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Als er überwältigt worden war, hatten seine Augen nur wahnsinniges Entsetzen gezeigt, jetzt aber schien Kanaholo zu merken, daß seinem Leben keine unmittelbare Gefahr drohe, und er wurde kühner. In seinen Augen spiegelte sich ein Ausdruck lauernder Durchtriebenheit — man sah, daß sich der Zauberer keinen Tölpel als Lehrling und Nachfolger ausgesucht hatte.

Die Stellung des Gefangenen war unnatürlich. Er lag halb auf die rechte Seite gedreht, was zunächst den Eindruck entstehen ließ, er sei vielleicht verletzt. Manauri ließ ihn auf den Rücken legen, aber er nahm so schnell wie möglich wieder die vorherige, unbequeme Stellung ein. Das konnte Zufall sein oder auch nicht, auf jeden Fall hatte es meine Aufmerksamkeit erregt. Wollte Kanaholo auf diese Weise etwas vor uns verbergen?

„Wurde kein Giftblatt bei ihm gefunden? fragte ich den neben mir stehenden Arasybo.

„Nein, wir haben noch nicht nachgeforscht. Wir müssen warten, bis es Tag wird, dann werden wir den Rasen absuchen.”

„Das Blatt ist das wichtigste. Es ist der unwiderlegbare Schuldbeweis.”

„Ja, aber jetzt ist es zu dunkel zum Suchen.”

„Und bei ihm selbst könnte man es nicht finden?”

Arasybo betrachtete den Gefesselten mit einem unsicheren Blick. Der Gefangene konnte das Blatt nirgendwo an sich verstecken, denn er war nackt und hielt die Hände geöffnet.

Manauri richtete einige Fragen an ihn, doch erhielt er keine

Antwort. Der Bursche hüllte sich in hartnäckiges Schweigen. Dreißig oder vierzig Menschen standen um ihn herum, Männer, Frauen und auch Kinder. Wenn sich auch ihre erste Erregung gelegt hatte, so war ihre Neugier noch nicht befriedigt; sie warteten auf ein entscheidendes Wort, harrten auf den Schuldbeweis, auf einen sichtbaren Beweis.

In der Menge, die den Gefangenen umstand, befanden sich auch einige Indianer, die nicht zu unserer Sippe gehörten. Sie wohnten in der Nähe und waren genau wie die andern durch den Lärm herbeigelockt worden. Sie gehörten weder zu meinen Feinden noch zu meinen Freunden. Als sie aus dem Munde Manauris die schweren Anschuldigungen gegen Karapana vernahmen, erschraken sie zutiefst. Die Macht ihres Zauberers war ihnen heilig, sie standen unter seinem Einfluß und waren nicht gewillt, ihn als ehrlos zu beschimpfen, nur weil jemand behauptete, daß er ein Verbrechen begangen habe. Sie begannen untereinander zu flüstern, und als Kanaholo weiter in seinem Schweigen verharrte, wandten sie sich an Manauri und brachten ihre Zweifel vor:

„Wir haben schwerwiegende Worte vernommen, du hast verwegene Behauptungen ausgesprochen.”

„Ich weiß, was ich gesagt habe”, entgegnete der Häuptling. „Der Weiße Jaguar ist unschuldig, seine Seele ist gesund. Karapana will ihn vernichten, deshalb hat er Lasanas Kind vergiftet, durch Kanaholo ließ er ihm Kumarawablätter unter die Matte legen.” „Wer hat die Blätter gesehen?” riefen die andern. „Du sagst, daß Arasybo sie gesehen hat? Arasybo ist ein Krüppel, ein Rappelkopf. Was kann man von ihm erwarten? Er haßt Karapana, deshalb hat er sich diese Lügen ausgedacht.”

„Ich habe mit eigenen Augen so ein Blatt gesehen, das dem Kind untergeschoben worden war.”

„Wer hat es dir gezeigt? Wo ist es?”

„Arasybo hat es gefunden.. .”

„Er hat es gefunden? Arasybo hat es dir also gebracht! Er kann es genauso selbst im Urwald geholt haben.”

„Und Kanaholo?” brauste Manauri auf. „Warum versuchte Kanaholo diese Nacht in die Hütte des kranken Kindes einzudringen?”

„Das wissen wir nicht. Aber auch du weißt es nicht!”

„Ich weiß es! Sobald es hell wird, werden wir in der Nähe der Hütte ein Kumarawablatt finden.”

„Das ist möglich. Vielleicht hat es Arasybo dort hingelegt.” Sie begannen zu lachen.

Die jungen Burschen, denen die Feuer anvertraut worden waren, hatten wohl vergessen, Holz aufzuwerfen, denn die Flammen waren dem Erlöschen nahe. Ich stand dem Gefangenen am nächsten. Die Hände waren ihm auf den Rücken gebunden, und er lag auf ihnen. Als die Flammen immer kleiner wurden, bemerkte ich, daß der Junge im Halbdunkel verzweifelte Bewegungen machte, als wolle er mit den gebundenen Händen irgend etwas ergreifen, das unter seiner rechten Hüfte verborgen war. Kurz darauf schossen neue Flammen empor, und der Gefangene verhielt sich wieder still. In diesem Augenblick machte ich eine interessante Entdeckung: Unter der Hüfte des Gefesselten mußte ein Gegenstand liegen, ein Ende davon lugte hervor. Ob es nicht die Spitze eines Bambusrohres war? Ein Stück Bambusrohr, wie es hier allgemein zum Aufbewahren kleiner Gegenstände verwendet wurde? Jetzt gab es für mich keine Zweifel mehr, warum Kanaholo eine so eigenartige Stellung einnahm. Er versuchte etwas unter sich zu verbergen, das sein Geheimnis verraten könnte.

Als ich mich Arnak zuwandte, um ihn auf meine Entdeckung aufmerksam zu machen, kam Arasybo, der uns vor einer Weile verlassen hatte, mit dem Jaguarschädel angerannt. Er stieß einen Speer schräg in die Erde, daß sich das Ende über dem Gefangenen befand, dann befestigte er den Schädel daran und richtete ihn mit der offenen Augenhöhle genau auf den Jungen. In dem flackernden Licht schien der Schädel zu neuem Leben zu erwachen, die fletschenden Zähne schienen sich zu bewegen, und die leere schwarze Augenhöhle blickte unheimlich und drohend auf den

Verbrecher herab. Die Wirkung war augenscheinlich. Der Jüngling begann zu zittern, die Augen traten ihm aus den Höhlen, doch schwieg er weiterhin hartnäckig.

„Jetzt wirst du uns alles sagen, du Lump”, knurrte Arasybo. „Sprich, sonst reißt dich der Jaguar in Stücke!”

Am liebsten hätte ihn Arasybo mit seinen eigenen Händen zerrissen, doch brachte auch er nichts aus ihm heraus. Der Bursche verzog nur den Mund und schwieg wie ein Grab.

„Nichts werdet ihr von ihm erfahren”, ertönte eine Stimme aus der Gruppe der Anhänger des Zauberers, als wolle sie dem Jungen Mut zusprechen.

anauri schickte einen Boten zu Kanaholos Vater, der in Serima wohnte, in der Hoffnung, daß der Anblick des Vaters den Trotz des Jünglings brechen werde.

„Es steht schlecht’, raunte mir Arnak zu. „Das ist ein verfluchter Strolch. Wir werden verspielen.”

„Was, wir sollen verspielen? Arnak, so leicht streichst du die Segel?”

„Wir können ihnen die Schuld nicht nachweisen.”

„Ich erkenne meinen Arnak nicht wieder! Vor so einer Rotznase gibt er klein bei? Lieber Arnak, wo hast du deine Augen? Kannst du nicht mehr sehen?”

Dem Freund fiel die versteckte Höflichkeit in meiner Stimme auf, so wie mir am Nachmittag die veränderte Stimme Arasybos aufgefallen war. Er blickte mir in die Augen und fragte: „Kannst du vielleicht etwas Günstiges sehen?”

„Ich sehe etwas.”

Leise vertraute ich ihm meine Vermutung an, auf die mich die eigenartigen Bewegungen des Gefangenen und sein Versuch, das Bambusröhrchen unter sich zu verbergen, gebracht hatten. Arnaks Augen blitzten, obwohl er sich sonst immer in der Gewalt hatte. Nach einer Weile hatte er sich von der Richtigkeit meiner Beobachtungen überzeugt.

,;Der Schuft verbirgt etwas, jetzt sehe ich es auch”, flüsterte er mir zu und betrachtete mich anerkennend. „Jan, dein scharfer Blick und deine alte Kraft sind zurückgekehrt. Wir lassen uns nicht unterkriegen! Erlaube mir, daß ich ihren Schurkenstreich enthülle.”

„Aber gern. Tu, was du willst.”

Arnak setzte Manauri, Wagura und Arasybo mit einigen Worten von der Entdeckung in Kenntnis, ließ trockene Zweige in die Feuer werfen, daß die Flammen hoch aufloderten, und rief dann etliche ältere Krieger aus unserer Sippe und aus den Reihen der andern, besonders aus der Gruppe der Zweifler, zu dem Gefangenen hin. Als alle versammelt waren, verkündete er mit schallender Stimme, daß sich das Auge des Jaguars nicht betrügen lasse. Das Auge habe uns die verbrecherischen Absichten des Zauberers verraten und auch mitgeteilt, wo Kanaholo das Ku-marawablatt verborgen halte.