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„Die Warraulen leben nicht nur am Orinoko”, fuhr ich fort, „ihre Siedlungen ziehen sich weit nach Süden hinunter, und sie sind schon öfter von den Akawois überfallen worden. Kann man sich da wundern, daß sie uns zu Verbündeten haben wollten, als sie von unseren Taten hörten und unsere Leute sahen? Darf man darin etwas Schlechtes sehen?”

„Warum sind sie nicht zu mir gekommen, sondern zu euch?” brauste Koneso auf.

„Weil wir in der Nähe waren und mit unserem Schiff an ihren Dörfern vorbeikamen. Übrigens bezieht sich das Bündnis selbstverständlich auf alle Arawaken am Itamaka, wir sind nur die Fürsprecher, welche dir, Koneso, das Bündnis mit den Warraulen überbringen.”

Doch auch diese Erklärung genügte der verletzten Eitelkeit des Oberhäuptlings nicht.

„Und was soll das bedeuten, daß ihr eine neue Sippe gebildet habt?” schnaubte er wütend. „Ihr wollt absichtlich einen Keil in den Stamm treiben, ihr wollt ihn spalten.. .”

„Wo werden wir!” verneinte ich lebhaft. „Diese Menschen haben viele Jahre in der Sklaverei verbracht und sind einander im Unglück nähergekommen. Sie haben sich gemeinsam die Freiheit erkämpft und möchten nun auch in Zukunft als eine Sippe miteinander leben und so dem ganzen Stamm dienen. Kann man ihnen das übelnehmen?”

Der Häuptling wollte nicht aufhören. Er brüllte: „Ihr seid mit allem gut versorgt! Ihr werdet die andern in eure Sippe locken! Ihr wollt einen eigenen Stamm bilden! Ihr droht...”

„Höre auf, Koneso!” ließ sich plötzlich, die Worte dehnend, eine alte Stimme vernehmen; es war eine leise, unauffällige Stimme,

die aber eine unglaubliche Wirkung hervorrief. Nicht nur, daß Koneso sofort verstummte, auch sein Zorn schien im Nu verraucht zu sein. Es war Karapana, der sich eingeschaltet hatte. Nach seinen Worten wurde es mäuschenstill.

„Hör auf damit”, wiederholte Karapana noch einmal. „Du kläffst wie ein närrischer Hund.”

Tatsächlich verstummte Koneso wie ein Hund, der Schläge bekommen hat. Seine wollüstigen Augen schauten so verblüfft drein, daß jeder merken konnte, wie ihm vor Erstaunen alle Gedanken aus dem Kopf entwichen. Er öffnete den Mund. Vielleicht wollte er, ohne sich dessen bewußt zu sein, etwas erwidern, aber Kara-pana kam ihm zuvor, indem er erklärte: „Es sind unsere Brüder. Heißt sie willkommen!”

„Ja, es sind eure Brüder!” bekräftigte ich erfreut.

„Gebt ihnen die Hände”, ermunterte der Zauberer die ältesten lebhaft. „Bei den Weißen ist es so Sitte, und sie haben lange unter den Weißen gelebt. Versage ihnen nicht die Hand, Koneso! Auch du nicht, Pirokaj, und ihr andern alle!”

Die feindliche Stimmung war im Nu weggefegt, Vernunft und Herzlichkeit trugen den Sieg davon. Die Ältesten kamen auf uns zu, Hände wurden geschüttelt, Lachen klang auf, und freundschaftliche Worte wurden gewechselt. Viele Indianer, die abseits standen und sich über das Gehabe der Ältesten geärgert hatten, waren jetzt außer sich vor Freude.

Nur Karapana, der umsichtige Urheber dieser schönen Eintracht, nahm keinen Anteil an dem Geschehen. In der seinem Alter zukommenden Würde saß er da, sog an der Pfeife und beobachtete durch die aufsteigenden Rauchschwaden hindurch scharf seine Umgebung; nur selten äußerte er ein Wort.

„Wir sind neugierig, ob ihr auch für uns solche Geschenke mitgebracht habt wie für die Warraulen”, rief einer der Ältesten aus. „Natürlich haben wir Geschenke mitgebracht”, antwortete Ma-nauri bereitwillig.

„Ich will einen Degen!” schrie Fujudi.

„Auch ich will einen Degen!” meldete sich eilig Pirokaj, und nach ihm forderten mehrere Stimmen: „Ich auch! Ich auch!”

Seit unserem Besuch bei den Warraulen schienen spanische Degen am Orinoko Mode geworden zu sein. Leider besaßen wir nur noch zwei von diesen unnützen Dingen, die wir Koneso und Pirokaj übergaben. Die übrigen nahmen mit bunten Tüchern und verschiedenen Kleidungsstücken vorlieb — so mancher tapfere Krieger zog sich eine Jacke über. Die Augen des Zauberers funkelten vor Gier, doch kam auch an ihn die Reihe: er erhielt einen pompösen Kapitänshut mit einer prächtigen Straußenfeder. Die Ältesten wurden von einem regelrechten Taumel ergriffen, möglichst viel zu besitzen, und lagen uns mit kindlicher Zudringlichkeit in den Ohren, ihnen dies oder jenes zu schenken, und zwar nicht nur ein Stück, sondern gleich mehrere.

„Gib mir eine Büchse!” brüllte Koneso.

„Mir auch eine!” Pirokaj eilte herbei.

„Jetzt gebe ich keine Schußwaffen heraus”, antwortete ich. „Ich benötige sie noch. Später sollt ihr sie bekommen.”

„Wann?” Der enttäuschte Oberhäuptling verzog die Lippen. „So gib mir den Gefangenen, diesen Spanier.”

„Der ist mein Eigentum”, entschied ich. „Er bleibt bei mir!”

Da seine Hoffnung abermals enttäuscht wurde, stieg Zorn in ihm auf, was der Aufmerksamkeit des Zauberers nicht entging. „Ko-ne-so!” ertönte die rügende Stimme Karapanas.

Augenblicklich mäßigte sich der Häuptling, nur seine unsteten Blicke kreisten in unersättlicher Habgier. Jetzt blieben sie auf Lasana haften. Begehrend funkelten die häßlichen Augen, und die Zunge schob sich zwischen die geöffneten Lippen. In diesem Augenblick bot der Häuptling den Anblick eines eigensinnigen Kindes und eines ausschweifenden Lüstlings zugleich.

Gleich darauf entdeckte er das Pferd, das etwas abseits graste. „Ich will das Pferd!” schrie er los und warf mir einen herausfordernden Blick zu. Er war fest davon überzeugt, daß ich ihm ein so wertvolles Geschenk verweigern würde.

Doch hatte er sich getäuscht, denn diesmal schlug ich ihm die Forderung nicht ab, sondern erwiderte: „Das Pferd? Nimm es dir.” Koneso geriet völlig aus dem Gleichgewicht, was sich allzu deutlich auf seinem Gesicht abzeichnete. Ein Pferd war am unteren Orinoko ein äußerst seltenes Tier und sein Wert gar nicht abzuschätzen.

„Ich schenke dir das Tier, aber nur unter einer Bedingung”, fügte ich hinzu. „Solange ich mich bei euch aufhalte, kann ich es benutzen, so oft ich will.”

Die Andeutung, daß ich nicht für immer zu bleiben gedachte, brachte den Häuptling zur Besinnung. Forschend blickte er zu mir herüber.

„Du bleibst nicht für immer bei uns?” fragte er dann mißtrauisch.

„Nein. Das war nie meine Absicht’, gab ich zur Antwort.

Auch Karapana lauschte dem Gespräch mit ungewöhnlicher Spannung. Er beugte sich sogar etwas vor, damit ihm ja kein Wort entgehe.

„Du bleibst nicht hier?” wiederholte Koneso überrascht. „Und wann willst du uns verlassen?”

„Das weiß ich noch nicht. Wenn der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist. Vielleicht in einigen Wochen.”

„Und wohin willst du gehen?”

„Hast du noch nichts von den englischen Faktoreien gehört, die an der Mündung des Essequibo liegen sollen?”

„Davon habe ich gehört. Dorthin willst du also?”

„Ja, dorthin möchte ich, vorausgesetzt, daß ihr mir helft.”

Koneso und Karapana wechselten einen flüchtigen Blick miteinander, doch konnte ich nicht feststellen, worüber sie sich verständigten. Sicher war, daß ihnen die Nachricht meines baldigen Verschwindens Freude bereitete.

Sie mißtrauen mir noch immer, dachte ich.

Der Tag ging langsam zur Neige, die Sonne versank bereits in den Dunstschleiern des Westens. Wie immer in den Abendstunden erwachte der Urwald zu neuem Leben, und wie er erwachte, mit welcher Leidenschaft und mit welch wundervollen Lauten! Als ich die vielen unbekannten Vogelstimmen hörte, die ihre an-mutigen Begrüßungstriller aus dem Dickicht herüberschickten, wurde ich von einer so heißen Jagdlust befallen, daß ich am liebsten aufgesprungen und mit der Büchse in den Wald gelaufen wäre. Wenn dort so viele Vögel lebten, wieviel anderes jagdbares Getier mußte dann ringsum hausen?

So hatte also unsere mühselige Reise ein Ende gefunden. Das Ziel war erreicht, zumindest das meiner Gefährten. Sie hatten zu den Ihren zurückgefunden. Ihr viele Monate, ja Jahre währendes Sehnen und Streben hatte sich in einem Maße erfüllt, wie sie es besser nicht hätten erträumen können. Auch die letzten Hindernisse hatten wir glücklich bezwungen, die schroffe Ablehnung der barschen Stammesältesten war besiegt, unsere herzlichen Worte und die schönen Geschenke hatten sie entwaffnet. Als sich der Tumult endlich legte und freundliches Geplauder von Menschen, die sich und ihr Lachen wiedergefunden hatten, an seine Stelle trat, überkam mich ein Gefühl der Erleichterung. Ich empfand das stille Glück eines ewigen Wanderers, der nach mühevoller Reise heimgekehrt ist, die behagliche Ruhe eines Kämpfers nach gewonnener Schlacht. Endlich konnte ich mich entspannen, durfte wieder ich selbst sein, die ermüdende Wachsamkeit gegenüber den Menschen aufgeben und meine ganze Aufmerksamkeit der Tierwelt zuwenden. Wie ganz anders nahm ich nun den Geruch der Wildnis in mich auf, wie süß klangen die Akkorde des Waldes zu mir herüber, wie lockte die brodelnde, heiße Üppigkeit der Jagdgründe! Während meiner ganzen Jugend hatte ich in den virginischen Steppen gejagt, und jetzt durfte ich wieder zu meiner Natur zurückkehren, durfte hingehen und mich am Zauber der Waldeinsamkeit berauschen, dem Jaguar nachspüren und unbekannten Wesen gegenübertreten.