„Wollt ihr mit uns kommen?”
„Wohin du befiehlst, Weißer Jaguar.”
Arnak ließ den Sohn Konesos nicht zu uns heran, er stritt sich mit ihm auf halbem Weg. Das war nun nicht mehr notwendig, denn wir kehrten zum Tollt zurück. Bevor wir jedoch dort anlangten, entspann sich ein neuer Zwischenfall.
Einige spanische Söldner waren auf Waguras Gruppe zugeschlendert und hatten begonnen, sich über unsere Krieger lustig zu machen. Obgleich die Arawaken unserer Sippe aus der Zeit Spanisch verstanden, die sie in der Sklaverei verbracht hatten, reagierten sie nicht auf die Anspielungen und bewahrten vorbildliche Ruhe. Die Söldner hatten sich die Büchsen, die Waguras Leute in den Händen hielten, zum Ziel ihres Spottes erwählt und äußerten lachend ihre Zweifel, ob diese Knallrohre auch wirklich geladen seien. Der sich am frechsten gebärdende Spanier trat an Wagura heran und versuchte ihm die Büchse zu entreißen, um sich zu überzeugen, ob Pulver auf der Pfanne sei. Er hatte die Waffe mit beiden Händen am Lauf ergriffen, und da sie Wagura nicht losließ, zerrten sie beide hin und her.
Ich befürchtete, daß aus diesem Geplänkel eine vorzeitige Schießerei entstehen könne, und rief daher Wagura von weitem zu, er solle die Büchse loslassen. Der Bursche gehorchte sofort. Gleichzeitig mit mir traf der neugierige Don Esteban bei den Streitenden ein.
Der händelsüchtige Söldner spannte lachend den Hahn und tat übertrieben verwundert, als er das Pulver auf der Pfanne erblickte. Mit spöttischem Eifer zeigte er die Waffe den übrigen Spaniern, auch Don Esteban, damit sie das Pulver bewundern konnten.
„Que miraculo!” rief er aus. „Escopeta — die Flinte ist tatsächlich geladen!”
Der närrische Tropf bemerkte nicht einmal, daß Wagura mit Zornesfalten auf der Stirn langsam den Bogen in die linke Hand nahm, den Pfeil auflegte, die Sehne spannte und die Waffe gegen den ausgelassenen Raufbold hielt. Mit finsterem Gesicht ging ich schnell auf den jungen Indianer zu und herrschte ihn an, er solle Ruhe geben. Dann forderte ich den Söldner auf, Wagura die Büchse auszuhändigen. Der Stänkerer zeigte keine große Lust da-zu, doch als ihm Don Esteban den Befehl erteilte, wurde auch er vernünftig.
„Ihr scheint keine allzugroße Achtung vor unseren Schützen zu haben”, sagte ich belustigt zu Don Esteban.
„In der Tat nicht.” Der Spanier lachte, seine Augen aber blieben unbeweglich.
„Soll ich Euch einen Beweis für die Schießkunst meiner Indianer liefern?”
„Es fragt sich nur, wie. Übrigens wäre es schade um die Zeit.” Don Esteban winkte ab.
Ich sah mich auf dem Platz um und entdeckte ungefähr fünfzig Schritt von uns einige Flaschenkürbisse, die an einer waagerecht gespannten Liane hingen.' Sie hatten die Größe menschlicher Köpfe und waren anscheinend zum Trocknen aufgehängt worden.
„Was haltet Ihr von dem Ziel da?” Ich deutete mit der Hand auf die Früchte.
„Das ist zu klein”, erwiderte der Spanier. „Die Kürbisse treffen sie nicht.”
„Es käme auf einen Versuch an.”
„Also gut, der beste Schütze soll es versuchen. Wir werden sehen.” Don Esteban versuchte nicht, seine Heiterkeit zu verbergen.
„Nein, nicht der beste Schütze”, antwortete ich, „sondern irgendeiner. Am besten nicht einer, sondern drei. Wollt Ihr die Güte haben, drei meiner Indianer zu bestimmen?”
Don Esteban suchte drei Indianer aus und war fest überzeugt, daß nicht nur diese, sondern auch ich einer fürchterlichen Blamage entgegengingen. Zwei von ihnen waren einwandfreie Schützen, das wußte ich. Beim dritten allerdings hegte ich Zweifel.
„Nimm den größten Kürbis aufs Korn”, raunte ich diesem zu, doch er schien den Rat als beleidigend zu empfinden und blickte mich vorwurfsvoll an.
Ich trat mit Don Esteban etwas zur Seite, während Wagura seinen Leuten die letzten Anweisungen gab. Er tat es sehr umsichtig. Trotzdem hänselten ihn die spanischen Söldner wegen seiner Jugend. Sie riefen ihm zu, ein Säugling solle lieber Milch trinken und nicht mit ungeschickten Händchen nach dem Pulver greifen.
„Dürfen wir schießen?” fragte mich Wagura.
„Wollen Euer Wohlgeboren den Befehl erteilen?” Mit ausgesuchter Höflichkeit verneigte ich mich vor Don Esteban.
„Also, drei Löcher in die Luft!” rief der Spanier und klatschte in die Hände.
Die drei Schützen standen nebeneinander. Auf ein Zeichen Waguras hob der erste die Büchse, legte an, zielte kurz und schoß. Der zweite und der dritte taten das gleiche. Der erste Kürbis wurde in lauter kleine Stücke zerrissen, vom zweiten blieb nur noch ein Rest hängen, und der dritte löste sich genauso auf wie der erste.
Mir fiel ein Stein vom Herzen.
Kaum hatten die Indianer die Schüsse abgegeben, als sie die Büchsen sofort wieder luden. Sie blieben völlig ruhig und achteten nicht auf das Geschrei, das die Spanier von sich gaben, als sie sich von ihrer Verblüffung erholt hatten. Auf den bärtigen Gesichtern der Söldner malte sich Verwunderung, Ungläubigkeit, ja sogar Schreck. Unsere Gruppe stand wieder so ruhig da wie zuvor und tat, als ginge sie der Lärm ringsum überhaupt nichts an. Lediglich Waguras Augen blitzten fröhlich, und er sandte ein verächtliches Lächeln zu den Spaniern hinüber.
Don Esteban war äußerst betroffen und schwieg. Er wich unseren Blicken aus, als wolle er vor mir verbergen, was sich in seinem Innern abspielte.
„Unsere bisherigen Siege über die Spanier verdanken wir dem Umstand”, erklärte ich ihm höflich, aber mit Nachdruck, „daß die Feinde unsere Leute zu leicht einschätzten.”
Ein kurzer, scharfer Blick Don Estebans belehrte mich, daß er meine Worte richtig verstanden hatte. Er unterbrach sein Schweigen und deutete auf die Früchte.
„Vielleicht war es ein Zufall?”
Ein Hund, weder groß noch klein, den die Schüsse erschreckt hatten, stürzte aus einer Hütte heraus und lief über den Dorfplatz. Als Wagura ihn erblickte, sprang er vor, legte an und schoß. Es ging so schnell, daß ich den Heißsporn nicht zurückhalten konnte. Obwohl der Hund an die vierzig Schritt von uns entfernt war und in schnellem Lauf dahinjagte, fiel er um wie vom Blitz getroffen und blieb nach einigen zuckenden Bewegungen tot liegen.
Ein spanischer Söldner, der in der Nähe stand, lief zu ihm hin und stieß ihn mit dem Fuß an.
„Genau ins Herz!” rief er aus und starrte maßlos erstaunt und mit schreckerfüllten Augen zu uns herüber.
Don Esteban strich sich hastig seinen Vollbart. Seine Wangen schienen plötzlich eingefallen, und düstere Schatten lagen auf seinem Gesicht. Es kostete ihn Mühe, seinen Mund zu einem Lächeln zu zwingen.
„Wieviel solcher Leute habt Ihr denn?” Er betrachtete mich mit kalten Augen.
„Leider nicht viele”, antwortete ich mit einem Seufzer des Bedauerns. „Außer diesen, die Ihr hier seht, sind es noch einige Abteilungen, die sich im Augenblick unweit von hier im Urwald befinden.”
„Abteilungen! Im Urwald? Was machen sie dort?”
„Sie haben eine Übung und erwarten meine Befehle.” Wieder warf er mir einen seltsamen Blick zu.
„Don Juan, Ihr seid der leibhaftige Satan”
AIs wir langsam dem Toldo zugingen, unter dem Koneso, umgeben von seiner Ehrengarde, immer noch auf uns wartete, wandte ich mich zu Arnak t und gab ihm zu verstehen, er möge sofort einen Boten zu Lasana, Arasybo und Kokuj schicken. Sie sollten unverzüglich mit dem beginnen, was wir verabredet hatten.
Don Esteban und ich nahmen auf zwei zu beiden Seiten des Oberhäuptling bereitgestellten Schemeln Platz.
„Und wo soll Manauri sitzen?’ herrschte ich Koneso an. „Laß einen Schemel bringen!”