Das begriff auch die Schlange.
Während der ganzen Zeit hatte Lasana ihren Bogen betätigt. Der Kampf tobte ungefähr zwanzig Schritt von uns entfernt. Jeder Pfeil, den sie abschoß, fand sein Ziel, wenn auch nicht jeder tödlich war.
Unwillkürlich fiel mein Blick immer wieder auf die hübsche Frau. Vom Jagdeifer erhitzt, die schwarzen Haare zerzaust, bot sie einen reizenden Anblick. Sie saß rittlings auf einem Ast und hielt sich nur mit den kräftigen Schenkeln fest. Die Geschmeidigkeit ihres Körpers und die schwungvollen Bewegungen ihrer Arme waren bewundernswert. Das Getümmel dort unten und die waidmännische Begeisterung nahmen mich genauso gefangen wie das wohlgestaltete Wesen an meiner Seite, und dabei drängten sich meinen aufgeregten Sinnen Bilder aus der fernen Vergangenheit auf. Als ich noch ein Junge war, entdeckte ich im Vaterhause eines Tages eine Zeichnung. Sie zeigte die römische Göttin Diana, die einen Pfeil auf einen Hirsch abschoß. Das Bild hinterließ damals einen unverlöschlichen Eindruck in mir, und in diesem Augenblick erstand es besonders deutlich vor meinen Augen.
Auch ich wagte nun einen Schuß aus der Büchse. Die Wildschweine hörten wohl einen Knall über ihren Köpfen, doch sahen sie in ihrer verblendeten Wut nur einen Feind, die Schlange, und schrieben ihr alles zu, was sich ereignete. So konnte ich ungestört wieder laden und schoß wieder und wieder mit gutem Erfolg in die Herde.
Die Schlange erkannte, daß ihre Zufluchtsstätte nicht mehr sicher war und jeden Augenblick umfallen konnte. Die Zweige der benachbarten Bäume reichten dicht bis an die Äste heran, auf die die Mörderin sich zurückgezogen hatte. Leider waren diese Zweige ziemlich dünn und biegsam und hätten die Last des Schlangenkörpers nicht ertragen, doch gab es genug Lianen, darunter auch sehr starke, die sich wie Girlanden von einem Baum zum andern schwangen und mehrere Stämme miteinander verbanden.
Eine solche Liane wählte die Schlange für ihren Fluchtweg. Sie traf eine schlechte Wahl. Die Pflanze selbst war stark, unzerreißbar, doch hatte sie sich an dem Ast nicht sehr festgehakt. Die Schlange, die sich mit äußerster Vorsicht bewegte, befand sich ungefähr in der Mitte der Liane, als diese unter der gewaltigen Last nach unten zu rutschen begann. Die Wildschweine bemerkten es, brachen in höllischen Lärm aus und sprangen immer wieder in die Höhe, um den Feind zu packen, erreichten ihn aber nicht.
Die Schlange hätte sich vielleicht gerettet, wenn sie nicht die Beherrschung verloren hätte. Sie trachtete danach, möglichst schnell den nächsten Baum zu erreichen, und machte eine ruckartige Bewegung. Es krachte verdächtig in den Zweigen, und die Liane senkte sich erneut um einige Fuß tiefer. Die Schweine waren wie von Sinnen. Sie schaubten wütend, sprangen immer wieder hoch — doch vergebens.
Es war nicht leicht für die Schlange, auf einer so brüchigen, gleitenden Stütze festen Halt zu finden. Einen Augenblick schien es, als habe sie das Gleichgewicht verloren. Sie verlagerte die Windungen ihres Körpers und löste dabei unwillkürlich den Schwanz von der Liane. Einem großen Keiler, der gerade in die Höhe sprang, gelang es, sich im Schwanz festzubeißen. Er ließ nicht mehr los. Durch den plötzlichen Ruck wurde die Schlange etwas heruntergezogen. Andere Schweine sprangen hinzu und schlugen ihre Zähne in den Körper des Feindes und zerrten ihn auf den Boden. Mit zwei oder drei Schweinen wäre die Riesin fertig geworden, aber nicht mit allen. Während sich ihr Rachen an der Schnauze des einen festbiß, rissen die andern in unbezähmbarer Wut ganze Stücke aus ihrem Körper, bis sie in kurzer Zeit zerfetzt war.
In der Luft breitete sich ein starker, moschusartiger Geruch aus. Der Wut der Wildschweine war mit dem Sieg nicht Genüge getan, sie rächten sich nun an dem Körper der Schlange. Zum Teil fraßen sie ihn auf, begleitet von lautem Schmatzen und anderen abstoßenden Geräuschen. Langsam begannen sie sich zu beruhigen.
Plötzlich hoben einige Tiere den Kopf und witterten. Irgend etwas hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Im ersten Augenblick glaubte ich, daß sie uns entdeckt hätten; doch blickten sie nicht zu uns herüber, sondern ins Dickicht, aus dem sie gekommen waren. Aufgeregt schnaufend und sichtlich erschreckt, rannten sie hinter dem Teil der Herde her, der bereits weitergezogen war. Nur die von uns getöteten und verwundeten Schweine, die am Verenden waren, blieben auf dem Schauplatz zurück.
Noch konnten wir den Lärm der fliehenden Herde vernehmen, als im Dickicht unter uns eine große Gestalt auftauchte — ein gelblicher, gefleckter, länglicher Körper glitt durch das Gebüsch dahin.
Ein Jaguar! durchzuckte es mich.
Ja, es war ein Jaguar, der den Spuren der Wildschweine folgte. Auch er wollte der Herde ein Stück entreißen. Als er näher kam und die vielen toten und verwundeten Tiere erblickte, stutzte er.
Er war keine dreißig Schritt von uns entfernt, wir konnten ihn genau beobachten. Das Gebaren des Raubtieres zeigte deutlich, daß es durch den ungewöhnlichen Anblick berunruhigt war. Es duckte sich ganz auf den Boden, und seine stechenden Katzen-
augen schweiften nach rechts und nach links. Ohne Zweifel versuchte es zu ergründen, welch rätselhafter Kampf sich hier abgespielt hatte.
„Er sieht zu uns herüber”, flüsterte Lasana.
„Bewege dich nicht’, gab ich zurück und vergaß in der Aufregung, daß ich doch nicht arawakisch sprechen durfte.
Der Jaguar ließ uns nicht mehr aus den Augen, die grausam blitzten. Er hatte uns also entdeckt. Ob er uns für Affen hielt und sich einen guten Fang versprach?
Ich will es nicht verhehlen: mir liefen Schauer über den Körper. Die Büchse war leergeschossen, und zum Laden war keine Zeit mehr. Es blieben also nur die Pistole und das Messer im Gürtel. Die Pistole war wohl geladen, aber wie es mit dem Pulver auf der Pfanne aussah, das wußte ich nicht. Vorsichtig tastete ich nach dem Griff der Waffe, zog sie ganz langsam heraus und brachte sie in Anschlag. Ich spannte den Hahn. Das Pulver war trocken. Erleichtert atmete ich auf.
Das Raubtier schenkte den vor ihm liegenden Wildschweinen überhaupt keine Beachtung mehr, dafür verschlang es uns geradezu mit seinen blutdürstigen Augen. Endlich begann es sich zu bewegen und schob sich langsam auf uns zu. In diesem lauernden Schleichen lag die fürchterliche Drohung eines unerbittlichen Schicksals, vor dem es kein Entrinnen gab. Mit einem Satz konnte uns der Jaguar von unten nicht erreichen, dazu war der Ast zu hoch; doch konnte die auf Bäumen sehr gewandte Raubkatze den Stamm erklettern und so der gesichteten Beute näher kommen.
Während ich mit beiden Händen die schußbereite Pistole auf den Jaguar richtete, warf ich ab und zu einen Blick auf meine Gefährtin. Ich bemerkte, daß sie keinesfalls den Kopf verloren hatte, im Gegenteil, auch sie bereitete sich auf die Verteidigung vor. Sie hatte ihren letzten Pfeil auf die Sehne gelegt und wartete geduckt auf den Angriff. Ihre Ruhe, ihr Mut und ihre Bereitschaft zum Kampf beeindruckten mich zutiefst und erfüllten mein Herz mit eigenartiger Zärtlichkeit.
Der Jaguar schlich immer näher. Es gab keinen Zweifel mehr, daß er es auf uns abgesehen hatte. Er kam bis auf etwa zehn Schritt heran und kauerte sich nieder. Seine Augen schienen Feuer zu sprühen, und sein völliges Schweigen steigerte das Entsetzliche der Situation. Das Tier verharrte regungslos, nur der Schwanz fegte den Waldboden. Plötzlich bemerkte ich, daß sich sein Körper über den Hintertatzen etwas anhob — das war der Augenblick vor dem Sprung.
Die Pistole in meinen Händen war ständig auf seinen Schädel gerichtet. Als die Raubkatze zum Sprung ansetzte und das Korn auf dem Lauf ihr Auge deckte, krümmte ich den Finger. Zugleich mit dem Knall des Schusses tat der Jaguar einen verzweifelten Luftsprung und stieß ein durchdringendes kurzes Brüllen aus. Es war ein schmerzvolles Aufbrüllen Schwer fiel er zu Boden, lag eine Weile wie bewußtlos und verschwand dann mit plumpen Sprüngen im Dickicht. Er lief ungeschickt, wie betäubt, als ob ihm etwas hinderlich wäre.