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„Weil sie dumm sind! Sie wissen nicht, was sie dort erwartet.” „Vielleicht wissen sie es allzugut?”

Ich hatte diesen Satz langsam, mit scheinbar gleichgültiger Stimme gesprochen, Don Esteban aber warf mir einen scharfen Blick zu. Seine Augen waren wieder wachsam und unaussprechlich kalt. Er trat ganz nahe an mich heran, und ich sah, daß er schwarze, buschige Brauen und lange, feine Wimpern hatte. Die Iris seiner Augen aber war nicht braun, sondern grau wie Blei, und das verlieh seinem Blick jenen harten, eisernen Ausdruck. Auch um seinen Mund lag jetzt ein frostiger Zug, der von ausgesprochener Grausamkeit zeugte.

„Herr Kavalier!” sagte er mit Nachdruck und kam mir so nahe, daß ich seinen Atem an meiner Wange verspürte. „Herr Kavalier, ich hoffe, daß der Herr mich gut verstanden und die Bedeutung dessen, was ich vor einer Weile erklärt habe, richtig eingeschätzt hat.”

„Ich weiß im Augenblick nicht genau, was es war. Ich bitte, es mir in Erinnerung zu rufen.”

„Ich habe versichert, daß ich Eure Leute schonen und sie nicht anrühren werde.”

„Ja, richtig. Ich danke für das liebenswürdige Entgegenkommen, Don Esteban.”

„Ich habe dies in der Überzeugung getan, daß Ihr in Eurem eigenen Interesse helfen werdet, die fünfzig Mann aufzutreiben.” „Und wenn auch ich, genauso wie die Arawaken, mein Interesse nicht wahrzunehmen verstünde, wäre das eine schwere Sünde?” „Jetzt verstehe ich Euch nicht. Sprecht deutlicher!”

„Wenn ich Euch nicht helfen wollte?”

Don Esteban kniff die Augen zusammen, als ziele er mit einer unsichtbaren Büchse auf mich.

„Glaubt nicht, mein Herr, daß ich Eure Scherze vorhin nicht erkannt habe. Jetzt aber spottet Ihr offensichtlich. Doch Spott beiseite! Wenn Ihr das nicht tut, worum ich Euch ersuche, dann könnte es geschehen, daß ich mich doch noch an das erinnere, was mir Koneso bezüglich Eurer Leute geraten hat.”

„Jetzt bekomme ich also bereits eine Drohung zu hören?” „Wenn Ihr es so auffassen wollt, mein Herr?”

Scheinbar zutiefst erschreckt, bewegte ich den Kopf zuerst nach links, dann nach rechts und brach schließlich in schallendes Gelächter aus.

„Möge der Herr mir mein schlechtes Benehmen verzeihen, aber mir schoß eben ein belustigender Gedanke durch den Kopf: Es bestünde doch die Möglichkeit, daß auch meine Leute in den Urwald flüchten, genau wie die andern. Was dann?”

„Habe ich nicht Euch als Geisel hier?”

„Und wenn auch ich weglaufe?”

„Dann kann ich Euch nur sagen, daß ich über sehr flinke Leute und ausgezeichnete Schützen verfüge.”

„Gestattet Ihr mir, Senor, Eure Aufmerksamkeit darauf zu lenken, daß auch meine Leute Schußwaffen besitzen?”

Don Esteban zuckte geringschätzig mit den Achseln und erwiderte: „Pah, die Indianer sind schIechte Schützen.”

„Vielleicht doch nicht alle!”

Wir standen immer noch an der gleichen Stelle, an der wir uns die Hände geschüttelt hatten, in der Nähe des großen Toldos. Unter dem Dach saß Koneso und erwartete uns. Neben ihm befanden sich Manauri als Dolmetscher sowie die Häuptlinge Pirokaj und Fujudi. Hinter diesen standen mehrere bewaffnete Indianer, unter denen ich auch Pedro erblickte. Nur Karapana konnte ich nirgends entdecken.

„Bevor ich Euch eine Antwort gebe”, wandte ich mich an den Spanier und setzte wieder eine ernste Miene auf, „und endgültig ausspreche, welchen Standpunkt ich zu Euren Wünschen einnehme, gestattet mir, daß ich mich mit den Leuten unterhalte, die nach Angostura gehen werden.”

Don Esteban zögerte einen Augenblick, willigte aber schnell ein, als er mein Lächeln sah. Er wollte nicht als Feigling gelten.

Ich rief Manauri zu mir und forderte ihn auf, schnell zu berich-en, was sich in der letzten Stunde hier ereignet hatte. Die Worte [es Häuptlings bestätigten all das, was ich bereits von Aripaj und Don Esteban erfahren hatte. Als er fertig war, vergewisserte ich mich noch einmal und fragte: „Die dreiundzwanzig, die dort bewacht werden, sind das wirklich alles Leute, die sich zu uns bekannt haben, die Koneso lossein will, da sie ihm unbequem sind?’ „Es sind nur solche.”

„Von seinen Leuten hat Koneso niemand abgegeben?” „Keinen einzigen.”

„So ein Schuft! Und die sechs bewaffneten Halunken hinter Pirokaj und Fujudi — wer sind die?”

„Das ist die Leibwache des Oberhäuptlings. Es sind drei Söhne Konesos, einer meiner Neffen, ein Sohn Pirokajs, und zwei, Brüder Fujudis. Alles nächste Angehörige.”

„Man muß sie im Auge behalten, daß sie nicht hinterrücks einen Pfeil abschießen. Geh jetzt zu Wagura, hole dir deine Büchse und die übrigen Waffen und komm sofort zurück! Die Büchse ist mit gehacktem Blei geladen. Wir gehen zu den Gefangenen.”

„Wird Don Esteban es erlauben?”

„Er hat es schon erlaubt.”

„Er ist schön dumm!”

„Er ist nicht dumm: Er vertraut auf sich und sein Ansehen.” „Wird es zum Kampf kommen, Jan?”

„Das weiß ich noch nicht. Vielleicht läßt er sich vermeiden.” Nachdem Manauri zurückgekehrt war, gingen wir auf die Gruppe der dreiundzwanzig Unglücklichen zu. Sie standen in der Mitte des Platzes. Zusammengedrängt, ohne Waffen und von allen Seiten durch Tschaimas bewacht, boten sie einen beklagenswerten Anblick. Die Tschaimas waren kräftige, kriegerische Gestalten, sie gehörten zu den Kariben, die in den nördlich des Orinoko gelegenen Llanos lebten. Statt der üblichen Talismane trug ein jeder ein Kreuz aus Messing auf der Brust; offensichtlich hatten sie das Christentum angenommen.

Als die Gefangenen merkten, daß wir auf sie zugingen, erwachten sie aus ihrer Erstarrung. Sie hoben die Köpfe, gerieten in Bewegung, und in manchem Augenpaar glimmte ein Hoffnungsschimmer auf.

„Geht ihr gern mit den Spaniern?’ fragte ich sie.

Diese Frage klang fast wie Spott und Hohn. Alle verneinten voller Entsetzen.

„Warum seid ihr dann nicht geflohen, warum habt ihr euch nicht zur Wehr gesetzt?”

Einer der älteren Gefangenen, er mochte dreißig Jahre zählen, antwortete: „Es war nicht möglich, Herr, so plötzlich sind sie über uns hergefallen. Einigen ist es gelungen, uns nicht.”

„Ich möchte euch retten! Wenn es zu einem Kampf mit den Spaniern kommt, werdet ihr uns helfen?”

Jetzt wurden sie lebendig, die trüben Mienen hellten sich auf. Einige der Wächter wurden unruhig, traten näher heran und hoben in unzweideutiger Weise die Waffen.

Arnak sagte mir flüsternd, daß ein Sohn Konesos auf uns zukomme.

„Der wurde als Spitzel geschickt!” Ich überlegte einen Augenblick, dann wandte ich mich an Arnak: „Sie brauchen nicht zu wissen, worüber wir hier sprechen. Geh ihm entgegen und schicke ihn auf meinen Befehl zurück.”

„Und wenn er nicht gehorcht?”

„Das ist deine Sache, er hat zu gehorchen. Zum Blutvergießen darf es noch nicht kommen.”

„Auch ein Spanier nähert sich uns. Don Esteban hat ihn geschickt.”

„Der versteht nicht Arawakisch.”

Ich wandte mich wieder den Gefangenen zu.

„Natürlich wollen wir helfen, wenn es zum Kampf kommt”, sagte mein Gesprächspartner. „Wir wissen nur nicht, wie.”

„Ihr müßt plötzlich über eure Wächter herfallen.”

„Mit leeren Händen?”

„Es wird eine große Verwirrung geben. Waguras Krieger wer-den euch einige Keulen und Spieße zustecken. Hauptsächlich aber müßt ihr euch auf euch selbst und auf die Überraschung verlassen. Selbstverständlich helfen wir euch auch mit unseren Schußwaffen.”

„Gut, Herr, wir werden es tun!”

„Und nun wählt zwei oder drei aus eurer Mitte, die etwas später zu einer Beratung zum Toldo gerufen werden.”

„Jawohl, Herr.”

„Noch eines: Wenn wir euch aus den Händen der Spanier befreit haben, was werdet ihr dann unternehmen? Bleibt ihr in Serima?” „Niemals! Auf keinen Fall!” ertönten von überallher zornige Stimmen. „Koneso hat uns verkauft! Wir wollen nicht bei ihm bleiben! Er hat uns verraten!”