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„Wir werden noch sehen”, brummte er durch die Nase und schickte sich an zu gehen.

„Höre zu, Koneso.” Ich hielt ihn zurück. „Die Angelegenheit ist klar, Lasana bleibt bei mir. Aber das, was du sprichst, ist unklar, ist unverständlich.”

„Was meinst du damit?”

„Du machst uns Schwierigkeiten, obwohl du Geschenke angenommen hast; du hast einen Degen und ein Pferd erhalten. Ist dir das noch zuwenig?”

„Vielleicht ist es zuwenig!” Er lachte herausfordernd über seinen Witz.

„Eines kann ich nicht verstehen”, fuhr ich fort. „Man hört, daß sich die schrecklichen Akawois auf einen Raubzug an den Orinoko vorbereiten, und ihr, anstatt eure Wachsamkeit und eure Kraft zu vereinigen, vergeudet sie und benehmt euch wie Wahnsinnige und Blinde. Ihr streitet, sät Uneinigkeit im Stamm und zieht ein Gewitter auf euch herab, das uns allen Unglück bringen kann.” „Wer?” rief Koneso aus und tat belustigt. „Wer zieht ein Unwetter herbei? Wir? Wir säen Uneinigkeit?”

„Wer denn sonst?”

„Ihr! Als ihr noch nicht hier wart, hat niemand die Eintracht gestört. Wer hat den Frieden aus dem Stamm vertrieben, wenn nicht ihr durch eure Ankunft? Ihr seid an allem schuld!”

So stellte er höhnend die Dinge auf den Kopf, ging davon und ließ uns in noch größerer Zwietracht zurück als vorher. Einige Hitzköpfe unter meinen Gefährten vertraten die Meinung, wir sollten Serima verlassen und einige Meilen oberhalb dieses ungastlichen Dorfes eine Siedlung anlegen; doch die Mehrzahl, auch Manauri, widersetzte sich diesem Vorschlag. Sie glaubten, daß die bösen Launen der Ältesten nach und nach vorübergehen und die Mißverständnisse bald ein Ende nehmen würden.

Die folgenden Tage waren der Ruhe und dem Nichtstun gewidmet. Zu essen hatten wir im Überfluß, denn die Bewohner Seri-mas, die sich in den vergangenen zwei Jahren mit allem Nötigen eingedeckt hatten, gaben uns genügend von ihren Vorräten und gestatteten uns außerdem, auf die Felder zu gehen und von der reichen Ernte zu nehmen. Die Hauptnahrung bildeten die riesigen Wurzeln einer Pflanze, die von den Indianern und auch von Pedro Mandioka genannt wurde. Zunächst preßte man den unverdaulichen Saft aus, dann wurden die Knollen gekocht und verzehrt. Eine vorzügliche Abwechslung boten die verschiedenen Früchte, die in der Nähe der Siedlung angebaut worden waren und auch wild im Urwald wuchsen, sowie vor allem Fische, von denen es nicht nur im Fluß, sondern in fast jedem Tümpel geradezu wimmelte. Auch gab es jede Art Wild, vom Wildschwein bis zu den Nasenbären, die ihren Bau in hohlen Baumstämmen hatten.

Bereits nach wenigen Tagen hatte sich unsere Sippe an den Tagesablauf des indianischen Dorfes gewöhnt. Das Faulenzen war nicht nach dem Geschmack unserer Leute. Die einen suchten im Urwald nach geeigneten Stellen, wo sie Bäume pflanzen und Felder anlegen könnten, andere gingen ans Wasser, um Fische zu fangen. Sie legten Angeln und Reusen aus oder sperrten Bäche ab; manche benutzten dazu Pfeil und Bogen oder betäubten die Fische mit Gift. Wieder andere sammelten Früchte oder jagten verschiedenes Wild. Den letzten gesellte ich mich zu, unaussprechlich glücklich, nun in meinem Element zu sein.

Den Schoner brachten wir zu unserer kleinen Siedlung und verankerten ihn gegenüber meiner Hütte. Wir wollten das Schiff ständig unter den Augen haben, da es unsere Vorräte und die von den Spaniern erbeuteten Sachen enthielt.

Das Bewußtsein der von den Akawois drohenden Gefahr drängte mich, öfter Übungen mit den Feuerwaffen zu veranstalten. Die Schützen waren mit Freude dabei, und als sie genügend Fertigkeit gewonnen hatten, erlaubte ich ihnen, mit den Büchsen auf die Jagd zu gehen. Den Indianern erschienen zwar im Urwald Pfeil und Bogen nützlicher als eine Schußwaffe, doch nahmen sie trotz-dem immer die Büchsen mit, die sie sich malerisch über die Schultern hängten, denn sie hoben nach ihrer Meinung die männliche Schönheit und steigerten das Ansehen.

Auch die anderen Waffen vernachlässigten wir nicht. Wenn wir nicht gerade im Urwald jagten oder auf dem Fluß fischten, übten wir mit dem Bogen, mit dem Speer, mit der Keule und mit dem mir bisher unbekannten Blasrohr, einem acht bis neun Fuß langen Bambusrohr, aus dem kleine vergiftete Geschosse auf ziemlich große Entfernungen geschleudert wurden. Allmählich ergriff alle Beteiligten die Lust zum Wettstreit, und einige Schützen brachten es zu bewundernswerter Fertigkeit.

Koneso und sein Helfershelfer Pirokaj versuchten von Anfang an, unsere Sippe zu zerschlagen und die Menschen mit allerlei Versprechungen von uns wegzulocken, doch hatten sie keinen Erfolg. Bis auf zwei Fälle wankelmütiger Seelen bemühten sie sich vergebens. Unsere Leute wollten wirklich zusammenbleiben, sie fühlten sich als eine Familie, und ich begriff bald, worin der Grund dafür lag: Es waren nicht nur die gemeinsamen Erfahrungen während des langen Zusammenlebens, nicht nur die Existenz meiner Person, meiner Waffen und des reichen Schiffes, sondern der Grund lag vor allem darin, daß sie völlig anders waren als die übrigen Arawaken. Diese vom Schicksal in der Welt umhergeworfenen Menschen waren in ihrer Entwicklung weitergekommen, sie waren härter geworden, ihr Charakter hatte sich geformt. Sie hatten einen stärkeren Lebenswillen, das Blut in ihren Adern pulsierte schneller, sie waren elastischer, beweglicher, interessierter an allen Dingen des Lebens als ihre ansässigen Landsleute.

Ihr Unternehmungsgeist und ihre Betriebsamkeit übten auch auf viele Einwohner Serimas einen geradezu magischen Einfluß aus. Diese durch die Hitze des Dschungels etwas verschlafenen, trägen, schwerfälligen Indianer schienen plötzlich aufzuleben, begannen lebhafter zu werden und zu überlegen. Daß die nächsten Anverwandten unserer Sippenmitglieder zu uns übersiedelten, war verständlich, aber es kamen auch andere, durchaus nicht blutsverwandte Angehörige des Stammes in unseren Kreis, wie von einer unwiderstehlichen Kraft angezogen. Sie gierten gewissermaßen nach unserer Freundschaft, fragten um Rat, suchten fröhliche Unterhaltung und hätten sich gern für ständig in der Nähe unserer Feuerstellen niedergelassen. Manauri aber widersetzte sich diesem Ansinnen, um nicht den Neid der ältesten aufzustacheln, die dem allem mit scheelen Augen zusahen.

Auf die Jagd gingen wir zu zweit oder zu dritt. Meine Begleiter waren gewöhnlich Arnak, Wagura, Pedro und nach einiger Zeit auch Lasana, deren Mutter inzwischen zu ihr gezogen war. Ich begann jetzt, das Unwahrscheinliche, geradezu Betäubende dieses Urwalds in mich aufzunehmen und zu erleben. In den heimatlichen Wäldern Virginiens waren die mannigfaltigsten Bäume gewachsen, doch was waren sie gegenüber diesem chaotischen Übermaß, gegenüber der zügellosen Fülle der hiesigen Pflanzenwelt? Auch manches schwer zu durchdringende Dickicht hatte es im virginischen Wald gegeben, doch konnte man es nicht mit diesem Gewirr, mit dieser grünen Furie, mit dem unerbittlichen Drängen der Äste, Blätter, Schlingpflanzen, Stacheln und Dornen vergleichen, in dem es so schwer war, auch nur einen Schritt vorwärts zu tun, wo sich Fesseln um den Körper legten, wo der Mensch gedrückt und gewürgt wurde, daß Denken und Fühlen zu versagen drohten. Dem Auge bot sich nur ein sinnloses, abstoßendes Chaos, doch die Sinne des erfahrenen Waldläufers vermochten in dem scheinbaren Wirrwar die ordnende Vernunft der Natur und ihre weisen Lebensgesetze wahrzunehmen, schlürften diese wilde Schönheit und schöpften ein eigenartiges herbes Lustgefühl. Niemals aber konnte man wissen, ob dieses unübersichtliche Dickicht dem Menschen als schenkender Freund oder als unerbittlicher Feind gegenübertreten würde.

Obgleich die Tierwelt dieses Waldes so zahlreich war, bekam man sie nicht leicht zu Gesicht, und noch schwerer war es, ein Wild zu erlegen. Der grüne Vorhang verbarg jedes Tier, und dessen lauschende Sinne nahmen schon von weitem die Geräusche wahr, die der vordringende Jäger verursachte. Kleine Pfade zogen sich im Urwald hin, Pfade von Menschen und Pfade von Tieren. Nur auf ihnen konnte man sich leise bewegen und sich einem Wild nähern.