„Und wenn sie sich nicht überzeugen?” unterbrach er mich. „Dann bleibt nichts anderes übrig, als doppelt wachsam zu sein. Verstehst du mich, Arnak?”
„Ich verstehe dich, Jan.”
Ich bat ihn, Manauri und den andern meine Anordnung zu über-bringen, daß keine feindseligen Schritte getan werden dürften. Das widersprach natürlich ihren Absichten, besonders denen des Häuptlings, doch hatten sie gelobt, mir zu gehorchen.
Als der Morgen graute, brachen alle Männer auf, um die erlegten Wildschweine aus dem Urwald zu holen.
Vor dem Aufbruch teilte mir Arnak mit: „Lasana und ihre Mutter werden dich betreuen.” Bevor er die Hütte verließ, fragte er mich noch: „Soll ich dir eine Waffe bereitlegen?”
„Wozu? — Nun gut, lege die Pistole hierher.”
Das Gespräch mit den Freunden hatte an meinen Kräften gezehrt. Nachdem sich die Männer auf den Weg gemacht hatten, erschien Lasana und deckte frische Heilkräuter auf meine Wunde. „Ich danke dir, Zauberpalme”, sagte ich in herzlichem Ton.
„Wofür bedankst du dich?”
„Für das, was du jetzt getan hast, und für das im Wald.”
„Daß ich von deinem Blut getrunken habe?” Fröhlich lachend zeigte sie ihre Zähne. „Es hat sehr gut geschmeckt. Übrigens wirst du in drei Tagen wieder gesund sein.”
„Und wann wird die Wunde verheilen?”
„Das dauert länger, o ja. Den linken Arm wirst du viele Tage nicht gebrauchen können.”
„Das bereitet dir sicher Freude?”
„Das sollte mich freuen?” Sie überlegte. „Weshalb sollte ich mich darüber freuen?”
„Weil ich dich mit dieser Hand nun nicht am Schopf fassen und dir keinen Schmerz bereiten kann!”
„Ach so!” Sie beugte sich zu mir herab, in ihren Augen zuckten spöttische Blitze. „Hast du nicht noch eine Hand, die gesund ist?” Im nächsten Augenblick aber trat sie verwirrt einen Schritt zu-rück und betrachtete mich mit forschendem Blick, als wolle sie in meinem Innern lesen.
„Hallo!” rief ich lachend. „Erkennst du den nicht mehr, der hier liegt?”
„Nein”, erwiderte sie kurz und streng.
„Ich bin es, der Weiße Jaguar”, scherzte ich weiter.
„Ich habe wohl im Urwald schon so etwas gemerkt”, murmelte sie in Gedanken, ohne auf meinen fröhlichen Ton einzugehen. „Du sprichst doch arawakisch! Wie ist das möglich?”
„Ich habe es gelernt.”
„Wann denn?” fragte sie verwundert.
„Ich habe euren Gesprächen zugehört, Arnak, Wagura, Manauri und dir. Ja, ja, auch dir habe ich zugehört.” Ich lachte lautlos vor mich hin.
„Was stimmt dich denn so fröhlich?”
„Mir fällt da ein nächtliches Gespräch zwischen einer gewissen hübschen jungen Frau und ihrem Häuptling ein, das am Fuße des Geierberges an Bord eines Schoners geführt worden ist.” „Das hast du auch verstanden?’
„Ja.”
„Und du hast nichts gesagt?’
„Ihr habt doch genug gesprochen.”
Ich merkte an den Augen Lasanas, wie sehr sie durch das, was ich ihr eben verraten hatte, in Verwirrung geriet. Sie war einfach sprachlos.
„Du hast keinen Grund, dich zu schämen.” Zärtlich streichelte ich ihr die Hand. „Damals wurde von dir verlangt, daß du mich, wie Manauri sich ausdrückte, an dich fesseln sollst. Du aber fühltest dich in deiner Würde verletzt und hast dieses Ansinnen entschieden zurückgewiesen. Damals hast du mein Herz für dich eingenommen.”
„So habe ich dich doch gefesselt!” platzte sie heraus. „Allerdings’, gab ich zu, „und möchtest du es nicht noch mehr für dich einnehmen?” „Das möchte ich schon.”
„So sage niemandem, daß ich Arawakisch verstehe. Das soll unter uns bleiben.”
In den folgenden Minuten überfiel mich wieder eine Art Ohnmacht, die Augenlider fielen mir zu, und ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Lasana plapperte noch etwas, doch konnte ich den Sinn ihrer Worte nicht mehr verstehen. Scheußliche Traumbilder begannen mich zu quälen. Kämpfende Brudermörder erschienen, schlangenartige Ungeheuer drangen auf mich ein, fauchend und hartnäckig, bis plötzlich ein schneidendes Sausen das Traumgespinst zerriß und ich langsam zu mir kam. Vom Hofe her waren erregte Stimmen zu hören — diesmal aber wirklich.
In einem klaren Augenblick erkannte ich an den Stimmen, wer dort draußen stritt. Es waren Lasana, Koneso und Karapana. Lasana verwehrte ihnen den Eintritt in meine Hütte.
„Es geht nicht”, rief sie gereizt und hartnäckig. „Manauri hat es verboten, ich darf niemanden einlassen!”
„Auch mir, dem Oberhäuptling, hat er den Zutritt verboten?” „Für jeden! Niemand darf hinein!”
„Mach Platz, du, sonst schlagen wir dir den Schädel ein”, zischte Koneso. „Wir wollen ihn nur sehen — und ihm helfen!”
Lasana sah ein, daß sie allein mit diesen beiden nicht fertig werden konnte, und alle Männer unserer Sippe waren im Urwald.
Nach einiger Überlegung willigte sie daher ein und erklärte: „Gut. Die Waffen aber legt ihr vor der Hütte ab! Mit den Keulen dürft ihr nicht hinein.”
„Du sollst deinen Willen haben”, lenkte der Häuptling ein. „Dieses Weib ist ein Satan.”
„Hündin”, knurrte der Zauberer.
Es war bereits heller Tag, vor einer Stunde ungefähr mochte die Sonne aufgegangen sein. Obwohl der Eingang mit einem Fell verhängt war, konnte man in der Hütte gut sehen. Kaum hatte ich die Stimmen erkannt, griff ich schnell nach der Pistole, spannte den Hahn und verbarg sie unter der Matte, mit der ich zugedeckt war. Ich behielt die Waffe in der Hand, legte sie neben meinen rechten Schenkel und hatte den Zeigefinger am Abzug.
Zunächst erschienen die beiden Männer, hinter ihnen betrat Lasana die Hütte. Sie ließen den Eingang offen und näherten sich meinem Lager. Lasana blieb seitwärts stehen und verfolgte jede ihrer Bewegungen.
Ich lag auf dem Rücken und hielt die starr auf die Kante des Daches gerichteten Augen nur halb geschlossen, wie es bei bewegungsunfähigen Menschen zu sein pflegt. Durch den Spalt des Augenlides konnte ich die Gestalten der Näherkommenden gerade erkennen.
Sie blieben vor mir stehen und betrachteten mich lange, ohne ein Wort zu sprechen. Dann beugte sich Karapana herab und versenkte seinen aufmerksamen Blick in meine Augen. Lange verharrte er so, und ich mußte alle Kraft aufbieten, um mich nicht durch eine unbedachte Bewegung zu verraten. Ich sah, wie sich der Adamsapfel in seinem dürren Hals auf und nieder bewegte.
„Es hat ihn richtig erwischt”, preßte er endlich zwischen den Zähnen hervor und verzog sein Gesicht zu einem häßlichen Grinsen. „Er ist halbtot.”
„Ob er stirbt?’ fragte Koneso.
„Bestimmt stirbt er, bestimmt.”
„Wann?’
„Das weiß ich nicht. Vielleicht schon bald.”
In der Überzeugung, daß ich ihre Sprache nicht verstehe, unterhielten sie sich offen, ohne Rücksicht auf die Anwesenheit Lasa-nas. Da sie genau neben mir standen, konnte ich jedes ihrer Worte verstehen.
„Seine Augen sind etwas geöffnet”, bemerkte der Häuptling mißtrauisch.
„Aber er sieht nicht mehr viel”, beruhigte ihn Karapana. „Es sei denn... ”
„Was meinst du?”
„Es sei denn, daß er sich vor uns verstellt.”
Da kam Koneso ganz nahe heran und betrachetete mich eine gute Minute lang eindringlich.
„Er ist sehr bleich”, bestätigte er, „aber er lebt.”
„Lange wird er nicht mehr leben”, knurrte der Zauberer, und noch einmal erschien seine runzlige, böswillige Fratze vor meinen Augen. Er bedachte mich mit einem so schrecklichen, haßerfüllten Blick, der leicht erraten ließ, daß dieser unversöhnliche Feind das Todesurteil über mich gesprochen hatte.