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Die Brigantine, deren Vorderschiff bereits unter dem Horizont verschwunden war, bildete den Mittelpunkt der Gespräche. Es wurden die verschiedensten Vermutungen ausgetauscht, da es rätselhaft blieb, warum zum Teufel die Spanier uns angegriffen hatten. Viele meiner Gefährten stießen die geballte Faust in die Richtung des spanischen Schiffes und schickten ihm eine Verwünschung oder eine höhnische Bemerkung nach.

Lasana, die junge Witwe des von den Spaniern getöteten Negers Mateo, brachte mir in einem Flaschenkürbis heißen Brei, der aus zerriebenem Mais zubereitet war, und stellte ihn in der Nähe des Ruders auf das Deck. Sie hatte auch einen hölzernen Löffel mitgebracht und legte ihn dazu.

Die Indianerin war schlanker und etwas größer als ihre Stammesgefährtinnen. Ihre Bewegungen waren gewandt und anmutig, und die ganze Gestalt strahlte einnehmende Schönheit aus. Die Menschen an Bord begleiteten sie mit bewundernden Blicken und bezeigten ihr in jeder erdenklichen Weise ihre freundschaftliche Gesinnung. Ich nannte sie im stillen die „Zauberpalme”. In ihrem schmalen, zarten Gesicht fesselten besonders die Augen. Groß und schwarz, von ungewöhnlich langen Wimpern überschattet, leuchteten sie in feuchtem Glanz und waren trotz der bei den Indianern üblichen Zurückhaltung so ausdrucksvoll, daß man die ganze Seele in ihnen zu sehen glaubte. Vor allem aber waren es lebhafte und kluge Augen; sie verrieten die Fähigkeit zu starken Gefühlen und ließen erkennen, daß dieses junge Wesen selbständig zu denken vermochte.

Ihr einjähriges Kind, das sie ständig bei sich trug, hatte sie auf dem Rücken festgebunden. Das bedrückende Empfinden, daß ihr Mann Mateo vor kurzem getötet worden war, hatte sie bisher einsilbig und niedergeschlagen sein lassen. Jetzt aber konnte auch sie sich der Wirkung der allgemeinen Fröhlichkeit nicht entziehen und lächelte mir freundlich zu. Nachdem sie den Maisbrei abgestellt hatte, betrachtete sie abwechselnd mein Gesicht und meine Hände, die das Ruder hielten, wobei sie ihr Wohlgefallen nicht zu verbergen suchte. Da meine Hände eine rätselhafte Begeisterung in ihr hervorzurufen schienen, fragte ich Arnak und Wagura, die in der Nähe standen, was Lasana wohl an ihnen entdeckt haben könnte.

Als Antwort trat sie näher an mich heran, legte keck ihre Hände auf die meinen und sagte mit melodisch klingender Stimme: „Starke Hände, gute Hände. Man kann ihnen vertrauen.”

Ich empfand lebhaft den warmen und freundschaftlichen Druck ihrer kleinen Finger.

„Gib acht!” rief ich aus. „Du hältst mich so fest, daß ich das Ruder nicht bedienen kann.”

„Sollte sich ein starker Mann so leicht fesseln lassen?” fragte sie gleichsam besorgt. „Von einer so schwachen Hand wie der meinen? Oder bist du vielleicht doch schwach?”

Schalkhaft betrachtete sie ihre Hände, die immer noch auf den meinen ruhten, und blickte dann ernst zu mir auf.

„Dir gegenüber bin ich vielleicht wirklich schwach”, gab ich zu.

Da sah sie mir so herzlich und vertraut in die Augen, daß ich ganz verlegen wurde und ein Gefühl hatte, als liefen mir Schauer über den Rücken.

„Nein, du bist nicht schwach”, stellte sie dann fest, nachdem sie mich von oben bis unten prüfend gemustert hatte.

„Woran erkennst du das, Zauberpalme?”

„Ich sah es in deinen Augen. Sie sprühten wie die eines Jaguars. Doch wie hast du mich eben genannt?”

„Zauberpalme.”

Sie sann einen Augenblick nach, dann sagte sie: „Wenn du mir einen so schönen Namen gibst, mußt du ein ganz kühner Jäger sein.” Sie sprach diese Worte in lobendem Tonfall und mit uner-forschlichem Gesichtsausdruck, in dem Schalkhaftigkeit und Ernst im Widerstreit lagen und nicht erkennen ließen, wer von beiden die Oberhand behalten würde.

„Warum muß ich deshalb kühn sein?”

„Weil ... du keine Furcht vor einer Indianerin zeigst.” Sie brach in lautes, wohlklingendes Lachen aus und ließ mich los.

„Dazu gehört Kühnheit?’ fragte ich.

„Ich glaube, ja.”

„0 nein! Ein gutes Auge und ein wenig gesunder Verstand genügen, um. . .”

Da hatte Lasana plötzlich einen neuen belustigenden Einfall. Sie klatschte vor Freude in die Hände, wandte sich an Arnak und Wagura, die unsere fröhliche Unterhaltung übersetzten, und rief ihnen zu: „Sagt ihm, daß ihn in unseren Dörfern eine große Überraschung erwartet, eine sehr liebe Überraschung!”

„Da bin ich aber neugierig, was das sein könnte?’ antwortete ich.

„Wir geben ihm das schönste Mädchen zur Frau. Sie soll seine starken, guten Hände kennenlernen!”

In Anbetracht des süßen Leckerbissens, der mir in Aussicht gestellt wurde, tat ich übertrieben erfreut und wiegte den Kopf. „Gefällt dir das vielleicht nicht?” spottete Lasana und spielte die Gekränkte.

„Doch, das würde mir schon gefallen, wenn es, wie du gesagt hast, das schönste Mädchen wäre. Aber gibt es denn keine Palmen in euren Dörfern?’ Ich verlieh meiner Stimme einen bekümmerten Unterton.

Alle in der Runde waren ziemlich ratlos, denn sie konnten sich nicht erklären, was Palmen mit Mädchen zu tun haben sollten.

„Palmen? Natürlich gibt es Palmen. Kokospalmen und auch andere”, erklärte Wagura.

„So”, rief ich entzückt aus, „dann gibt es bestimmt auch die eine Palme!”

„Welche denn?”

„Die Zauberpalme.”

Alle brachen in Lachen aus, auch Lasana.

„Du bist sehr freigebig, Zauberpalme”, fuhr ich fort und wandte mich der jungen Frau zu, „du versprichst das schönste Mädchen aus eurem Dorf. Mir fällt dabei ein Sprichwort ein. Meine Mutter, die aus einem Land weit jenseits des Meeres stammte, hat es oft gebraucht. Wollt ihr es hören?”

„Wir wollen, Weißer Jaguar”, entgegnete Lasana und betonte dabei besonders den Namen, um mir mit gleicher Münze heimzuzahlen.

„Das Sprichwort besagt, daß es besser ist, einen kleinen Vogel in der Hand zu halten als einen großen auf dem Dach zu sehen.” Ich warf Lasana einen bedeutungsvollen Blick zu.

Als Arnak das Sprichwort übersetzt hatte und Lasana klargeworden war, worauf es sich bezog, rief sie mit geheuchelter Empörung: „Du nennst mich also einen kleinen Vogel?”

„Das ist nur ein Sprichwort”, verteidigte ich mich. „Du ... bist doch eine Adlerin.”

Während wir so unsere Späße trieben und übermütig plauderten, segelten wir unbehelligt in östlicher Richtung weiter. Längst war die feindliche Brigantine hinter dem Horizont verschwunden, und das Meer lag wieder öde vor uns.

Je höher die Sonne emporstieg, um so unerträglicher wurde die Hitze, und die freudige Erregung der Morgenstunden wich allmählich der üblichen Tagesruhe. Jeder von uns suchte ein schattiges Plätzchen auf, von denen es auf dem Schoner nicht allzu viele gab. So vergingen die Mittagsstunden.

Die Sonne neigte sich bereits gegen Westen, als auf Deck von neuem freudiger Lärm entstand. Alle rannten zum Bug des Schiffes und blickten angestrengt nach vorn. Dort tauchten in weiter Ferne aus dem bläulichen Dunst im Osten die Umrisse eines Berges auf, der ganz eigenartig geformt war. Die eine Seite fiel steil zum Meer ab, während die andere nur ganz allmählich anstieg, so daß der Berg wie der riesige, sich dem Himmel entgegenstreckende Schnabel eines Papageis oder eines Raubvogels aussah.

„Der Geierberg!” hörte ich begeisterte Stimmen rufen.

Ich bediente wieder das Ruder, als der Häuptling und nach ihm Arnak, Wagura, Lasana, die Indianer und die Neger herankamen. Auf ihren Gesichtern lag so viel Glück und Freude, daß auch ich von der allgemeinen Erregung erfaßt wurde.

Der Häuptling Manauri sprach einen einzigen Satz: „Wir kommen näher.”

Wieviel menschliches Schicksal ging von diesen einfachen Worten aus, wie schwer wogen sie! Die Qual langjähriger Sklaverei, die wie ewige Nacht auf diesen Menschen gelastet hatte, war vorbei. Nach den schrecklichen Erlebnissen auf der Insel Margarita und nach der verwegenen Flucht aus den Händen ihrer Peiniger sahen die unglücklichen Indianer, die einst gewaltsam aus ihren Dörfern verschleppt worden waren, endlich das unbestreitbare