Es war beängstigend und versetzte mich in nie gekannten Schrecken. Alles ringsumher stand mir feindlich, unmenschlich, unbegreiflich gegenüber, durchdrungen von Zaubern und Geistern, atmete grauenvolle Fremdheit. Aus dem Düster der Wildnis und aus dem Dunkel der abergläubischen Seelen brachen Dämonen in meine Hütte ein, gespenstische Wesen und Wahnvorstellungen schoben sich als feindliche Schwelle zwischen mich und die mir befreundeten Menschen, nahmen diesen die menschlichen, wohlvertrauten Züge. Ein krankhafter Sehnsuchtsschrei löste sich aus meinem Innern, ein Schrei nach einem Menschen, nach einem guten, fröhlich lächelnden Menschen, der nicht der Zauberkraft eines Jaguarauges nachgrübelte.
Die Schwüle wurde immer drückender, zeitweise raubte sie mir das Bewußtsein. Im Kopf verspürte ich einen abscheulichen Druck, und plötzlich durchzuckte mich ein schneidender Schmerz. Mir wurde schwarz vor den Augen. In diesem Augenblick vernahm ich wie aus weiter Ferne die besorgte Stimme Arnaks.
„Jan, was ist dir? Wie er schwitzt! Jetzt ist er ohnmächtig geworden.”
Seine Stimme, die Besorgnis des jungen Freundes verliehen den schwindenden Sinnen neue Kraft, wandten sie wieder dem Leben zu. Langsam kehrte das Bewußtsein zurück. Ich zwang mich zu einem Lächeln und sah mich um.
„Wer ist ohnmächtig geworden?” fragte ich.
„Ich glaubte, du hättest.. .”, murmelte er englisch.
Wie dankbar war ich ihm, daß er die Laute meiner Muttersprache an mein Ohr dringen ließ.
Er berührte meine Stirn. Gleichzeitig drückte mir jemand mitfühlend und kräftig die Hand: es war Lasana. Ich kam völlig zu mir, der Schwächeanfall war vorüber.
Alles in der Hütte war wie zuvor. Dort stand Manauri mit höhnisch verbissener Miene, hier der erregte Arasybo mit blitzenden Augen.
„Karapana? Er hat sich über eure Botschaft lustig gemacht”, wiederholte der Häuptling eigensinnig. „Euer Jaguar läßt ihn völlig kalt. Er lacht euch ins Gesicht. Er verhöhnt euch. Er hat euch ausgelacht. Haha!. . .”
Plötzlich fuhr er mit veränderter Stimme fort: „Es gibt nur eines: ihm eine Kugel in den Schädel jagen!”
Arasybo winkte mit beiden Händen ab, um den spöttischen Erguß Manauris zu unterbrechen, und wandte sich dann Arnak zu: „Ich kenne ihn durch und durch.” Seine Stimme überschlug sich. „Ich kenne diesen Teufel wie kein anderer!”
„Ich glaube es”, erwiderte der junge Indianer, den die Heftigkeit des Hinkenden überraschte.
„Sage mir, Arnak, wie sah er aus, als er euch empfing, als er lachte? Sprich schon!” „Wie soll er ausgesehen haben? Wie immer ...”
„Kannst du dich nicht erinnern, ob sein Adamsapfel auf und nieder hüpfte, hinauf, herunter, hinauf, herunter?” „Allerdings... und wie er hüpfte! Er flog geradezu hinauf und herunter!”
„Wie eine Ratte in der Falle?”
„Genauso, wie eine Ratte in der Falle.”
„Du irrst dich bestimmt nicht?”
„Nein.”
Langsam wandte' Arasybo sein wutverzerrtes Gesicht dem Häuptling zu und fragte in spöttischem Tonfalclass="underline" „Hast du gehört, was Arnak sagt?”
„Natürlich habe ich es gehört’, schnaubte Manauri, „doch was soll es schon bedeuten?”
„Es bedeutet, daß der Spott des Zauberers nur äußerlich war, im Herzen aber saß ihm die Angst. Ich kenne diesen Lumpen. Wenn ihm der Adamsapfel auf und nieder hüpft, so ist das ein Zeichen seiner Unruhe.”
Die Worte des Hinkenden machten Eindruck. Nur Manauri schenkte ihnen keinen Glauben und beharrte auf seinem Standpunkt. Höhnisch rief er immer wieder: „Er hat euch verlacht, ausgelacht hat er euch!”
„Er hatte Angst!” schrie Arasybo.
„Ausgelacht hat er euch!” brüllte der Häuptling noch lauter. „Die Angst hatte ihn gepackt, er war sehr erschrocken!”
Wütend standen die beiden einander gegenüber und maßen sich mit jähzornigen Blicken.
Wieder kam die Schwäche über mich, ich fühlte eine Ohnmacht nahen und war von Ekel und Abscheu erfüllt. Das Blut wich aus dem Kopf, vor den Augen wurde es dunkel.
„Genug’, stöhnte ich mit letzter Kraft. „Habt doch Vernunft!” Bestürzt und beschämt sahen sie zu mir hin, langsam verrauchte ihre Wut, und ihre Züge begannen sich zu glätten.
„Gehen wir hinaus”, flüsterte Arnak. „Er soll schlafen.”
Sie verließen die Hütte, nur Lasana blieb zurück. Sie trat an das Lager heran, erschrak und beugte sich zu mir herab. Ihre Augen, die große Sorge und Anhänglichkeit verrieten, waren in diesem Augenblick mehr als schön, es waren mütterliche Augen. Hier stand ein Mensch mit Herz und voller Hingabe. Aber war er mir nahe? Ob er verstehen konnte, was mich so schaudern ließ, wie mich diese Fremdheit, diese feindselige, abergläubische Welt quälte?
„Es würgt mich, ich habe keine Luft”, stöhnte ich.
Sie neigte sich noch mehr herab und blickte mir forschend in die Augen. Ihre Haare berührten mein Gesicht. In ihnen lagen der Duft des warmen Frauenkörpers und der herbe Geruch der Wildnis. Lasana hatte wohl einen beängstigenden Ausdruck in meinem Gesicht festgestellt, denn sie wurde unruhig.
„Was bedrückt dich so?” fragte sie mit weicher Stimme. „Ihr Haß.”
„Wessen? Karapanas?”
„Nicht nur der Haß Karapanas. Auch Manauris, Arasybos ...” Sie wandte sich ab und überlegte eine Weile, dann sprach sie laut: „Ich empfinde keinen Haß!”
„Ihre Wut, ihre Feindseligkeit vergiften mich.” Klagend entrangen sich die Worte meiner Brust.
„Jan, ich bin kein Feind. In mir ist kein Zorn.”
„Ach, Lasana, ob du mich verstehen kannst? Ihre düsteren Vorstellungen lähmen meine Kräfte, ihr Aberglaube will mich in die Finsternis zerren. . .”
„In mir ist es hell, Jan. Strahlender Sonnenschein. Ich verstehe dich.”
„Du gehörst zu ihnen, Mädchen.”
„Nein! Ich gehöre zu dir, Jan!”
In ihrer Stimme schwang tiefe Zuneigung. Sie ließ sich nicht verstoßen. Sie kämpfte um ihren Platz an meiner Seite. Ihre Augen waren weit geöffnet. Ich fühlte, wie mir das Blut machtvoller zum Herzen drängte. Als ich die rechte Hand auf ihre Schulter legte, war es mir, als berührte ich das Leben selbst. Ein warmer, erfrischender Strom ging von ihr auf mich über.
Am nächsten Tag erwachte ich bedeutend gesünder und kräftiger. Ich stand auf und setzte mich einige Minuten vor die Hütte. Die Niedergeschlagenheit des gestrigen Tages war verflogen, ich war von einem neuen Geist beseelt.
Etwa zwanzig Schritt von meiner Hütte entfernt war ein zwei Meter hoher Pfahl in die Erde gerammt, und auf der Spitze dieses Pfahles stak der Schädel des Jaguars. In einem Ameisenhaufen war er von den Fleischresten gesäubert worden und fletschte nun die stattlichen Raubtierzähne. Er war schon von weitem zu sehen. Anstelle des linken Auges gähnte eine dunkle Öffnung, während das rechte, mit Lehm und Holzspänen überzogene Auge blind und aus einer gewissen Entfernung überhaupt nicht zu erkennen war. Es sah aus, als wäre hier nur das Zeichen unserer Sippe zur Schau gestellt, und doch hatten wir ihm die fürchterliche Kraft einer Zauberfalle verliehen, die den Feind verwirren, seinen Wider-stand brechen und ihn vernichten sollte. Unwillkürlich schauderte mich beim Anblick von Arasybos Werk.
Der Hinkende selbst hatte in der Nähe Posten bezogen, kam aber sofort aus seinem Versteck hervor, als er meiner gewahr wurde. Sein häßlicher Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen.
„Siehst du, wie schön er hängt?” begrüßte er mich lebhaft. „Ich bewache ihn auch gut.”
Die linke Augenhöhle des Schädels war auf Serima und die Hütte Karapanas gerichtet. Zwischen der Siedlung und unseren Hütten zog sich eine schmale Baumreihe bis zum Flußufer hin. Konesos Niederlassung war also von uns aus nicht zu sehen, der Schädel aber bleckte seine Fangzähne genau in diese Richtung.