Lasana saugte noch immer mit aller Kraft das Blut, das immer spärlicher floß, da ich sicher bereits ein Liter verloren hatte. Als sie innehielt, blickte ich in ihr blasses Gesicht, aus dem der Ausdruck der Bestürzung nicht schwinden wollte, und fragte sie, war-um sie Wagura verboten habe zu saugen.
„Das Blut in deiner Wunde ist schlecht’, erklärte sie mir, „es kann zehn Menschen vergiften, wenn nur ein Tropfen davon in ihr Blut gelangt. Wagura hat eine Wunde im Mund.”
„Und du? Kannst nicht auch du eine kleine verborgene Wunde haben?”
„Ich glaube, daß ich keine habe.”
„Du bist dir also nicht ganz sicher?”
„Wer kann völlig sicher sein?”
„Und trotzdem saugst du das Blut?”
„Ich sauge es’, erwiderte sie in einem Ton, als ob es ihre selbstverständliche Pflicht sei nur zu helfen und sich dieser Gefahr auszusetzen.
Während dieses kurzen Gesprächs überkam mich plötzlich ein starkes Schwindelgefühl, und da auch die Schulter zu schmerzen begann, wurde ich unruhig. Gleich darauf fühlte ich, wie mir der Schweiß aus allen Poren trat und in Bächen den Körper hinabrann. Das Gift war also doch in den Körper gelangt und breitete sich immer weiter aus. Mit quälender Deutlichkeit erstand nun vor meinen Augen das Bild des Hundes, der sich in den letzten Zuckungen wand.
„Du wirst nicht sterben!” hörte ich Lasanas geflüsterte Worte dicht an meinem Ohr; der Klang ihrer Stimme schien durch eine Wand zu kommen. „Nein, du wirst nicht sterben!”
Sie wiederholte es wie eine Beschwörung.
Vom Fluß her kamen Menschen gelaufen. Sie stützten mich und forderten mich auf, einen abscheulich bitteren Absud aus irgendwelchen teuflischen Kräutern zu trinken. Das Zeug schmeckte so scheußlich, daß sich die Eingeweide im Leib umzudrehen schienen, und tatsächlich begann ich mich fürchterlich zu erbrechen und mich meiner Notdurft zu entledigen. Zwar fühlte ich mich zusehends schwächer, doch im Kopf wurde es klarer, und der Schmerz in der Schulter ließ nach.
Gleich darauf drückte mir Arasybo einen großen Kürbis an den Mund und goß mir besonders starken Kaschiri in die Kehle. Andere hielten meinen Kopf, damit er nicht nach hinten falle. Bereits nach einigen Schlucken war ich ganz benommen, doch der Hinkende ließ nicht nach und goß mir so lange Kaschiri in den Mund, bis ich, völlig betrunken, das Bewußtsein verlor.
Als ich wieder zu mir kam, war es bereits dunkel. Nur langsam erwachten die starren Sinne, als ob es ihnen Mühe bereite, in diese Welt zurückzukehren. Erst der dumpfe Schmerz unerträglichen Durstgefühls ließ mich völlig zu Bewußtsein kommen.
Ich lag auf dem Lager in unserer Hütte. Vor der Hütte brannte ein Feuer, dessen Schein mir in die Augen fiel. Neben mir stand ein Krug mit Wasser. Ich streckte die Hand aus, führte ihn an die Lippen und trank gierig. Den linken Arm konnte ich nicht bewegen.
Die um das Feuer sitzenden Freunde vernahmen die Geräusche, die ich verursachte, und kamen zu mir herein. Als sie sahen, daß ich das Bewußtsein wiedererlangt hatte, waren sie außer sich vor Freude.
„Die Seele kehrt in den Körper zurück”, behauptete Manauri. „Gebt ihm noch mehr Wasser zu trinken.”
Ich war völlig klar, nur fühlte ich mich sehr schwach. Der Schmerz am linken Arm hatte nachgelassen, das war ein gutes Zeichen. Arnak berührte meine Stirn.
„Er schwitzt nicht mehr!” rief er den Freunden frohlockend zu.
Auch mir schien es, daß ein Wendepunkt eingetreten sei, daß der Körper das Gift überwunden hatte, dieses schreckliche Gift, dessen Wirkung so entsetzlich war. Nur ein kleines Tröpfchen war durch den Biß der Schlange unter meine Haut gelangt, Wagura hatte es sofort herausgeschnitten, Lasana hatte das Blut aus der Wunde gesaugt, und doch hatte das tausendste Teilchen des Giftes, das trotz allem in die Blutbahn gelangt war, genügt, um einen starken, gesunden Mann umzuwerfen, als habe ihn der Blitz gefällt. Was für eine unermeßliche, verderbenbringende Macht wohnte ihm inne, der widerstrebende menschliche Verstand konnte es kaum fassen, und dieses Böse, Vernichtende lauerte im Urwald, aber nicht nur im Urwald allein, auch im Innern mancher Menschen.
„Wir haben noch zwei Schlangen im Gebüsch gefunden”, berichtete Arnak.
„Waren sie auch angebunden?’ fragte ich mit schwacher Stimme. „Ja, sie waren ebenfalls angebunden”, antwortete er und biß sich auf die Lippe.
Nach einer Weile rückte er noch näher an mein Lager heran, schwieg und starrte finster zu Boden.
Plötzlich stieß er mit gepreßter Stimme hervor: „Wir haben beraten, was wir tun sollen. Das hier muß ein Ende nehmen.” „Was?” Ich sah ihm ernst ins Gesicht.
„Einige sind der Meinung, daß es am besten sei, Serima zu verlassen und weiter oben am Itamaka eine neue Siedlung zu gründen. Andere widersetzen sich diesem Vorschlag, sie wollen hierbleiben und Karapana und Koneso töten. Es ist die Mehrzahl unserer Sippe.”
Arnak sah, daß sich mein Gesicht verzog, und unterbrach seine Rede.
„Was wurde beschlossen?” fragte ich.
„Von Serima wegzugehen ist gefährlich. Jeden Tag können die Akawois auftauchen. Solange wir zusammenbleiben, sind wir stark, trennen wir uns aber, so sind wir leicht einem Überfall ausgesetzt, der uns zum Verderben werden kann. Es gibt also nur die zweite Möglichkeit: hierbleiben und sie töten! Wir haben daher beschlossen, daß wir hingehen und sie totschlagen.”
Trotz meiner Schwäche richtete ich mich auf und rief zornig: „Nein, das werdet ihr nicht tun! Das dürft ihr nicht tun!” wiederholte ich so laut, wie meine Kräfte es zuließen.
Mit aufgerissenen Augen verfolgte Arnak meinen Zornesausbruch. Von einem Menschen, der dem zweiten hinterhältigen Anschlag auf sein Leben noch nicht entronnen war, hatte er diesen Widerspruch nicht erwartet.
„Denk daran, wer dir mit den Schlangen nachgestellt hat’, brachte er entrüstet vor.
„Ich denke daran!”
„Und dennoch nimmst du sie in Schutz?”
„Ich nehme sie nicht in Schutz!”
„Du hast doch eben gesagt, du gestattest nicht, daß sie getötet werden.”
„Das werde ich auch nie zulassen!”
Ängstlich betrachtete mich Arnak, als wolle er sich überzeugen, ob ich nicht den Verstand verloren hätte. Ich mußte lächeln.
„Nehmt doch Vernunft an”, sagte ich dann und seufzte. „Vernunft?” In seiner Stimme lagen Empörung und Hohn. „Die Vernunft gebietet, daß wir sie erschlagen wie räudige Hunde! Warum läßt du es nicht zu?”
„Wir sind kaum dreißig Krieger, sie aber sind zehnmal mehr.” „Es werden viele zu uns halten.”
„Viele, aber nicht alle. Der Oberhäuptling und der Zauberer, das bedeutet Ansehen und Macht, du selbst hast es oft genug gesagt. Sicher ist die Zahl ihrer Anhänger groß, und diese werden ihren Tod rächen. Es wird zu einem Bruderkrieg kommen, dem abscheulichsten aller Kriege, der schon manchen viel mächtigeren Volksstamm als den euren völlig ausgerottet hat. Außerdem besteht die Gefahr, daß die Akawois über euch herfallen.”
„Vielleicht kommen sie gar nicht. Wer will es wissen?”
„Auch wenn sie nicht kämen! Soll sich der Stamm im eigenen Dorf gegenseitig vernichten? Nein, Arnak, dein Beschluß gefällt mir nicht.”
„Ich will nur dein Bestes, Jan! Es geht um dich”, erwiderte er etwas verlegen.
Im Schein des flackernden Feuers merkte ich, was die verschlossenen Züge Arnaks verbargen. Sorge und Trauer erfüllten ihn. Ich ergriff mit der Rechten seine Hand und drückte sie herzlich.
„Ich weiß, Arnak, daß du es gut meinst.” Bewegt nickte ich ihm zu. „Doch wenn es euch um mich geht, so höre mich an.”
In kurzen, aber eindringlichen Worten legte ich ihm meinen Standpunkt dar: Gerade, weil es sich um mich handele, wolle ich um jeden Preis ein Blutvergießen vermeiden. Ich sei ein Fremder, wenn auch kein Eindringling, und würde es nicht ertragen, wenn meinetwegen ein Bruderkrieg entstehen sollte. Zwar seien Koneso und Karapana durch irgendwelche Vorstellungen verblendet und verfolgten mich mit verbissener Wut, doch habe ich die Hoffnung nicht verloren, daß sie sich früher oder später von ihrem Irrtum überzeugen würden.