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Bald zeigte es sich, daß auch Serima nicht mehr eine verschworene Gemeinschaft von Menschen eines Sinnes beherbergte, wie es einst gewesen war. Als die Nachricht von unserem beabsichtigten Aufbruch dorthin durchsickerte, äußerten viele Indianer den Wunsch, sich uns anzuschließen. Sie wollten nicht länger unter der Herrschaft des fürchterlichen Zauberers bleiben. Nach dem Stammesbrauch der Arawaken hatten sie das Recht dazu, und niemand durfte sie daran hindern. Den Oberhäuptling beunruhigte dies, und Karapana geriet darüber in rasende Wut. Um eine Spaltung des Stammes zu vermeiden — eine Befürchtung, die beide seit unserer Ankunft gehegt hatten —, entstand in dem heimtückischen Kopf des Zauberers der ungeheuerliche Plan, uns zu überfallen und, wenn auch nicht die ganze Sippe, so doch ihre wichtigsten Mitglieder, auch Manauri, Pedro und Lasana, umzubringen. Zum Glück wurden wir durch wohlgesinnte Menschen rechtzeitig gewarnt und waren auf der Hut. Aufmerksam verfolgten wir jede Bewegung in Serima und beschleunigten unsere Vorbereitungen für die Abreise.

In dieser für beide Seiten äußerst gespannten Lage traten plötzlich unerwartete Ereignisse ein, die die guten und die bösen Absichten aller Beteiligten durchkreuzten.

Eines Tages, zwei Stunden nach Sonnenaufgang, tauchten am Rande des Wäldchens, das unsere Hütten vom Sitz des Oberhäuptlings trennte, zwei Einwohner Serimas auf und rannten aus Leibeskräften auf uns zu. Es handelte sich nicht um einen Angriff, wie wir im ersten Augenblick vermuteten, denn die beiden Indianer waren allein und schrien uns eigenartige Worte zu.

„Verstehe ich richtig?” sagte Arnak, von einer bösen Ahnung erfüllt. „Spanier?” „Ja, dieses Wort rufen sie”, erwiderte einer der Freunde mit belegter Stimme.

Unsere warnenden Rufe trieben die Menschen aus den Hütten. Aufgeregt eilten sie herbei.

Inzwischen waren die Indianer aus Serima herangekommen, sie rangen nach Atem und konnten sich kaum auf den Beinen halten. Nicht nur der schnelle Lauf, sondern ein entsetzlicher Schreck saß ihnen in den Gliedern.

„Spanier!” stießen sie keuchend hervor. „Spanier... dort!” „Wo?” schrie sie Manauri an.

„Bei uns in Serima... Sie kamen in Booten ... und sind ausgestiegen! Spanier!”

Spanier! Welch schreckeinflößendes Wort! Alle Angehörigen unserer Sippe waren bis vor kurzer Zeit in der spanischen Sklaverei gewesen und wußten nur zu gut, was es bedeutete, in dieser Hölle zu leben. Nur Arnak und Wagura bildeten eine Ausnahme, sie hatten den Engländern als Sklaven gedient. Das Wort Spanier lag wie ein Fluch in den Ohren der Indianer. Wo immer wir ihnen begegnet waren, ob auf der Insel oder in den Llanos nahe dem Geierberg, jedesmal hatten wir uns verzweifelt gegen ihre Feindseligkeit zur Wehr setzen müssen. Kein Wunder, daß mancher von uns im Innern erbebte.

„Haben sie euch überfallen?” fragte Manauri. „Haben sie jemanden getötet?”

„Nein, sie haben uns nicht überfallen.”

„Es ist zu keinem Kampf gekommen?”

„Nein.”

„Konnten alle aus Serima fliehen?”

„Nein, die Spanier haben uns überrascht. Nur einigen gelang es zu entkommen.”

„Die Spanier suchten also keinen Kampf?”

„Nein, sie gingen nur an Land, doch sind sie bis an die Zähne bewaffnet und sehen furchterregend aus.”

„Wie viele sind es?”

Die beiden rangen immer noch nach Luft und konnten sich über die Anzahl der Spanier nicht einig werden. Der eine behauptete, es seien soviel wie Finger an beiden Händen, der andere erklärte, er habe zehnmal soviel gezählt.

„Nein”, widersetzte sich der erste. „Spanier sind nicht viele dabei, die übrigen sind Indianer.”

„Von welchem Stamm sind die Indianer?”

„Wir kennen sie nicht, es sind fremde.”

„In wieviel Booten sind sie angekommen?”

„In fünf Booten.”

„Sind es große Boote?”

„Ja, es sind Itauben.”

„Nicht fünf Boote sind es, sondern nur drei”, verbesserte der zweite Ankömmling.

„Was sie hier wollen, das wißt ihr nicht?”

Sie wußten es nicht, hegten auch keinerlei Vermutungen. Sie konnten nur das eine berichten, daß die Spanier, obgleich sie keinen Kampf vom Zaun gebrochen hatten, sehr herrisch und herausfordernd aufgetreten waren; sie benahmen sich wie strenge Gebieter und nicht wie Gäste. Unglück und Leid gingen von ihnen aus, und sie verbreiteten Schrecken.

Ich verständigte mich durch Blicke mit Manauri und Arnak, sodann forderte ich die Anwesenden auf, ihre Waffen zu holen und sich vor meiner Hütte zu versammeln. Zum Glück war die ganze Sippe beisammen.

Neben mir stand Pedro. Als er vernahm, daß Landsleute von ihm angekommen waren, wich ihm das Blut aus dem Gesicht, und er war bleich wie Wachs. Ich stieß ihn freundschaftlich mit dem Ellbogen an.

„Nun sind sie da”, sagte ich spanisch zu ihm, er hatte mich ja in dieser Sprache unterrichtet.

Pedro war so verwirrt, daß er wohl kaum hätte bis fünf zählen können. In seinem vertrauenerweckenden, offenen Gesicht malte sich grenzenlose Verblüffung.

„Ob ...”, stotterte er voll schreckhafter Ungewißheit, „ob ich...?”

„Aber natürlich! Du bist frei und kannst mit ihnen abfahren, sobald es dir beliebt.”

„0 Herr! Ich danke!”

„Nanu, Pedro!” Ich mußte lachen. „Bist du mir schon so fremd, daß du mich plötzlich mit ,Herr' ansprichst?”

„Nein. Verzeih mir, Jan... In meinem Kopf geht alles durcheinander.”

„Lieber Pedro, behalte jetzt einen klaren Kopf, denn ich brauche dich noch. Vielleicht errätst du, weshalb deine Landsleute uns besuchen.”

Doch auch Pedro konnte keine Erklärung finden. Da Serima einige Meilen von der Mündung des Itamaka in den Orinoko entfernt war, also abseits des üblichen Wasserweges lag, mußten wir annehmen, daß die Spanier kein Zufall hierhergebracht hatte, sondern daß sie mit einer bestimmten Absicht gekommen waren.

„Aber von wo könnten sie gekommen sein?” fragte ich mich und Pedro.

Ich hieß ihn die Karte bringen, an der er mehrere Wochen gearbeitet hatte. Sie zeigte im Norden den Unterlauf des Orinoko und weit im Süden den fast parallel dazu verlaufenden Cuyuni sowie eine ganze Anzahl ihrer Nebenflüsse. Zwischen den beiden großen Strömen breiteten sich Bergketten aus, und mit besonderer Sorgfalt waren die wichtigsten Pfade eingezeichnet, deren sich die Indianer auf ihrem Weg vom Cuyuni zum Orinoko bedienten.

„Wo liegen die Siedlungen der Spanier?” fragte ich.

„Zwischen uns und der Mündung des Orinoko gibt es überhaupt keine”, erklärte Pedro, „davon haben wir uns mit eigenen Augen überzeugt. Die Ankömmlinge könnten also von der Insel Trinidad ausgelaufen sein, wo sich eine spanische Niederlassung befindet, oder von der Insel Margarita.”

„Ist das nicht zu weit?”

„Man kann nicht wissen, Jan! Vielleicht sind sie hinter jemandem her? Wahrscheinlicher allerdings ist es, daß sie den Orinoko heruntergefahren sind und aus den Gegenden kommen, wo sich die Spanier schon vor langer Zeit festgesetzt haben.”

„Haben sie dort starke Stützpunkte?”

„Soldaten sind dort stationiert, aber wie stark die Stützpunkte sind, das weiß ich nicht. Mir ist nur bekannt, daß bei einigen Indianerstämmen Dominikanermissionen bestehen, außerdem habe ich von einer Siedlung gehört, die Angostura heißt.”

„Wie weit von hier liegt diese Siedlung?”

„Angostura? Genau kann ich es nicht sagen. Ich schätze hundert bis hundertfünfzig Meilen.”

Während meiner Unterhaltung mit Pedro versammelten sich die Krieger unserer Sippe, und da sie alle mehr oder weniger gut Spanisch verstanden, hörten sie aufmerksam zu. Auch einige Indianer aus anderen Sippen gesellten sich zu ihnen. Diese verstanden überhaupt nicht Spanisch; doch als sie das Wort Angostura vernahmen, entstand lebhafte Bewegung unter ihnen. Der Name war ihnen bekannt. Sie kamen näher heran, und einer sprach mich an: „Weißer Jaguar, wir wissen, was Angostura ist. Dort sitzen die Spanier! Vor zwei Trockenzeiten, kurz nachdem wir uns hier am Itamaka niedergelassen hatten, waren sie bei uns. Damals haben sie uns entdeckt. Sie sagten uns auch, daß sie wieder-kämen.”