„Was hat denn Lasana?” fragte ich Arnak.
„Wahrscheinlich eine der üblichen Weibergrillen”, sagte der Bursche und zuckte die Achseln. „Irgend etwas beunruhigt sie.” „Was kann das sein?”
Arnak hatte keine Ahnung. Da die junge Frau in der Nähe stand, ließ ich sie herbeirufen.
„Was bedrückt dich, Zauberpalme?” fragte ich ohne Umschweife. „Fehlt dir etwas?”
„Mir fehlt nichts...”
Die Indianerin wurde verlegen und sah noch hübscher aus als sonst. Sie blickte zur Seite und versuchte ihre großen Augen unter den langen Wimpern zu verbergen.
„Oder hast du Furcht vor irgend etwas?”
„Ja, ich befürchte etwas”, bekannte sie offenherzig.
„Alle freuen sich, nur du hegst Befürchtungen? Das ist merkwürdig”, tadelte ich sie scherzhaft.
„Und Manauri?” erwiderte sie und zog trotzig die Mundwinkel nach unten. „Ob der sich auch freut?” „Das ist etwas ganz anderes! Er ist Häuptling und hat seine Sorgen. Du aber bist eine junge Frau.”
„Eben, ich bin eine junge Frau! Das ist es ja”, wiederholte sie mit einer gewissen Verbitterung.
„Und keine häßliche”, schmeichelte ich ihr und umfing sie mit meinen Augen.
Doch diesmal war Lasana zum Necken nicht aufgelegt, es war ihr wirklich schwer ums Herz.
„Wovor hast du denn Angst?” fragte ich sie.
„Vor dem Land”, antwortete sie. „Vor dem Stamm! Vor dem Recht des Stammes. . . vor der Trennung!”
Das klang etwas rätselhaft, doch war jetzt weder Zeit noch Gelegenheit, die Zusammenhänge der indianischen Bräuche näher zu erklären. Auch war es möglich, daß sich Lasana vor Arnak, der unser Gespräch übersetzte, darüber nicht aussprechen wollte.
„Jan!” sprach sie plötzlich mit fast feierlicher Stimme und blickte mir ernst in die Augen. „Erinnerst du dich noch, wie du unsere Freunde, die Neger, in Schutz genommen hast, als die Spanier sie in die Sklaverei verschleppen wollten?”
„Natürlich, es war in den Llanos.”
„Damals sagtest du, daß sie unter deinem Schutz ständen und die Spanier sie nicht anrühren dürften. . . Jan! Nimm jetzt mich unter deinen Schutz!”
„Dich, Lasana?”
„Ja, Jan. Du, der Mann, nimm mich, die Frau, unter deinen Schutz!”
Sie sagte diese Worte so einfach und so herzlich, daß ich am liebsten hellauf gelacht hätte. Es war eine heikle Angelegenheit, was sie da verlangte, und doch durfte ich ihr die Bitte jetzt nicht abschlagen. Ich erklärte mich daher bereit: „Einverstanden, Zauberpalme! Ab heute stehst du unter meinem Schutz.”
Der Itamaka ist kein sehr breiter, dafür aber tiefer Fluß, in dem sich die Gezeiten des fernen Ozeans noch bemerkbar machen. Wir konnten mit dem Segler bis auf wenige Meter ans Ufer heranfahren, worauf vom Land aus einige Baumstämme über die Bordkante geschoben wurden, so daß ein Laufsteg entstand, über den wir das Schiff verließen und auch unser Pferd ans Ufer brachten.
Serima war keine zusammenhängende, dicht bebaute Siedlung. Nach der Gewohnheit der hiesigen Indianer standen die einzelnen Hütten in großer Entfernung voneinander. Unser Landeplatz lag ungefähr in der Mitte des Dorfes.
Koneso, der reichen Federschmuck angelegt und verschiedene Schnüre mit Beeren, den Perlen des Waldes, umgehängt hatte, erwartete uns im Schatten eines mächtigen Baumes, umgeben von den Ältesten des Stammes. Alles sah so ähnlich aus wie beim Empfang durch Oronapi und Jekuana. Nachdem wir ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, fiel mir auf, daß neben Koneso, der in seinem Häuptlingssessel thronte, ein zweiter Indianer saß, während die übrigen Stammesältesten wie üblich standen. Besonders aber beunruhigte mich der Umstand, daß ich nirgends Sitzgelegenheiten für die Gäste entdecken konnte. Wollte uns Koneso etwa stehen lassen, während er saß?
„Arnak, siehst du das?” flüsterte ich. „Es sind keine Schemel da.”
„Ich sehe es.”
„Was sollen wir tun?”
„Wir können stehenbleiben, Koneso soll herkommen.”
„Er würde nicht kommen... Wir machen etwas anderes! Auf dem Schiff befinden sich doch Hocker. Wagura! Laufe zum Schoner
zurück und bringe zwei Schemel, aber schnell!” Wagura begriff, worum es sich handelte, und rannte davon.
„Wer ist der Alte neben Koneso?” fragte ich Manauri, als wir langsam weitergingen.
„Das ist der Zauberer Karapana.”
„Seine Stellung ist so einflußreich, daß er sitzen darf?”
„Er ist Konesos rechte Hand und dessen Verstand. Im ganzen Stamm geschieht nichts ohne seinen Willen.”
Nach dem indianischen Zeremoniell erwartet der Gastgeber die Gäste sitzend, ist aber verpflichtet, bei der Begrüßung aufzustehen. Koneso tat dies nicht. Er blieb sitzen, betrachtete uns aufmerksam und hüllte sich in beharrliches Schweigen. Tatsächlich waren für uns weder Schemel noch andere Sitzgelegenheiten bereitgestellt worden. Die abweisende Art und das flegelhafte Benehmen des Oberhäuptlings und seines Gefolges machten einen peinlichen Eindruck und wirkten gleichzeitig lächerlich, da sie in so krassem Gegensatz zu der überströmenden Herzlichkeit standen, mit der die Mehrzahl der Untergebenen Konesos die zurückkehrenden Stammesbrüder begrüßt hatte.
In diesem Augenblick kam Wagura zurück. Flüsternd berichtete er, daß er in der Eile nur einen Schemel gefunden habe. Ich überlegte nicht lange, schob Manauri den Hocker hin, warf mit einer schnellen Bewegung das Jaguarfell ab, zog die Kapitänsjacke aus und bedeutete Arnak, daß er mir aus all dem eine gute Sitzgelegenheit herrichten solle. Gebannt und nicht ohne Schrecken beobachteten die Stammesältesten diesen Vorgang. Wahrscheinlich vermuteten sie dahinter eine symbolische Handlung, genau wie damals im Dorf Jekuanas, und waren von dem Gedanken beunruhigt, was für eine magische Kraft mir wohl innewohne. Sollte sie selbst die Macht des Jaguars übertreffen? Der umsichtige Manauri wußte genau, warum er immer wieder verlangte, daß ich die Trophäe tragen solle!
Koneso war in mittleren Jahren, von stattlichem Wuchs und erschien mir größer und muskulöser als die übrigen Arawaken.
Sein Gesicht drückte Anmaßung und Aufgeblasenheit aus. Was aber am meisten daran auffiel, ja geradezu ins Auge stach, war der Stempel niederer Sinnenlust. Sein wulstiger Mund wirkte abstoßend, und die Augen blickten begehrlich. In diesem Augenblick allerdings konnte weder die hochmütige Aufgeblasenheit noch die Sinnesbegierde die Unsicherheit verbergen, die der Oberhäuptling in der Tiefe seiner Seele empfand.
Eine ganz andere Erscheinung war der Zauberer Karapana. Er zählte viele Jahre, sein Gesicht war von tiefen Falten und Runzeln durchzogen, doch die Augen blickten erstaunlich scharf und jung. Er saß aufrecht auf seinem Schemel, ließ die Hände auf den Knien ruhen und machte nicht die geringste Bewegung. Man konnte glauben, die Statue eines Waldgottes vor sich zu haben. Nur die schlauen Augen, die uns zu verschlingen schienen, wan-derten von einem zum andern und bohrten sich geradezu in uns hinein, als ob sie uns durchdringen wollten. Dieser Mann machte einen düsteren, unergründlichen Eindruck. Man fühlte, daß er zu allem fähig war und leichten Herzens kaltblütig jeden aus dem Wege räumen würde, der es wagen wollte, gegen seinen Willen zu handeln. Nicht ohne Grund fürchteten ihn die Arawaken wie die Pest.
Auf der anderen Seite Konesos stand ein kleiner, schmächtiger Häuptling mit lebhaften Augen. Er verschwand fast unter der Pracht seines Schmuckes aus bunten Streifen und Vogelfedern. Offensichtlich sollte dieser reiche Aufputz die Unansehnlichkeit seiner Gestalt heben. Es war Pirokaj, der Bruder Manauris, jener gefährliche Intrigant. Er sah jetzt seinen Bruder an, doch konnte man aus seinem Blick nicht gerade Freude herauslesen.
Eine ganze Zeitlang fiel kein Wort, wir saßen und starrten uns an. Endlich räusperte sich Koneso und öffnete den Mund. Doch anstelle blumenreicher Begrüßungsworte, an die ich mich bei den Indianern bereits gewöhnt hatte, bekamen wir nur eine gleichgültige, heisere Frage zu hören, die weder an Manauri noch an mich gerichtet war. Der Häuptling murmelte: „Seid ihr müde?”