Mit diesen Worten deutete ich auf eine Gruppe völlig betrunkener Arawaken. Alle ringsum brachen in Gelächter aus, und Jekuana bekannte mit prahlerischem Bedauern, daß dies nun ein-mal in der Natur der Indianer liege, sie seien eben unverbesserliche Säufer.
Um dem Gespräch eine nützlichere Wendung zu geben, fragte ich ihn, was er über die Engländer an der Essequibomündung wisse, da ich diese später gern einmal aufsuchen möchte. Doch der Häuptling tat meine Frage sehr schnell ab; entweder konnte er mir nicht viel darüber sagen, oder er wollte es nicht. Er äußerte lediglich, daß irgendwo im Süden Engländer lebten und daß sie den Indianern freundlicher entgegenkämen als die Holländer, die zahlreicher und viel schlechter seien.
„Oh, diese Holländer!” Jekuana schüttelte sich wie bei dem Gedanken an etwas schrecklich Unangenehmes.
„Sie sind euch wohl auf den Leib gerückt?” fragte ich neugierig. „Das fehlte uns noch! Sie selbst waren nicht hier, aber ihre Häscher, die Sklavenfänger.”
Als ob er schon zuviel gesagt habe, biß er sich plötzlich auf die Lippe.
Nach einer Weile sprach er mich erneut an. Seine Stimme klang bittend: „Weißer Jaguar, fahre nach Westen zum Itamaka und nicht nach Süden. Bei uns, bei den Warraulen und bei den Arawaken am Itamaka, findest du offene Herzen. Wir sind dir alle sehr zugetan, denn du kommst zu einer besonderen Zeit, in der wir dich doppelt freudig begrüßen. Du findest hier aufrichtige Freunde.”
„Was für eine Zeit ist das?”
Zum zweitenmal wich Jekuana der Antwort aus und tat, als habe er die Frage überhört. Vielleicht war er auch betrunken, denn er klatschte immer wieder in die Hände, rief die ihn bedienenden Frauen herbei und trug ihnen auf, Kaschiri zu bringen oder Obst und andere Leckerbissen anzubieten.
Es waren größtenteils flinke halbwüchsige Mädchen, die uns umsprangen wie fügsame Kätzchen, doch befanden sich auch reife Mädchen darunter, die genauso fröhlich umhertollten. Zwei knieten neben meiner Matte auf dem Boden und zwitscherten verlegen und aufgeregt durcheinander wie ein liebliches Vogelpaar.
„Was wollen sie von mir?” fragte ich die in der Nähe stehenden Gefährten.
Fujudi lachte und rief: „Nichts, sie sind übermütig und schäkern!”
„Worüber sprechen sie denn?”
„Sie sagen, wenn es um dich ginge, hätten sie keine Angst vor den Ameisen.”
Wir alle nahmen das als harmlosen Scherz hin, nur Lasana stand nach einer Weile auf, ging lachend auf die beiden Mädchen zu, holte sie unter meiner Hängematte hervor und scheuchte sie fort.
Die Sonne berührte bereits die Wipfel des Waldes, die Schatten begannen langsam zu schwinden. Da Jekuana zu gern unsere Waffen sehen wollte, geleitete ich ihn auf das Schiff und ließ die Büchsen auf das Deck bringen. Sie machten großen Eindruck auf ihn. Lange stand er davor und betrachtete sie in stummer Ehrfurcht; dann fragte er mich, wann wir wohl unsere Reise fortsetzen wollten.
„Morgen natürlich”, antwortete ich.
„Nach Sonnenaufgang setzt die Flut ein, dann segeln wir los.” „Du auch?”
„Ja, ich auch. Ich muß euch doch zu Oronapi begleiten. Eure Ankunft habe ich ihm bereits gemeldet’, entgegnete Jekuana. „Oronapi? Wer ist das?”
„Er ist das Oberhaupt aller Warraulen im Süden, er ist unser Oberhäuptling.”
„Meine Gefährten, die Arawaken, haben es sehr eilig, an den Itamaka zu kommen”, erinnerte ich ihn.
„Sie werden dadurch nicht aufgehalten. Kaiiwa, der Sitz Oro-napis, liegt auf dem Wege dorthin, direkt am Orinoko, zwei Tagereisen von hier entfernt.”
„Wenn es so ist, dann können wir dort vor Anker gehen.” Jekuana schien diesem Besuch außerordentlichen Wert beizumessen. Er nahm mich beim Arm und ging mit mir ein Stück das Flußufer entlang, bis wir zu einer Stelle kamen, an der ungefähr fünfzehn Boote lagen, die halb aus dem Wasser herausgezogen waren. Die kleineren bestanden aus Baumrinde, die sieben großen dagegen waren aus je einem mächtigen Baumstamm ausgebrannt worden. Der Häuptling gab mir zu verstehen, daß er mir eines der großen schenke, ich solle es mir aussuchen. Ein solches Boot, das mehr als zwanzig Menschen faßt, stellte ein kleines Vermögen dar, und die unerwartete Freigebigkeit Jekuanas bereitete nicht nur mir eine freudige Überraschung, sondern allen Arawaken.
„Das ist nichts Außergewöhnliches”, verteidigte sich der Häuptling. „Eure drei spanischen Boote sind zu schwer für diese Gewässer. So ein schmales Boot kommt euch sehr zustatten, es fliegt dahin wie ein Pfeil. Übrigens”, schloß er und suchte ein rätselhaftes Lächeln zu verbergen, „für den Kampf ist nur ein indianisches Boot zu gebrauchen.”
„Wieso für den Kampf? Warum schreckst du uns und sprichst von Kampf?”
„Ich will euch nicht schrecken, Weißer Jaguar, aber im Urwald lauert der Kampf auf Schritt und Tritt, und keiner kann sich ihm entziehen, auch du nicht. Nein, auch du nicht! Deshalb sollst du ein schnelles Boot haben.”
Er verfiel wieder in seine alte Fröhlichkeit, und ich wußte nicht, wie ich seine eigenartigen Worte auffassen sollte. Da ich ihm nichts schuldig bleiben mochte, bat ich ihn, er möge sich aus unseren Vorräten eine Waffe aussuchen. Er nahm einen Degen, der als Symbol der Herrschaft nach seiner Meinung wohl nachdrücklicher die Würde des Häuptlings hervorhob als eine Büchse.
Als ich später in der Hängematte lag und vor dem Einschlafen die Ereignisse des Tages an mir vorüberziehen ließ, konnte ich mich über die Gastfreundlichkeit und die verblüffende Herzlichkeit der Warraulen nicht genug wundern. Ihr Verhalten mir gegenüber, das geradezu Verehrung ausdrückte, kam so unerwartet und war so überwältigend wie etwa der durchdringende Geruch des Sumpfes und der modernden Pflanzen oder die schrillen Laute der nächtlichen Tierwelt, die meine Sinne betäubt und gelähmt hatten.
Das Bündnis mit den Warraulen
Die Fahrt flußaufwärts bereitete keine Schwierigkeiten. Die Strömung der Flut trieb uns schnell landeinwärts, und da außerdem vom Ozean her eine Brise die Segel des Schoners schwellte, kamen wir gut voran. Als nach einigen Stunden die Ebbe begann und sich der Gegenstrom bemerkbar machte, warfen wir den Anker aus und warteten auf die nächste Flut, um dann unsere Fahrt fortzusetzen.
Es war phantastisch, in welch überschäumender, tobender Fülle sich der Reichtum der Natur darbot. Obwohl ich schon manche Erzählung über diese märchenhafte Schönheit gehört hatte, war ich immer wieder von neuem entzückt. Unzählige Fische von mannigfaltigsten absonderlichen Formen, die ins Riesenhafte gesteigert schienen, schossen in dem trüben Wasser umher und schnellten jeden Augenblick hoch in die Luft. Herden von Affen trieben ihr Unwesen in den Zweigen der Bäume. Ein nie verstummendes, geheimnisvolles Kreischen und Krächzen regte unsere Einbildungskraft an. Das Auge war wie geblendet, wenn hoch über uns die schönsten der Vögel, die großen Papageien, dahinflogen und die unwahrscheinliche Pracht ihres bunten Gefieders erstrahlen ließen. Es waren wunderbare Vögel; die Indianer nannten sie Arakanga und Ararauna. Und erst der Urwald, der jeden Fußbreit des Ufers bedeckte! Eine tolle, bezaubernde Wahnvorstellung in Grün, durchpulst vom Brausen der Myriaden Insekten, ein tosendes Durcheinander, so dicht und chaotisch verflochten, daß ohne Buschmesser kein Mensch auch nur einen Meter eindringen konnte.
Dieser Urwald überstieg die menschliche Vorstellungskraft!
Überall war es, dieses zischende Sausen der Myriaden von Insekten! Wenn diese ekelhaften Wesen nicht wären, wie gern würde ich dieses lockende Paradies durchstreifen, ich — der im virginischen Wald geboren wurde und aufgewachsen war, den der Wald ernährt hatte und dem er zum besten Freund wurde. So aber machten uns die Schwärme höllisch stechender Mücken und winziger Fliegen das Leben Tag und Nacht zur Qual. Mir war längst klargeworden, daß ich den spanischen Hemden und Hosen Abbitte tun mußte und sie wieder anziehen würde, wenn ich dieses Dickicht durchqueren wollte. Auch die Füße mußten geschützt werden, weshalb ich den Frauen auftrug, mir aus dem Pferdefell, das wir besaßen, Sandalen anzufertigen.