Выбрать главу

Mein Verhältnis zu Pedro gestaltete sich immer herzlicher. Er war ein verträglicher, ehrlicher und williger Junge, den man liebgewinnen mußte. Besonders gut hatte er sich mit dem immer fröhlichen Wagura angefreundet. Sie waren wie zwei Brüder, und der junge Spanier schien ganz vergessen zu haben, daß er sich eigentlich in Gefangenschaft befand. Er war sehr geschickt und arbeitsam und stand mir nicht nur beim Erlernen des Spanischen hilfreich zur Seite. Da er eine gute Auffassungsgabe besaß, hatte er schnell die arawakische Sprache erlernt. Er genoß die gleiche Freiheit wie alle anderen, ja, ich hatte ihm sogar eine Schußwaffe gegeben und ihm versprochen, daß er bei der ersten Gelegenheit zu seinen Landsleuten zurückkehren dürfe. Es klingt vielleicht lächerlich, doch erfüllte mich Dankbarkeit ihm gegenüber, weil ich in ihm die mir sehr angenehme Entdeckung machen durfte, daß auch unter diesen grausamen Lumpen, den Spaniern, edle Menschen zu finden waren, die Freundschaft und Achtung verdienten.

Eines Morgens ging ich mit Wagura und Lasana auf die Jagd. Wie gewöhnlich benutzten wir den Pfad, der fünfzig und mehr Meilen in südlicher Richtung verlief, die Schluchten der Itamaka-berge durchquerte und im Tal des Cuyuni endete, den seit undenklichen Zeiten die wandernden indianischen Händler gegangen waren. Ich hatte die Pistole im Gürtel und eine treffsichere Kugelbüchse über der Schulter. Lasana trug ihren Bogen, mit dem sie nur selten fehlte, und Wagura war mit einem Blasrohr bewaffnet, das in diesen Gegenden nur wenig verwendet wurde. Die kleinen, leichten Geschosse dieser Waffe waren furchtbar. Wenn sie die Haut eines Menschen oder selbst eines großen Tieres nur ein wenig ritzten, so gab es keine Rettung mehr. Das Urari, ein starkes Gift, mit dem sie präpariert waren, führte in wenigen Minuten unweigerlich den Tod herbei.

Als wir nach zwei Stunden eine Gegend erreichten, in der gewöhnlich viel Wild anzutreffen war, überraschte uns ein so heftiger Platzregen, daß es im Wald fast finster wurde. Lasana und ich stürzten zu einem mächtigen Baum, den die Indianer Mora nennen, und Wagura suchte etwa vierzig Schritt weiter auf die gleiche Weise Schutz.

Trotz der Trockenzeit waren diese Regengüsse an der Tagesordnung. Sie dauerten ein bis zwei Stunden, dann kam die Sonne wieder zum Vorschein und sandte ihre sengenden Strahlen vom azurblauen Himmel hernieder. Diesmal währte das Ungewitter nicht lange. Nach einer halben Stunde begannen sich die Wolken zu verziehen, und es wurde heller im Wald.

Wir standen noch unter dem Baum. Ich musterte nach Jägerart unsere Umgebung und ließ meine Blicke auch nach oben schweifen, in das Gewirr der Ästen.

In verschwenderischer Fülle schienen hier drei Wälder in einem zu wachsen, denn zu Füßen der hochstämmigen Bäume wucherte ein nicht endender Wall von dichtem Strauchwerk, und oben in den Ästen und Zweigen der Baumriesen breitete sich als drittes Revier die Armee der schmarotzenden Halme und Kräuter aus. Zu allem Überfluß spannten Lianen ihre verschnörkelten Netze nach allen Richtungen und ketteten das schwellende Durcheinander mit unzerreißbaren Seilen zusammen. Ich liebte es, den Blick in diese drängende Üppigkeit zu versenken und mich wohlig betäubendem Sinnen hinzugeben.

Plötzlich wurde ich aus meiner Betrachtung gerissen. Vielleicht fünfzehn Schritt von uns entfernt lauerte in den untersten Ästen eines Baumes eine gewaltige Schlange. Ihre lebhafte Färbung, gelbliche Flecken auf graurotem Untergrund, verriet mir, daß es eine graue Komuti war, die in der Nähe des Wassers lebte. Vergeblich versuchte ich die Länge des Reptils zu schätzen, ich konnte nur einen Teil des Körpers sehen; nach dem Umfang zu schließen, mußte es ein riesiges Tier sein. Der Kopf schaute aus den Blättern hervor und beobachtete von oben, was sich auf der Erde abspielte. Sie hatte uns längst entdeckt.

Während ich noch überlegte, ob ich schießen solle oder nicht, erregten ungewöhnliche Laute, die von weit her aus der Tiefe des Waldes kamen, unsere Aufmerksamkeit. An mehreren Stellen war das Knacken von Zweigen zu hören, es wurde immer deutlicher und kam rasch näher. Nach einiger Zeit gesellten sich andere Laute hinzu, es klang wie dumpfes, rauhes Schnauben.

„Saguinos”, flüsterte Lasana mir zu.

Eine ganze Herde Wildschweine kam genau auf uns zu. Ich hatte viel darüber gehört, wie gefährlich dieses Tier dem Menschen werden kann, wenn es gereizt wird. In verblendeter Wut stürzt es sich dann auf jeden Feind, ganz gleich, ob es ein Mensch oder ein Jaguar ist, und meistens wird das Opfer trotz verzweifelter Gegenwehr von den Schweinen zerrissen. Nur die schnelle, rechtzeitige Flucht auf einen Baum kann Rettung vor der rasenden Horde bringen.

Der unterste Ast der Mora, unter der wir standen, befand sich ungefähr zehn Fuß über dem Boden. Ich hob Lasana in die Höhe und war ihr behilflich, den Ast zu erklimmen, dann kletterte ich selbst hinauf. Wie wir sahen, hatte auch Wagura einen Baum erstiegen.

Ich untersuchte die Zündpfannen, ob sie nicht naß geworden waren, und schüttete neues Pulver auf.

„Sieh doch!” Lasana lenkte meine Aufmerksamkeit auf die Schlange.

Diese hatte genau wie wir die Geräusche der näher kommenden Herde vernommen und begann sich zu bewegen. Sie schob sich langsam etwas tiefer. Während ihr Schwanz um einen starken Ast geschlungen war, befanden sich ihr Kopf und der Vorderteil des Körpers nur wenig über dem Erdboden. Bald erstarrten ihre Bewegungen, und nun ähnelte sie eher einer dicken Liane als einer Schlange. Etwas unheimlich Drohendes, Hinterhältiges, Gespensterhaftes ging von ihr aus, und man merkte, daß sie in ihrem plattgedrückten Kopf einen mörderischen Entschluß gefaßt hatte.

In diesem Augenblick hatte uns die Herde erreicht. Unter uns und neben uns schoben sich die Schweine durch das Gestrüpp vorwärts, ohne sich zu beeilen. Es waren sehr viele, eine weit auseinandergezogene Reihe, die schnaufend weiterzog. Vielleicht waren es hundert, vielleicht auch mehr, mit bloßem Auge ließ sich das in dem Dickicht schwer feststellen. Ich zögerte mit dem Schießen und wartete, bis möglichst viele Schweine vorbeigezogen waren, Lasana dagegen schoß ihren Pfeil auf eine der ersten Sauen ab. Das Tier erschrak und versuchte, das Geschoß mit der Schnauze aus der Wunde zu reißen, da traf es der zweite Pfeil in der Herzgegend, und es fiel kraftlos auf die Vorderläufe. Sein wütendes Schnauben lockte einen Teil der Herde herbei. Mit gesträubten Nackenborsten umstanden die Schweine die verwundete Sau, hoben gereizt die Köpfe und witterten vernehmlich, doch konnten sie uns nicht entdecken.

Da stieß die Schlange plötzlich zu. Sie schlug ihre Kinnladen in den Rücken eines Jungtieres, das gut sechzig oder siebzig Pfund wog, und zog es so blitzschnell nach oben, als wäre es ein leichtes Vögelchen. Weit hallte das durchdringende Quieken des Entführten. Die Schlange achtete nicht auf das Geschrei und die verzweifelten Befreiungsversuche ihres Opfers und schob sich etwas weiter nach oben. Dort legte sie die Beute an den Stamm des Baumes, auf dem sie sich befand, und wand ihren Körper einmal um den Stamm und um das Schwein. Diese Umarmung war tödlich. Das Tier schnaufte noch einmal schwach und rührte sich nicht mehr; sicher waren ihm die Rippen gebrochen und die inneren Organe zerquetscht worden.

Das alles spielte sich unter den Augen der Herde ab, die wie gebannt diese Waldtragödie verfolgte. Doch bereits während der letzten Zuckungen des Opfers kam Leben in die Schweine. Einige warfen sich auf den Baum und begannen den Stamm mit ihren Hauern zu bearbeiten. Andere folgten ihrem Beispiel.

Der Baum war nicht stark, vier Männerhände hätten ihn umfassen können. Unter dem wütenden Anprall der Zähne erzitterte der Baum bis in die Krone. Die Schlange zog sich so hoch hinauf wie nur möglich. Die rasende Meute verdoppelte ihre Kräfte, Holzsplitter flogen durch die Luit. Mit dumpfem Aufschlag fiel der Körper des toten Tieres auf den Waldboden. Die Schweine erschraken und sprangen zurück, doch gleich darauf warfen sie sich mit noch größerer Wucht gegen den Stamm. Es war klar, daß der Baum dem Ansturm nicht mehr lange widerstehen konnte.