Lasanas Hütte befand sich etwa fünfzig Schritt vom Wasser entfernt, die Rückseite war dem Fluß, der Eingang dem Urwald zugewandt. Außer niedergetretenem Gras und vereinzelten Sträuchern wuchs nichts in der Umgebung. Dieser Umstand und die halbwegs gute Sicht kamen unseren Absichten entgegen.
Wir bewaffneten uns mit kurzen, handlichen Knütteln aus hartem Holz. Arnak und Arasybo nahmen außerdem Messer mit, während ich die Pistole mit gehacktem Blei lud. Wir vereinbarten Lautzeichen und bezogen nach Einbruch der Nacht unsere Plätze. Arnak versteckte sich hinter der Hütte, gegen den Fluß zu, Ara-sybo und ich unweit des Eingangs.
Im Innern der Hütte wachte Lasana, so wie es Manauri angeordnet hatte.
Einigemal stürzten kurze, heftige Regenschauer auf uns herab. In diesen Minuten herrschte völlige Finsternis; die Luft blieb warm und schwül.
Langsam schlichen die Stunden dahin. Das ständige Lauschen und Spähen wirkte in der Dunkelheit sehr ermüdend und stumpfte mit der Zeit die Sinne ab. Dazu quälte uns die Ungewißheit, ob der Feind in dieser Nacht kommen werde. Sowohl vom Rande des Urwalds als auch vom Ufer des Flusses erklangen wie immer eigenartige und mannigfaltige Stimmen. Geheimnisvolle Schatten huschten im Dunkel dahin. Es waren Hunde und anderes zahmes Getier oder auch scheue Reptilien, die ihre Schlupfwinkel im Dickicht verlassen hatten, dazu riesige Insekten und anderes scheußliches Ungeziefer.
Mitternacht kam heran, und ich wollte mich gerade auf den Weg machen, um die Freunde für die zweite Wache zu wecken, als hinter der Hütte das dreimalige klagende Quaken eines Frosches erscholl — das mit Arnak verabredete Zeichen. Er mußte also
etwas bemerkt haben. Ich packte den Knüttel fester, mit der linken Hand tastete ich nach dem Griff der Pistole.
Es war weder ganz finster, noch konnte man gut sehen. Die beiden Eckpfähle der vom Regendach überschatteten Hütte hoben sich als dunkle Linien von dem etwas helleren freien Platz ab. Plötzlich glaubte ich auf dem helleren Untergrund einen schwarzen Fleck wahrzunehmen, es sah aus, als ob sich eine Gestalt der linken Ecke näherte.
Ich stieß Arasybo an und deutete mit der Hand auf die rätselhafte Erscheinung.
„Das ist er”, flüsterte der Hinkende aufgeregt.
Irgendein Fremder machte sich dort zu schaffen, auf keinen Fall war es Arnak, denn wir hatten mit ihm vereinbart, daß er seinen Platz nicht früher verlassen solle, bevor nicht Alarm geschlagen werde. Das rätselhafte Wesen sah aber auch nicht wie Karapana aus. Es war kräftiger und kleiner, während der Zauberer von hagerer Gestalt und ziemlich groß war. Geduckt schob sich der geheimnisvolle Mensch langsam auf den Eingang der Hütte zu. Ich hatte inzwischen die Überzeugung gewonnen, daß es auf keinen Fall Karapana sein könne. Vielleicht waren sie zu zweit? Vielleicht würde der Zauberer noch erscheinen?
Als ich merkte, daß Arasybo aus dem Versteck vorspringen wollte, faßte ich ihn an der Schulter und raunte ihm zu: „Hast du gesehen? Es ist nicht Karapana!”
„Er ist es nicht’, erwiderte er kurz.
„Wir müssen ihn lebend fangen.”
„Lebend?” Enttäuschung und Auflehnung lagen in der Stimme des Gefährten. „Wozu?”
Da zu Erklärungen keine Zeit war, schüttelte ich kräftig Ara-sybos Schulter und zischte ihn an: „Lebend, sage ich dir! Wag es nicht, ihn zu töten!”
Er riß sich los und stürzte vor, in der Rechten schwang er das Messer. Seine Sprünge waren so gewandt, wie ich es ihm nie zugetraut hätte. Vier, fünf Schritte höchstens betrug die Entfernung
bis zur Hütte, doch der Gegner war auf der Hut. Entweder hatte er etwas Verdächtiges bemerkt, oder er hatte unser Flüstern vernommen, jedenfalls sprang er plötzlich zur Seite. Das Messer verfehlte sein Ziel, aber auch die Hand Arasybos glitt an dem eingefetteten Körper ab.
Der Überfallene entschlüpfte ihm und wandte sich zur Flucht. Doch er kam nicht weit. An der Ecke, wo ich ihn zuerst gesehen hatte, vertrat ich ihm den Weg und schlug ihm mit dem Knüttel über den Kopf. Der Schlag war wohl zu schwach, denn der Unbekannte strauchelte zwar, raffte sich aber sofort wieder auf. Als er um die Ecke biegen wollte, lief er Arnak genau in die Arme. Beide stürzten zu Boden. Ich schlug ihm noch einmal auf den Kopf, Arnak wälzte sich über seinen Körper und versuchte ihn niederzudrücken.
„Wir müssen ihn lebend haben!” schrie ich aus vollem Hals.
„Ich kann ihn nicht festhalten, er ist so schlüpfrig!” erwiderte Arnak zornig.
Der Gegner warf sich von einer Seite auf die andere, aber es half ihm nichts mehr. Ich umklammerte mit beiden Händen seinen Hals und ließ nicht mehr los, Arnak entwand ihm das Messer und drehte seine Arme nach hinten, daß es in den Gelenken krachte. Der Gefangene war nackt, um die Hüfte hatte er eine Schnur gebunden, und sein ganzer Körper war mit Fett eingerieben, um ihn schwerer fassen zu können.
In der Dunkelheit konnten wir nicht erkennen, wen wir vor uns hatten, Karapana war es jedenfalls nicht. Unsere Frage, wer er sei, beantwortete der Gefangene mit Schweigen.
Lasana brachte Stricke herbei, und wir fesselten ihn. Offensichtlich war er allein gekommen, von einem zweiten hatte niemand etwas bemerkt.
„Er kam in einem Boot’, berichtete Arnak. „Ich vernahm das Geräusch, das er beim Aussteigen verursachte.”
„War er allein?”
„Ja. Ich habe niemanden sonst gesehen.”
„Lauf zum Fluß und sieh nach, ob das Boot noch da ist.” Das Boot war da.
Während des kurzen Kampfes war Lasanas Mutter erwacht, hatte einen feindlichen Überfall vermutet und fürchterlich zu schreien begonnen. Die Nachbarn schreckten aus dem Schlaf hoch, bewaffneten sich mit dem ersten besten Gegenstand und eilten von allen Seiten herbei.
Der Alarm funktionierte über Erwarten gut. Es war kaum eine halbe Minute vergangen, als der erste Krieger zur Stelle war, gleich darauf erschienen alle andern. Viele hatten sämtliche Waffen bei sich, niemand aber war ohne seine Schußwaffe gekommen. Unsere Sippe hatte sich gut entwickelt. Trotz der Aufregung weitete ein stolzes Gefühl meine Brust, denn diese Kampfbereitschaft war zum größten Teil mein Verdienst.
Einige Umsichtige hatten brennende Fackeln mitgebracht, manche waren auch mit Öllämpchen gekommen. Als der Lichtschein das Gesicht des Gefangenen traf, malte sich Verblüffung auf den Gesichtern: es war Kanaholo, der junge Lehrling des Zauberers, ein kaum vierzehnjähriger Bursche, dem, wie es schien, das Verbrecherhandwerk bereits vertraut war.
Flink und gewandt wie ein Affe hatte er sich zur Wehr gesetzt, auch ein Messer hielt er in der Hand. Doch jetzt, als er gefesselt auf der Erde lag, wurde ihm angst und bange. Als er die vielen wutverzerrten Gesichter über sich erblickte, glaubte er, seine letzte Stunde sei gekommen — womit er keinen großen Irrtum beging.
Manauri verkündete den Anwesenden mit lauter Stimme, was den jungen Frevler hierhergeführt habe. Je mehr er die gemeinen Intrigen Karapanas enthüllte, um so größer wurde die Wut auf dessen Lehrling und Helfershelfer. Besonders erregt waren die Frauen. Lasanas Mutter stürzte sich auf ihn und wollte ihm die Augen auskratzen.
„Du Mörder!” schrie sie. „Du Scheusal! Meinen Enkel hast du umgebracht, ein unschuldiges Kind!”
Sie mußte mit Gewalt von ihm losgerissen werden. Aber auch die andern waren nicht gewillt, sein Leben zu schonen, und forderten seinen sofortigen Tod. Dieser Entrüstungssturm konnte einen nicht gutzumachenden Schaden anrichten; es galt, ihn zu dämpfen und von dem Burschen soviel wie möglich zu erfahren.
Manauri ordnete an, daß in der Nähe zwei Feuer entfacht würden, und bestimmte zwei junge Männer, die darüber zu wachen hatten, daß sie nicht verlöschten. Nun wurde es ziemlich hell, und man konnte den Gefangenen besser betrachten.