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Ich glaubte eine Gestalt wahrzunehmen, die auf dem Bootsrand saß, zweifellos war es einer der Wächter. Er rührte sich nicht. Wo aber steckte der andere?

„Du hast doch gesagt, daß immer zwei Wache halten”, fragte ich Katawi beunruhigt.

„Ja, immer zwei.”

„Der zweite ist nirgends zu sehen.”

Katawi sprach leise mit seinem Sohn, doch konnten sie keine vernünftige Erklärung für die Abwesenheit des zweiten Wächters finden.

„Vielleicht hat er sich hingelegt und schläft?”

„Und ihr wißt genau, daß die beiden andern in dem zweiten Boot schlafen?”

„Ganz genau”, antwortete der Sohn des Fischer. „Sie schlafen im Vorderteil des Bootes, das uns zugekehrt ist.”

„Hast du gehört, Wagura?”

„Ich habe verstanden.”

Wenn wir uns im Schatten des Gebüsches hielten, konnten wir uns den Booten bis auf zwanzig Schritt nähern, dann aber mußten wir über die offene Sandfläche laufen, um zu dem Wächter zu gelangen. Dabei konnten wir leicht vorzeitig entdeckt werden. Um diese Gefahr zu verringern und gleichzeitig herauszubekommen, wo sich der zweite Wächter verbarg, entschloß ich mich zu einer List, die ich in den virginischen Wäldern kennengelernt hatte. Sie diente dem Zweck, die Aufmerksamkeit in eine falsche Richtung zu lenken. Größere und kleinere Steine lagen überall umher, ich belehrte Katawi und dessen Sohn, wann und wie sie die Steine ins Wasser werfen sollten, dann gingen wir ans Werk.

Es war so dunkel, daß wir nicht innerhalb des Strauchwerks vorzudringen brauchten, sondern am Rande des Gebüsches entlanggehen konnten. Wir bewegten uns äußerst vorsichtig, damit der Sand unter unseren Füßen nicht zu laut knirschte. Bald be-

fanden wir uns gegenüber dem Boot mit den Gefangenen. Hier blieb ich mit Kokuj, einem der stärksten Krieger unserer Sippe, zurück. Wagura und seine Gefährten gingen noch einige Schritte weiter, bis zu der Stelle, die dem zweiten Boot am nächsten lag.

Katawi war indessen nicht müßig. Weit von uns entfernt, ungefähr in der Mitte des Flußarms, plumpste ein Stein ins Wasser. Die Gestalt des Wächters rührte sich nicht. Sollte er eingeschlafen sein? Ein zweiter und ein dritter Stein fielen glucksend in den Kanal. Es klang ganz eigenartig, als ob geheimnisvolle Tiere im Wasser ihr Unwesen trieben.

Endlich gab der Wächter ein Lebenszeichen von sich. Er stand auf und streckte sich. Die geheimnisvollen Laute erweckten seine Aufmerksamkeit, er beugte sich vor und blickte forschend auf die dunkle Oberfläche des Kanals. Als es erneut plätscherte und gluckste, kamen ihm Zweifel, und er rief mit gedämpfter Stimme: „Senor Fernando! Senor Fernando!”

Aus dem Sand neben der Bordwand des Bootes erhob sich ein Mensch und fragte mit verschlafener Stimme: „Que cosa? Was ist los?”

Es war ein Spanier. Der andere, der auf dem Bootsrand gesessen hatte, war Indianer.

Ich stieß Kokuj an und gab ihm durch ein Handzeichen zu verstehen, daß ich den Spanier übernehme und er sich auf den Indianer stürzen solle.

Wir lösten uns aus dem Schatten des Dickichts und sprangen mit federnden, vorsichtigen Schritten nach vorn. Eben plumpste es wieder im Kanal, außerdem verursachten Frösche und anderes Getier ziemlichen Lärm. Unbemerkt gelangten wir bis zum Boot und ließen fast gleichzeitig die Keulen auf die beiden Köpfe niedersausen. Die Getroffenen sanken lautlos zu Boden, nur der Spanier gab einen leisen, gurgelnden Ton von sich. Das Geräusch der Keulenschläge war das Signal für Wagura.

Ich lief zu dem zweiten Boot, doch hier war keine Hilfe mehr nötig. Die Freunde hatten das Werk bereits vollendet. Die schla-

enden Wächter waren gar nicht erst erwacht, so schnell hatten die Schläge sie betäubt. Wir banden allen vieren Hände und Füße und schleppten sie in das Gestrüpp. Den Spaniern wickelten wir außerdem ihre eigenen Hemden um die Köpfe.

Anschließend befreiten wir die Warraulen von ihren Fesseln. Als sie ihrer Freude durch laute Rufe Luft machen wollten, befahlen wir ihnen strengstes Schweigen. Mit vereinten Kräften schoben wir die Itauba ins Wasser und verteilten die befreiten Warraulen als Ruderer auf die beiden Boote. An Rudern mangelte es zum Glück nicht.

Katawi wußte von einer in der Nähe gelegenen kleinen Bucht, die nicht einmal der Teufel entdecken würde. Die schmale Einfahrt wurde durch dichtes Astwerk versperrt, und wir hatten Mühe, uns mit den Itauben hindurchzuzwängen. In dieser Bucht waren wir völlig sicher. Wir untersuchten in Ruhe die Ladung des Bootes und fanden unsere Vermutung bestätigt: es waren tatsächlich Nahrungsmittelvorräte, vor allem Mais, Mandiokawur-zeln, getrocknete Fische und ganze Viertel Rindfleisch. Diese üppige Beute machte uns auf einige Zeit unabhängig von dem Stamm, noch wertvoller für mich aber waren zwei Fäßchen mit Pulver und ein Sack mit Blei, die sich gleichfalls in dem Boot befanden.

Die Warraulen stammten aus Kaiiwa, dem Sitz des Oberhäuptlings Oronapi, unseres Verbündeten und Freundes. Die Spanier waren vor einigen Tagen bei ihm erschienen, um ihren Tribut zu fordern. Da es ihnen zuwenig schien, was er ihnen gab, fielen sie über einen entlegenen Teil Kaiiwas her und fingen alle Männer ein, deren sie habhaft werden konnten. Sie schleppten sie auf ihre Boote und traten schnell die Rückreise an. Da die Spanier stark bewaffnet waren, hatte Oronapi sichtlich nicht gewagt, sie zu verfolgen.

Die Gefangenen wußten nur zu gut, was sie in Angostura erwartet hätte, und dankten uns immer wieder für ihre Befreiung. Wir teilten den Warraulen Nahrungsmittel für einen Tag zu und schärften ihnen ein, sie sollten mit dem gleichen Boot, in dem die Spanier sie hierhergebracht hatten, nach Kaiiwa zurückkehren und in Zukunft besser auf ihre Freiheit achten.

„Die Feuerwaffen, die wir den Spaniern abgenommen haben, gebe ich euch nicht mit’, sagte ich zum Abschied, „denn ihr habt noch nicht gelernt, damit umzugehen. Dafür könnt ihr euch die von den beiden Indianern erbeuteten Bogen und Keulen nehmen. Außerdem — Wagura, paß jetzt gut auf! — habe ich euch vier Bogen und Pfeile mitgebracht, damit ihr ein Wild erlegen könnt.” „Und du glaubst, Jan, ich hätte das nicht schon früher erraten?” prahlte mein junger Freund.

„Oho, du bist aber ein schlauer Bursche, das hatte ich allerdings nicht erwartet!” rief ich lachend und bedachte ihn mit einem Blick voller vorgetäuschter Anerkennung.

Die Warraulen steckten die Köpfe zusammen und flüsterten erregt miteinander.

„Was haben sie denn?’ fragte ich Aripaj.

Aripaj konnte sie nicht verstehen, doch trat plötzlich einer der Warraulen vor, ein starker junger Mann, soviel ich im Dunkel zu erkennen vermochte, und sprach mit forscher Stimme: „Weißer Jaguar! Ich heiße Manduka, und man schätzt meine Tapferkeit. Du hast uns vor Sklaverei und Schande bewahrt. Die Spanier sind nun hier bei unseren Freunden und werden sie genauso über-fallen, wie sie uns überfallen haben. Wir müssen dir helfen. Ich will nicht nach Kaiiwa zurückkehren. Ich bleibe hier und werde kämpfen. Gib mir eine Waffe und befiehl, was ich tun soll. Ich gehöre zu dir, Weißer Jaguar!”

„Ich auch! Ich auch!” meldeten sich mehrere andere.

Überrascht und freudig erregt über diese unerwartete Bereitschaft, blickte ich fragend zu Wagura hinüber.

„Sollen wir sie hierbehalten?”

„Warum nicht? Nimm sie!”

„Wie steht es mit Waffen? Sind Bogen und Pfeile vorhanden?” „Die finden sich.” „Gut!” Ich wandte mich wieder Manduka zu. „Ich nehme eure Hilfe gern an. Wieviel seid ihr?”

Sie waren elf. Alle brannten darauf, mit den Spaniern zu kämpfen und sich für das erlittene Unrecht zu rächen.

„Ich nehme euch auf’, fügte ich hinzu, „aber unter der Bedingung, daß ihr allen meinen Befehlen gehorcht. Aripaj wird sie euch übermitteln.”