Gern ließ ich ihnen Gerechtigkeit widerfahren. „Merkt euch aber eins: Ruhe bewahren, die Augen offenhalten und auf alles achten, was ich tue.”
Kaum hatte man uns in Serima entdeckt, als der Lärm schnell abnahm und die Menschen aufhörten umherzulaufen. Alle Blicke wandten sich uns zu. Sogar die Spanier verhielten den Schritt und starrten uns schweigend entgegen. In dem allgemeinen Schweigen, das nun über dem Dorf lag, zitterte die Erregung mehrerer hundert Menschen, die neue, ungewöhnliche Ereignisse er-warteten.
Wir schenkten ihrer Verwunderung keine Beachtung und setzten unseren Weg unbeirrt und ruhig fort. Unter einem breiten Toldo standen die Stammesältesten und der Kommandant der Spanier. Wir schritten auf diese Gruppe zu.
Wagura und neun Krieger blieben etwa fünfzig Schritt vor dem Toldo stehen. Von hier aus konnten sie sowohl die Ältesten als auch den Dorfplatz und das Flußufer gut im Auge behalten. Arnak und der zwölfte Krieger hielten sich dicht hinter mir, um mich im Fall eines plötzlichen Angriffs von rückwärts zu decken.
Als wir uns dem Toldo bis auf Pfeilschußweite genähert hatten, kam mir der Spanier entgegen, verneigte sich anmutig und rief schon von weitem mit freundlicher Stimme: „Verehrter Caballero, erlaubt mir, daß ich mit gebührender Bewunderung einen Gast begrüße, der nicht davor zurückschreckt, in diese öde Wildnis zu kommen, und dessen Haupt vom Glanz eines außergewöhnlichen, fast beunruhigenden Ruhmes umstrahlt ist.”
Diese äußerst ehrerbietigen, in so unerwartet herzlichem Ton vorgebrachten Worte überraschten mich derart, daß ich einen Augenblick ganz verblüfft war. Doch faßte ich mich gleich wie-der, schwenkte den Hut genauso artig wie er und antwortete: „Ich verneige mich voller Achtung und versichere, daß es mir außerordentliches Vergnügen bereitet, in dieser verlassenen Wildnis einem so höflichen und gebildeten Mann zu begegnen. Es sei mir gestattet, in Erwiderung der einnehmenden Begrüßungsworte zu bemerken, daß ich nicht aus eigenem Entschluß in diese Gegend gekommen bin und daß mir der beunruhigende Ruhm, den der Herr erwähnte, gegen meinen Willen zugeschrieben wird.” Ich sprach spanisch, und es kam nicht alles so glatt heraus, wie ich es gewünscht hatte, doch verstand mich Don Esteban und erwiderte lebhaft: „Mir sind Eure Erfahrungen und Abenteuer bekannt, und ich weiß, daß es nicht Eure Schuld ist, wenn Eure und die Wege der Spanier sich zweimal unter ungünstigen Bedingungen gekreuzt haben und es dabei zu bedauernswerten Vorfällen gekommen ist. Nicht immer trifft man auf Menschen guten Benehmens. Pedro hat mich über alles genau unterrichtet.” Nach diesem höflichen Austausch von Begrüßungsworten schüttelten wir uns die Hände. Der Spanier mochte höchstens fünfunddreißig Jahre alt sein. Sein ganzes Gesicht strahlte Wohlwollen aus, und sein Mund verharrte in freundlichem Lächeln. Als ich ihn aber näher betrachtete, stellte ich mit Erstaunen fest, daß die kalten Augen in seinem Gesicht an dem wohlwollenden Lächeln des Mundes keinen Anteil hatten. Als ob sie einem anderen Menschen gehörten, ging von diesen Augen eine eigenartige Kälte aus. In ihnen lag ein Ausdruck von Grausamkeit, der sie eine ganz andere Sprache als der Mund sprechen ließ.
Ich erschrak geradezu, daß ich im ersten Augenblick so leichtsinnig gewesen war und dem lächelnden Mund und den höflichen Worten hatte Vertrauen schenken wollen.
Sollte er ein Wolf im Schafpelz sein? dachte ich bei mir. Dann kann er seine wahre Natur schlecht verbergen, sie leuchtet ihm aus den Augen.
„Auf Ehre, ich erwarte Euch wie der Liebhaber seine Geliebte.” Der Spanier lachte und schob seine Hand freundschaftlich unter meinen Arm. „Ich brauche Eure Hilfe, ohne diese komme ich hier nicht weiter. Koneso ist ein unehrlicher Lump und ein abscheulicher Schwindler, ein räudiger Hund. Das werden mir Don Juan doch bestätigen?”
„Voll und ganz.”
„Ich habe gleich gewußt, daß wir uns einigen werden.”
„Ich bin immer für Einigung und Ordnung, Senor. Es fragt sich nur, welche Ordnung Euer Wohlgeboren meinen?” fragte ich mit unschuldiger Miene und zog die Augenbrauen etwas nach oben. „Koneso und seine Leute wollen die Verpflichtung nicht einlösen, die sie eingegangen sind. Sie versuchen alle möglichen Ausflüchte, die Schwindler! Nicht genug damit, daß sie die vor langer Zeit gemachten Schulden nicht bezahlen wollen, sehen sie in ihrer Verbohrtheit nicht einmal die großen Vorteile, die wir diesen Wilden bieten, und machen Schwierigkeiten, die Undankbaren.” „Ist so etwas möglich? Sie stellen sich gegen ihren eigenen Vor-teil?”
„So ist es. Der Stamm muß fünfzig junge Männer zur Verfügung stellen, denen wir in Angostura beibringen wollen, wie fruchtbringende Feldarbeit getan wird, und die nach zwei Jahren als tüchtige Bauern zu ihrem Stamm zurückkehren sollen, um den Wohlstand und das Glück aller zu mehren.”
Wie schön klangen diese Worte im Munde des Spaniers, und wie ganz anders sah es in Wirklichkeit aus! Die Indianer wußten nur zu gut, was unter fruchtbringender Arbeit auf den spanischen Haziendas zu verstehen war, was sie von den zwei Jahren zu halten hatten, und ließen sich nicht täuschen.
„Fünfzig junge Menschen sollen sie Euch geben?’ Ich pfiff leise durch die Zähne. „Wenn sie aus Angostura zurückkehren, werden die Arawaken eine mustergültige Landwirtschaft haben und der glücklichste Stamm in ganz Venezuela sein!”
Der Spanier versuchte mit forschendem Blick in meinem Gesicht zu lesen. Da er nichts Beunruhigendes feststellen konnte, lächelte er — aber diesmal nur mit den Augen. Sie lebten zum erstenmal auf, die Pupillen schienen zu lächeln, unheimlich, überheblich, spöttisch und verächtlich. Don Esteban hatte meine Ironie nicht herausgefühlt.
„Es stimmt, was der Herr Kavalier gesagt hat”, pflichtete er mir etwas von oben herab bei, wie man zuweilen zu einem biederen Einfaltspinsel spricht, „doch ist es nur die halbe Wahrheit. Natürlich werden die Arawaken nach der Rückkehr der fünfzig Männer ein vorbildlicher und glücklicher Stamm sein, doch haben wir noch glücklichere Stämme in Venezuela, die die Segnungen unserer Zivilisation bereits kennengelernt haben.”
„Oh, wie glücklich müssen diese Stämme sein!” rief ich aus.
Der Spanier geriet etwas aus der Fassung, denn ich hatte viel lauter geschrien, als es diesem Ausruf der Bewunderung zugekommen wäre. Den verdächtigen Sinn meiner Worte und meinen Gesichtsausdruck schrieb er dem Umstand zu, daß ich als Angehöriger eines fremden Volkes mich etwas sonderbar ausdrückte und außerdem die spanische Sprache schlecht beherrschte.
Don Esteban machte eine weitausholende Handbewegung und sprach: „Ich weiß, daß Ihr erst vor kurzem hier angekommen seid; ich weiß auch, daß Ihr bei den Arawaken großes Ansehen genießt. Nicht bei allen, doch bei einem gewissen Teil. Außerdem habt Ihr eine Reihe von Menschen hierhergebracht und seid ihr Führer. Koneso hat mir nahegelegt, ich solle Eure Indianer und Neger mit nach Angostura nehmen, doch will ich es nicht tun, weil sie erst jetzt eingetroffen sind und bei mir keine Schulden haben wie Koneso. Koneso aber windet sich und erklärt, er habe keine Leute. Alle, die er mir geben wollte, seien in den Wald geflohen. Ich weiß, daß viele weggelaufen sind, doch sind noch genügend im Dorf. Daher bitte ich Euch, die Mißtrauischen zu überzeugen, daß es in ihrem Interesse liegt, vernünftig zu sein, sich nicht zu widersetzen und mit nach Angostura zu gehen. Wenn mir Koneso nicht volle fünfzig Männer gibt, dann sagt ihm, daß ich ihm die Haut vom Leibe ziehe.”
„Und die dort, was sind das für Leute?” fragte ich und deutete auf eine Gruppe Indianer, die unweit von uns auf dem Dorfplatz standen und wie Gefangene von Tschaimas bewacht wurden. „Worauf warten sie?”
„Sie kommen mit uns, doch sind es nur dreiundzwanzig, und ich benötige fünfzig.” „Sie haben so betrübte Gesichter.”