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Arasybos Gebrechen bestand in nichts anderem, als daß sein linkes, gebrochenes Bein kürzer war als das rechte. Auch die spanischen Stiefel hatten diesem Übel nicht abhelfen können. Während ich mir den Kopf über mein Schuhwerk zerbrach, kam mir der Einfall, daß der Hinkende ebenfalls Sandalen tragen könnte, nur müßte an der linken eine bedeutend dickere Sohle sein. Der Gedanke war sehr einfach, zeitigte aber einen über Erwarten großen Erfolg: Arasybo hinkte nur noch unmerklich. Der Krüppel wußte nicht, wie er mir danken sollte, doch merkte ich, wie ergriffen er war, und las in seinen Augen den Entschluß, für mich, wenn es sein mußte, auch den Himmel herunterzuholen.

Außer dem Boot, das ich geschenkt bekommen hatte, begleitete uns noch ein zweites flußaufwärts, in dem sich zweiundzwanzig Warraulen befanden. Jekuana selbst weilte auf unserem Schoner, dafür waren mehrere Arawaken in mein Boot übergesiedelt. Die gute Stimmung hielt auch während der Reise an. Fröhliche Lieder wurden gesungen und alle möglichen Begebenheiten erzählt, wie es unter Freunden üblich ist.

Als wir noch eine Tagereise von Kaiiwa entfernt waren, nahm der Orinoko, der im Mündungsgebiet einer riesigen Bucht ähnlich gesehen hatte, endlich die Gestalt eines Flusses an. Zwar war er einige Meilen breit, aber eben doch ein Fluß. Spuren von Menschen hatten wir bisher nicht entdecken können, doch vernahmen wir stundenlang den dumpfen Ton der Urwaldtrommeln. Bei unserem Nahen begannen im Uferdickicht verborgene, für uns unsichtbare Menschen ihre hölzernen Trommeln zu schlagen und hörten nicht wieder auf. Das Dröhnen war sehr weit zu hören und klang freudig und unheimlich zugleich.

Jekuana strahlte und rief mir zu: „Sie heißen dich willkommen, Weißer Jaguar! Du bist ihr lieber Bruder!”

„Sind das Warraulen, die die Trommeln schlagen?”

„Ja.”

Manchmal löste sich ein kleines mit zwei, drei Ruderern bemanntes Boot vom Ufer, steuerte auf uns zu, und die Besatzung machte uns freundschaftliche Zeichen.

Bevor wir das Dorf des Oberhäuptlings Oronapi erreichten, rief ich Manauri, Arnak und Wagura zu einer Besprechung zusammen. „Waren die Arawaken und die Warraulen immer so befreundet?’ fragte ich.

„Nein”, antwortete der Häuptling kurz. „Die Warraulen lagen oft im Streit mit uns.”

„Wie erklärt ihr euch denn die so überschwengliche Freundlichkeit?”

„Sie haben sich geändert.”

„Findet ihr diese plötzliche Veränderung nicht eigenartig?’ „Nein.”

„Doch, mich wundert es!” erklärte Arnak.

„Und ich sage euch, daß daran nichts Sonderbares ist’, beruhigte uns Manauri. Seine Worte klangen sehr überzeugt, während ein rätselhaftes, geradezu geheimnisvolles Lächeln seinen Mund umspielte. „Übrigens betrifft die Freundlichkeit nicht nur uns Arawaken, sondern vor allem dich, Jan. Dich heißen sie so freudig willkommen.”

„Das verstehe ich nicht.” „Aber ich verstehe es. Vielleicht erinnerst du dich, daß Jekuana gesagt hat, der Kampf lauere auf Schritt und Tritt? Ich glaube, daß dies nicht nur ein Scherz war, sondern deinem Ruhm als siegreichem Häuptling galt.”

„Weil du ihnen alles mögliche über mich eingeredet hast, du Schwätzer!” rief ich entrüstet aus.

„Das stimmt nicht, Jan! Ich habe erzählt, aber nicht zuviel. Nur was notwendig war.”

„Auf was für einen Kampf bereiten sie sich eigentlich vor? Mit den Spaniern?”

„Nein.”

„Ja, zum Teufel, mit wem denn dann?”

„Das weiß ich noch nicht. Aber gibt es nicht genug wilde Kariben in diesem Land?”

„Und die Warraulen sind kein karibischer Stamm?”

„Nein.”

Die Aussicht, in irgendwelche unbekannten Verwicklungen hineingezogen zu werden, erschien mir nicht sehr erfreulich; doch hatte ich den Eindruck, als ob sie Wasser auf die Mühle Manauris seien. Vielleicht hoffte der Häuptling, in einer Zeit kriegerischer Unruhen seinen Einfluß auf den Stamm leichter zurückzugewinnen.

Je mehr wir uns Kaiiwa, dem Sitz Oronapis, näherten, um so wirbelnder schlugen die Trommeln. Die ganze Nacht hindurch vernahmen wir ihr Dröhnen, manchmal ertönte es von mehreren Seiten zugleich. Nach dem Trommeln zu urteilen, schien sich der ganze Urwald auf eine triumphale Begrüßung vorzubereiten.

Als wir das Dorf erreichten, mußte ich wieder in die goldverschnürte Kapitänsuniform schlüpfen, die schweren Stiefel anziehen und das Jaguarfell über den Kopf stülpen. Selbstverständlich gehörten der Degen mit dem Perlmuttgriff und die silberne Pistole zu meiner Ausrüstung. Außerdem hatte ich eine unnahbare, strenge Miene aufzusetzen, denn das sei das wichtigste, wie mir Manauri eindringlich auseinandersetzte.

In Kaiiwa gab es keine gemeinsame Plattform wie im Dorf Jekuanas. Alle Hütten standen einzeln auf Pfählen, die in die Erde gerammt waren. Im Schatten der größten Behausung, etwa zweihundert Schritt vom Ufer entfernt, erwartete uns Oronapi an der Spitze seines Gefolges. Alle hatten bunten Federschmuck angelegt und ihre Körper bemalt. Halsketten und reichgeschnitzte Keulen vervollständigten den festlichen Eindruck. Am prunkvollsten sah der Oberhäuptling aus. Nur er hatte in einem Sessel Platz genommen, neben dem mehrere andere Sitzgelegenheiten standen, was sichtlich dem herkömmlichen Zeremoniell entsprach.

Als wir das Schiff verließen, kam Oronapi nicht auf uns zu, wie es Jekuana getan hatte, sondern blieb stolz und unbeweglich sitzen und sah uns entgegen. In Begleitung von Manauri, Jekuana, Arnak, Wagura und Fujudi ging ich langsam auf ihn zu, doch machte er auch jetzt keinerlei Anstalten aufzustehen. Er hatte wohl eine sehr hohe Meinung von sich und wollte so lange sitzen bleiben, bis wir unmittelbar vor ihm standen.

Nachdem wir ungefähr die Hälfte der Entfernung zurückgelegt hatten, flüsterte mir Manauri zu, ich solle stehenbleiben. Kaum verhielt ich den Schritt, als Jekuana trotz seiner Fülle herbeisprang und uns mit höflichen Gebärden zum Weitergehen aufforderte. Manauri knurrte ihn an, er möge den Mund halten, und ging allein weiter. Der Dickwanst verstummte, schnaufte gekränkt und wußte nicht, was er beginnen sollte.

Als Oronapi bemerkte, daß wir stehengeblieben waren, erhob er sich, ließ den zur Schau getragenen Hochmut fallen und eilte mit Riesenschritten, die seiner Würde gar nicht entsprachen, auf uns zu. Schon von weitem gab er zu erkennen, daß er sich freue, und rief einladend: „Tretet näher, Freunde! Kommt heran und seid herzlich gegrüßt!”

Ständig freundliche Begrüßungsworte wiederholend, faßte er mich am Arm und führte uns unter das schattenspendende Dach der Hütte.

Das Eis, wenn überhaupt welches bestanden hatte, war im Nu geschmolzen. Als ich vor Oronapis Sessel stand, betrachtete ich die hölzerne Sitzgelegenheit sehr aufmerksam, als ob ich ein Wunder-werk vor mir hätte, und fragte dann mit gespieltem Ernst: „Ist er wirklich so bequem, daß es schwerfällt, sich daraus zu erheben?”

Der Oberhäuptling verstand die Anspielung, nahm sie von der heiteren Seite und bat mich, ich möge in dem Sessel Platz nehmen. „Versuche es selbst einmal, Weißer Jaguar!” rief er aus.

Kaum hatte ich mich in Oronapis Sessel niedergelassen, als auch schon Gesang ertönte und der Tanz begann. Gebratene Fische, Wild und süße Früchte wurden herumgereicht, der Ka-schiri machte die Runde (ich feuchtete mir nur die Lippen an), kurz, es begann ein Schmausen und Trinken und es herrschte eine so herzliche Stimmung, daß unsere Erwartungen weit übertroffen wurden.

Nach einiger Zeit wandte ich mich an Arnak, der neben mir saß, und flüsterte ihm zu: „Kannst du das verstehen, Arnak? Ich begreife es nicht!”