine unvorstellbare Schande!”
„Dann dürfen sie nicht heiraten?” Ich wandte mich an Arnak: „Sie haben also noch nicht miteinander gelebt?”
„Doch, sie haben schon miteinander gelebt, aber heimlich. Jetzt dürfen sie auch öffentlich miteinander leben, können sich eine Hütte bauen und gemeinsam an ihrer Feuerstelle essen. Sie wird für ihn den Acker bearbeiten, und er wird ihr Fische und Wild nach Hause bringen.”
„Und sie werden Kinder haben.”
„Kinder können sie auch jetzt schon haben, das schadet nichts; nur dürfen sie jetzt nicht schreien, denn dann ist alles aus, und eine große, untilgbare Schande haftet ihnen an.”
Der Zauberer ersparte den beiden nichts. Jeden Augenblick schüttelte er bald den einen, bald den anderen Korb, um die Angriffslust der Ameisen zu steigern, und legte ihn dann wieder an eine andere Stelle des Körpers. Dabei steigerte die Trommel jedesmal ihre eintönige Begleitmusik, und die Menschen ringsum starrten mitleidlos und mit ständig wachsender Spannung auf die jungen Opfer. Allen leuchteten die Augen, doch vermochte ich nicht festzustellen, ob Trunkenheit die Ursache war oder verborgene Grausamkeit.
Die feierliche Zeremonie erreichte ihren Höhepunkt, als der Zauberer die Körbchen öffnete und den Inhalt auf die Körper des Brautpaares gleiten ließ. Es waren so viele Ameisen, daß die Haut stellenweise mit einer dicken schwarzen Schicht überzogen war. Sogar von weitem konnte man erkennen, daß die wütenden Insekten; während sie sich eilig über den ganzen Körper verteilten, bissen, was sie nur konnten. Bald gab es keine Stelle mehr an den gequälten Körpern, in die sie nicht ihr Gift gespritzt hatten.
Die beiden Opfer blieben standhaft und zuckten mit keiner Wimper. Der junge Mann war mit mehr Ameisen bedacht worden, und ich hatte den Eindruck, als ob er manchmal nicht mehr bei Bewußtsein sei. Die bissigen Quälgeister krochen auch auf die Gesichter der beiden und zwangen sie, die Lider zu schließen, damit ihnen nicht die Augen ausgefressen würden. Auch diese
Schmerzen ertrugen die Neuvermählten tapfer. Zwar quollen dem Mädchen Tränen unter den geschlossenen Lidern hervor, doch rührte es sich nicht und ließ keinen einzigen Seufzer hören.
Nach einiger Zeit begannen die Ameisen die Körper zu verlassen und verschwanden endlich auf der Plattform. Der Zauberer verkündete, daß das junge Paar die Probe bestanden habe; doch einige lärmende Jünglinge erhoben ihre Stimme und widersetzten sich dem Spruch. „Sie hat die Probe nicht bestanden! Sie können nicht heiraten, weil sie geweint hat!” schrien sie. Andere wieder verteidigten das Paar, und ehe wir uns versahen, war ein lauter Streit ausgebrochen, der nur mit Rücksicht auf die Gäste nicht in Schlägerei überging. Die Mehrzahl der Warraulen brachte die Neider und Unruhestifter mit einigen kräftigen Rippenstößen bald zur Vernunft, so daß wieder Ruhe und Frieden auf der Platt-form einkehrten. Die Brautleute waren mit einem blauen Auge davongekommen.
„Hast du das gesehen?” fragte mich Arnak und dämpfte seine Stimme, obgleich außer Wagura niemand Englisch verstand. „Was denn? Das Gericht der Ameisen?”
„Nein, den Streit! Weißt du, wovon das zeugt?”
„Na?”
„Daß der Zauberer ein Schlappschwanz ist, wenn sie sich erlauben, seinen Spruch umstoßen zu wollen. Das ist unerhört!” „Meinst du?”
„Eine solche Frechheit könnte woanders nicht vorkommen. Der Spruch des Zauberers ist heilig! In diesen Gegenden besitzt der Zauberer größere Macht als der Häuptling. Aber der hier?” Arnak schüttelte den Kopf.
Nachdem das Gericht der Ameisen seinen Abschluß gefunden hatte, kamen Unterhaltung und Trunk wieder zu ihrem Recht, der Lärm wurde zusehends größer und die Fröhlichkeit ausgelassener. Für die Häuptlinge und die Ältesten wurden Matten aufgehängt; auch ich ließ mich in einer von ihnen nieder und muß bekennen, daß ich mich äußerst wohl darin fühlte.
Wieder machte der Kaschiri die Runde, ich aber tat nur noch so, als spräche ich ihm tüchtig zu. Anders verhielten sich unsere Arawaken, von denen sich einige fürchterlich betranken. Zum Glück blieben Arnak, Wagura und Lasana nüchtern und paßten auf die anderen auf. So manchen sinnlos Betrunkenen brachten sie auf den Schoner, damit er sich dort ausschlafe.
Sehr gefiel mir die Enthaltsamkeit und Disziplin der Neger. Als sie sahen, daß die meisten Arawaken sich dem Trunk ergaben und das Trinken der Hauptbestandteil der indianischen Festlichkeit war, gingen sie mit Miguel auf das Schiff und wachten darüber, daß sich kein Unberufener an unserem Eigentum zu schaffen mache.
Manauri dagegen fühlte sich wie im siebenten Himmel, sprach fleißig dem Kaschiri zu und unterhielt sich durch die Vermittlung Fujudis äußerst lebhaft mit Jekuana. Es mußten ernste Dinge sein, die sich die beiden Häuptlinge im Vertrauen mitteilten, denn der Fettwanst brach jetzt seltener in laute Fröhlichkeit aus, zog öfter die Stirn in Falten und warf mir manchmal Blicke zu, die besonderes Wohlgefallen auszudrücken schienen. Schließlich stieg er aus seiner Matte, zog einen Stuhl heran und ließ sich neben mir nieder.
„Anau, großer, kluger Weißer Jaguar”, begann er das Gespräch mit melodischer Stimme und fuchtelte mit den Armen über mir herum, was wohl eine Gunstbezeigung darstellen sollte, „du bist ein weiser, mächtiger Häuptling!”
„Du schmeichelst meinem Stolz”, antwortete ich lachend. „Sicher hat Manauri albernes-Zeug über mich geschwatzt.”
„Albernes Zeug?” wiederholte der Warraule und zwinkerte mir zu. „Der Weiße Jaguar ist zu bescheiden! Wer besitzt so viele feurige Zähne, daß er — bum, bum, bum! — damit alle Feinde zerstückelt?”
Jekuana deutete mit achtungsvoller Gebärde auf die silberne Pistole, die ich aus dem Gürtel gezogen hatte, als ich in die Matte gestiegen war, und die nun vor mir lag.
„Solche Zähne habe ich, das ist wahr”, gab ich erheitert zu. „Und wer hat seine Gefährten dazu bewogen”, fuhr der Häuptling in dem gleichen schmeichelnden Tonfall fort, „daß alle lernen sollen, wie man mit den Feuerzähnen beißt? Der Weiße Jaguar hat sie dazu gebracht.”
„Auch das ist wahr”, stimmte ich fröhlich bei. „Aber sieh dich einmal um! Meine Feuerzähne können wohl schrecklich beißen, aber dein Kaschiri, obgleich er nur ein Getränk ist, hat sich als stärker erwiesen.”