Ausgerechnet das schien ihm in diesem Augenblick das Wichtigste zu sein? Der Schlag sollte ihn treffen!
„Nein”, gab Manauri mürrisch zur Antwort.
„Oder hungrig?” fragte Koneso weiter.
„Nein”, wiederholte mein Gefährte.
Da der Oberhäuptling keine Anstalten traf, gesprächiger zu werden, hatten auch wir keinen Grund, unbedingt die Höflichkeit zu wahren.
Ich sagte daher: „Ich bin hungrig! Alle, die angekommen sind, haben Hunger!”
Kaum hatte Arnak meine Worte übersetzt, als Koneso den etwas abseits stehenden Frauen auftrug, Speise und Trank herbeizuschaffen.
„Du hast mich schlecht verstanden, Häuptling”, sprach ich betont. „Ich hatte eine andere Nahrung im Sinn.”
„Welche?”
„Herzliche Worte der Begrüßung.”
Koneso ließ sich nicht im geringsten aus der Fassung bringen. „Haben euch meine Leute nicht willkommen geheißen und haben sie keine herzlichen Worte gefunden?” antwortete er angriffslustig. „Sind sie euch nicht entgegengefahren und haben euch begrüßt wie Brüder?”
„Sie haben uns sehr herzlich begrüßt, aber du hast es nicht getan.”
„Ich habe noch Zeit genug”, brummte er und wandte sich mißgelaunt den Frauen zu, die Körbe mit Speisen brachten und große Krüge mit dem unentbehrlichen Kaschiri. Er wachte darüber, daß allen gerecht zugeteilt wurde, uns, den dreißig Gästen, und
seinem Gefolge, den Stammesältesten. Mit verdrießlichem Gesicht trank er Manauri und mir zu, und
das Mahl begann. Doch welcher Unterschied zu dem fröhlichen Schmausen bei den gastfreundlichen Warraulen! Hier war alles gedämpft, gleichsam unter Zwang, es fehlten die freundlichen Zurufe und das befreiende Lachen.
Der Zauberer nahm weder Speise noch Trank zu sich, unbeweglich saß er auf seinem Schemel und rauchte aus einer langen Bambusrohrpfeife. Dabei ließ er beharrlich seinen kühlen, leidenschaftslosen Blick auf uns ruhen, als ob er unseren Gesichtern ein unsichtbares Siegel aufdrücken wolle. Der hinkende Arasybo fürchtete diesen Blick und hockte sich hinter meinem Rücken nieder; doch erreichten ihn die Augen Karapanas auch dort.
Einer Aufforderung Konesos nachkommend, sprach Manauri von den Ereignissen in der Sklaverei, über die Flucht von der Insel Margarita und über alles, was sich sonst noch zugetragen hatte. Seine Erzählung währte lange. Die dicht herandrängenden Indianer hörten mit verhaltenem Atem zu, selbst die Stammesältesten zeigten etwas Mitgefühl, wenn sie auch ihre Zurückhaltung uns gegenüber nicht aufgaben.
Als Manauri seinen Bericht beendet hatte, trat Schweigen ein, das erst nach geraumer Zeit von Koneso unterbrochen wurde. Mit unheilvoll blitzenden Augen wandte sich der Oberhäuptling an Manauri und mich und sprach mit harter Stimme: „Mit welcher Absicht seid ihr hierhergekommen? Das erzählt uns jetzt!”
Dieser plötzliche Ausbruch von Feindseligkeit und die unverständliche Frage kamen so unerwartet, daß wir nicht wußten, was wir antworten sollten.
„Was führt ihr im Schilde?” fuhr uns Koneso an.
Ich bemerkte, daß Manauri nach diesen Worten von mächtigem Zorn erfaßt wurde. Die Wangen färbten sich dunkler, seine Züge verkrampften sich, daß er kaum mehr zu erkennen war, und in den Augen glimmte ein Ausdruck von Wildheit wie bei einem Raubtier. Doch verlor er seine Selbstbeherrschung nicht, machte keine unbeherrschte Bewegung und bändigte seinen Zorn. Langsam, mit gepreßter Stimme, antwortete er: „Wie kannst du uns so verleumden? Wir führen nichts im Schilde! Merke dir das, Koneso! Wir sind als Brüder zu Brüdern gekommen. Unsere Absichten sind rein.”
„Rein?”
„Kannst du daran zweifeln? Wo bleibt deine Überlegung?... Ja, unsere Absichten sind rein.”
Koneso brach in haßerfülltes Lachen aus.
„Und was hat sich bei den Warraulen abgespielt? Oder willst du das etwa Ieugnen?” fragte er dann.
„Was, zum Teufel, soll sich dort abgespielt haben?”
„Du leugnest also, daß ihr euch verschworen habt?’ „Verschworen? Die Warraulen haben uns gastfreundlich aufgenommen.”
„Und dieses niederträchtige Bündnis, das ihr geschlossen habt?” „Ein niederträchtiges Bündnis?’
„So ist es, Manauri, ein niederträchtiges Bündnis gegen mich, zu meinem Verderben, um mit Hilfe der Warraulen Unfrieden im Stamm zu säen..
Nun war es Manauri doch zuviel. Er stand auf, ging langsam, wie mit lauernden Schritten, auf den Oberhäuptling zu, neigte sich etwas zu ihm herab und schleuderte ihm in verachtungsvoller Empörung die schimpflichen Worte ins Gesicht: „Koneso, dir haben die Würmer den Verstand zerfressen! Obwohl du wenig gastfreundlich bist und mit dem Kaschiri für uns und für dich knauserst, obwohl du also noch nicht viel getrunken hast, redest du so einen Unsinn, als ob du nicht mehr zurechnungsfähig wärest!”
Allgemeine Bestürzung herrschte ringsum. Zwar besaß der Oberhäuptling bei den südamerikanischen Stämmen meistens keine absolute Macht, war nicht Herr über Leben und Tod der Angehörigen des Stammes, sondern herrschte nur dann über sie, wenn sie seinen Mut und seinen Verstand anerkannten; trotzdem konnten die beleidigenden Worte Manauris unberechenbare Folgen haben, ja geradezu eine Katastrophe herbeiführen. Koneso brauchte nur sein bis an die Zähne bewaffnetes Gefolge auf uns zu hetzen, so wären wir mit einem Schlag niedergeworfen worden, denn keiner von uns hatte Waffen bei sich. Im stillen sagte ich mir, daß Manauri den Bogen überspannt habe.
Zum Glück kam es zu, keinem Kampf. Koneso unternahm nichts, sondern blieb weiterhin ruhig sitzen. Vielleicht befürchtete er, daß ein Teil des Stammes uns günstig gesinnt war? Vielleicht neigte er auch von Natur aus nicht zu Gewalttaten?
Auf jeden Fall aber mußte der Streit so schnell wir möglich beigelegt werden, es durfte nicht zum Äußersten kommen. Ich hegte den Verdacht, daß Manauri den Zank absichtlich verschärfte, um sich von seinem Einfluß im Stamm zu überzeugen, und daß er Koneso deshalb eine so scharfe Antwort auf dessen Flegelhaftigkeit gegeben hatte. Sollte dies der Zweck seines Handelns gewesen sein, so hatte er sein Ziel erreicht und sichtlich die Oberhand gewonnen. Wie dem auch war, die heißen Köpfe mußten abgekühlt werden.
Ich sprang daher auf und bat, etwas sagen zu dürfen. Von Arnak und Wagura tatkräftig unterstützt, konnte ich mir nach einiger Zeit Gehör verschaffen.
„Ich bin ein Freund Manauris”’, rief ich mit schallender Stimme, „doch will ich genauso ein guter Freund Konesos, Karapanas und Pirokajs sein!”
Ich erklärte dann, wie wir durch die harten Prüfungen, das erduldete Leid und die gemeinsamen Kämpfe einander nähergekommen waren und wie ich meine Gefährten, die Arawaken und die Neger, aufrichtig schätzengelernt hatte. Sie hatten meine Achtung in so hohem Maße gewonnen, weil ich bei ihnen die gleichen guten Eigenschaften des Denkens und des Herzens entdeckte, die mir selbst soviel bedeuteten — die Ehrlichkeit und die Treue. „In meinem ganzen Leben ist mir noch keine Lüge über die Lippen gekommen, und deshalb mußt du, Koneso, es mir glauben, wenn ich dir versichere, daß wir alle mit reinen Gedanken hierhergekommen sind, als Brüder zu Brüdern, und daß das Bündnis, das uns von den Warraulen angeboten wurde, nicht gegen dich als Oberhäuptling gerichtet ist.”
„Wozu habt ihr es dann abgeschlossen?” knurrte Koneso.
„Weißt du denn noch nicht, was von Süden her droht? Sind nicht
arawakische Jäger während der letzten Trockenzeit spurlos verschwunden?”
Koneso wußte genau, welche Gefahr von den Akawois drohte, und auch die anwesenden Arawaken kannten die Gefahr, weshalb ein Gemurmel des Verstehens durch die Reihen lief.