Wenn der Zauber des Jagens in der großen Überraschung liegt, die hinter jedem Gebüsch auftauchen kann, in unvorhergesehenen Ereignissen, dann konnte man die Wildnis am Itamaka als die erträumten Jagdgefilde bezeichnen, als paradiesische, zauberhafte Wiege der unwahrscheinlichsten Begegnungen. Wie viele verborgene Wunder gab es hier zu entdecken, welche Vielfalt blutdürstiger Bestien hauste in diesen Wäldern!
Außer dem Jaguar konnten noch andere Raubkatzen den Weg des Jägers kreuzen. Eine davon, ähnlich gefärbt wie der Löwe, bezeichnete Pedro als Puma. Hirsche, Guasupitas genannt, oder Saguinos, Wildschweine, konnten plötzlich vor den Lauf geraten, und im Schlamm des Flußufers suhlten sich die Wasserschweine. Eigenartige Tiere waren die Maschadis, deren Haut so hart ist wie ein eherner Schild und die mit ihrer grotesk verlängerten Nase einem Elefanten ähneln. Natürlich bevölkerten unzählige Herden vielgestaltiger Affen den Urwald. Man konnte dem Hateke begegnen, dem Gürteltier, das ganz mit panzerartigen Platten bedeckt ist, oder einem anderen seltsamen Wesen, dem Tamanoa, einem Ameisenfresser mit unheimlich langgezogener Schnauze und so starken Vorderklauen, daß er einen Menschen zerreißen könnte. Einen noch verwunderlicheren Anblick bot der Unau, ein friedlicher Vierfüßler, der von Baumästen herabhängt und sich nie zu bewegen scheint.
Und erst die Vielfalt der Wasser- und der Waldschildkröten, der Eidechsen, von denen die Guanas wie kleine Drachen aussehen, und besonders die verschiedenen Arten von Schlangen, Giftschlangen und Riesenschlangen sowie die tückischen Kaimane, die in stillen Wassern lauern! Die Gewässer wimmeln von eßbaren Fischen und gefährlichen Scheusalen, den platten Siparis, in deren Schwanz ein giftiger Stachel verborgen ist, den Humas, kleinen Fischen von unvorstellbarem Blutdurst, und den Jaringas, von denen die Indianer Dinge erzählen, die ich zunächst für eine Fabel hielt. Diese kleinen Ungeheuer sollen imstande sein, einen badenden Menschen zu töten. Angeblich fallen sie so blitzschnell über ihn her, daß sie ihn im Nu unschädlich machen.
Schier unermeßlich war die bunte Welt der unzähligen Vögel auf und über der Erde, eine zwitschernde, dankbare, fröhliche Welt, über der hoch droben am Himmel ihr düsterer Beherrscher seine Kreise zog: der Riesenadler mit dem großen Schopf, der halb legendäre Mesime, der unbezwingbare Mörder von Affen und anderen Kleintieren, dessen Kraft so groß sei, daß er sich, wie man sagt, mit einem fünfzehnjährigen Jungen in die Lüfte erheben könne.
Die Arawaken, die nun schon zwei Jahre am Itamaka lebten, weihten mich in die Geheimnisse des Urwaldes ein, und ich erfuhr von so manchem Wundertier. Zuweilen war schwer zu unterscheiden, wo die Wahrheit aufhörte und die Einbildungskraft begann. So wurde ich mit dem gleichen Ausdruck des Schreckens vor dem Jaguar gewarnt wie vor dem Kanaima, von dem ich bereits wußte, daß er als Rachegeist gefürchtet war, und die Gestalt der bös-artigen Guanas, einer Eidechsenart, wurde mir genauso eingehend beschrieben wie das Aussehen der Hebus, stieläugiger, behaarter Waldwesen, die sich als unheilbringende Geister Verstorbener entpuppten. Neben Erzählungen darüber, daß die an den Fluß-ufern lebende Riesenschlange Komuti Menschen angefallen hatte, hörte ich Geschichten über die im Wasser hausenden Maikisikiris, die noch nie ein Mann zu Gesicht bekommen habe, da sie nur auf das weibliche Geschlecht versessen seien. Erst später bekam ich heraus, daß es sich bei den Maikisikiris um Wassergeister handelte. So verwoben sich die wirkliche und die eingebildete Welt zu einem wirren Knäuel, und sooft ich auch den endlosen Urwald betrat, niemals wußte ich, wo die Grenze lag zwischen Gefahr und Schrecken und Entzücken, wo die Wirklichkeit aufhörte und wo das Trugbild begann. Diese Unsicherheit erzeugte ein eigen-artiges, grenzenloses Lustgefühl, wie alles, was diese Wildnis barg.
In der Umgebung unserer Hütte gab es erstaunlich viele Schlangen, und zwar äußerst giftige. Besonders in der Nähe des Pfades, der in den Urwald führte, und auf dem Pfad selbst töteten wir täglich eine ganze Anzahl, und doch nahmen sie nicht ab; am nächsten Tag kroch neues Ungetier auf der Erde herum.
„Wir müssen besonders anziehend auf sie wirken”, rief ich scherzend aus. „Oder fallen sie vielleicht vom Himmel?’
Die Gefährten sahen sich verlegen an, als ob sie sich selbst schuldig fühlten oder sich für diese Ungunst der Natur schämten. In dieser Gegend, erklärten sie mir, käme es manchmal vor, daß meilenweit nicht einmal der Schwanz einer Schlange zu sehen sei, an einer anderen Stelle gebe es wieder eine Unmenge dieser ekelhaften Geschöpfe. Manauri erinnerte sich, daß er einmal an einem entlegenen Ort plötzlich vor sechzehn Schlangen gestanden habe, die sich sonnten, lauter Sororoimas, die giftigsten der Giftschlangen. Zwar hatte er sofort kehrtgemacht und war gerannt, so schnell ihn die Beine trugen, doch überliefen ihn noch nach langer Zeit kalte Schauer, wenn er daran dachte. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mich mit den spanischen Stiefeln zu versöhnen und sie aus Sicherheitsgründen zu tragen; denn ihr Leder konnte der stärkste Giftzahn einer Schlange nicht durchbeißen. Lasanas Mutter, eine sehr umsichtige Frau, schuf auf ihre Weise Abhilfe. Als sie zu uns übersiedelte, brachte sie einen gezähmten Tujuju mit, einen Riesenstorch mit schwarzem Kopf und ebensolchem Schnabel, der ein fanatischer Vertilger jeder Art Reptilien war. Tatsächlich schien seit dieser Zeit das widerliche Gezücht um den Pfad herum abzunehmen.
Ich hatte es mir zur Gewohnheit gemacht, jeden Morgen auf das Schiff zu gehen und auf dem Deck und in den Laderäumen, in denen wir die Pulverfäßchen aufbewahrten, nach dem Rechten zu sehen. Als ich eines Tages den Laufsteg auf die Bordkante geschoben hatte, lief der muntere Dorfhund, der mich auf dem Rundgang zu begleiten pflegte, vor mir her auf das Deck des Schoners. Kaum war er im Laderaum verschwunden, winselte er schmerzvoll auf und kam mit ängstlich eingezogenem Schwanz wieder heraus. Hinter ihm erschien eine dunkle Schlange in der Luke, deren Körper mit bronzefarbenen Flecken gezeichnet war. An der herzähnlichen Form des Kopfes erkannte ich sofort, daß ich eine Giftschlange vor mir hatte, und konnte gerade noch zur Seite springen. Zum Glück hatte ich eine Rute in der Hand, mit der ich ihr zweimal über den Kopf schlug, bis sie liegenblieb. Im Laderaum entdeckte ich eine zweite, genauso gefährliche Schlange, und unter dem Ruder lauerte eine dritte. Diese hatte sich zusammengerollt, hielt den Kopf erhoben und war bereit, jeden Augenblick zuzustoßen. Ihre kleinen Augen schossen wütende Blitze. Ich konnte die drei Bestien leicht unschädlich machen, da sie auf dem Deck nicht schnell vorankamen und nur dem gefährlich wurden, der ahnungslos in ihre Nähe geriet.
Die Anwesenheit der Schlangen auf dem Schiff war ein Rätsel, das ich mir nicht auf natürliche Weise erklären konnte. Der Schoner war auf allen Seiten von Wasser umgeben und hatte keine Verbindung mit dem Land, mit Ausnahme der kurzen Zeit, da der Laufsteg auf der Bordkante lag. Woher kamen also diese schrecklichen, Schlangen? Hatte sie jemand hergebracht, der meine Wege kannte und mir nach dem Leben trachtete?
Der Hund, den das Reptil ohne Zweifel gebissen hatte, kam nicht weiter als bis ans Ufer; dort brach er plötzlich zusammen.
Er lebte nur noch einige Minuten. Sein Körper wurde von furcht-baren Krämpfen geschüttelt, und blutiger Schaum troff ihm von den Lefzen. Auch aus den Augen und den Ohren trat Blut heraus. Erschüttert stellte ich die verheerende Wirkung des Giftes fest, und als der Hund verendet war, wurde mir bewußt, daß ich jetzt leblos hier liegen würde, wenn nicht dieser unfreiwillige Wohltäter gewesen wäre. Obwohl ich mir nicht leicht Angst einjagen lasse, packte mich Entsetzen, und eisige Schauer jagten mir über den Rücken.