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Der Oberhäuptling widersprach nicht und schickte einen Indianer in seine Hütte.

Schweigend und in uns gekehrt saßen wir drei unter dem Toldo und warteten auf den Schemel. Jeder hatte sein bewaffnetes Gefolge bei sich. Hinter Don Esteban hatten der Häuptling der Tschaimas und jener Sargento Aufstellung genommen, der gestern unseren Schoner vergeblich gesucht hatte.

Unsere Gesichter waren beherrscht, die Augen ruhig, doch beobachteten wir einander aufmerksam und fühlten die drückende Last, die auf uns ruhte. Die volle, sinnliche Unterlippe Konesos hing schlaff herunter — ein trauriges Bild völliger Stumpfheit. Der Oberhäuptling hatte ein schlechtes Gewissen und wußte nicht, was noch auf ihn herabstürzen würde. Don Esteban dagegen machte einen äußerst wachsamen, aber etwas unruhigen Eindruck. Er sah den Verhandlungen mit kaum verhüllter Erregung entgegen. In diesem Zustand sind Menschen seines Schlages besonders gefährlich, da sie leicht die Beherrschung verlieren und zu Gewalttätigkeiten neigen.

Ich selbst war mir im klaren, daß die so weit fortgeschrittenen Ereignisse nur noch zwei Möglichkeiten offenließen: entweder durch Standhaftigkeit den Sieg davonzutragen oder einen Kampf auf Leben und Tod aufzunehmen.

Als der Schemel gebracht worden war und Manauri sich gesetzt hatte, sprach ich so laut, daß es alle hören konnten: „Manauri, du übersetzt Don Esteban jedes Wort, das hier arawakisch gesprochen wird, und ihr”, ich wandte mich Koneso und seinen Leuten zu, „beantwortet meine Fragen klar und ehrlich, wenn ihr das Unglück von eurem Stamm abwenden wollt.”

Sie hüllten sich in düsteres Schweigen. Mit Einwilligung Don Estebans ließ ich drei Vertreter der Gefangenen herbeirufen, auch sie sollten an der Beratung teilnehmen können. Sie mieden die Leute Konesos und stellten sich neben Arnak auf.

„Noch sind wir nicht alle”, rief ich aus. „Koneso, rufe bitte die Bewohner der nächstgelegenen Hütten zusammen, sie sollen zum Toldo kommen.”

„Ist das notwendig?’ Der Oberhäuptling blickte mich mißtrauisch an. „Dort sind nur Weiber und Kinder.”

„Dann mögen die Weiber und Kinder herkommen. Ich verbürge mich für ihre volle Sicherheit!”

Wenn auch widerwillig, gab Koneso doch die entsprechende Anweisung, und kurz darauf erschienen die ersten Einwohner mit verängstigten Gesichtern. Neben den Frauen tauchten auch einige Männer auf, die sich ein Herz gefaßt hatten. Als eine ansehnliche Menge beisammen war, gebot ich Ruhe, ließ meinem Zorn freien Lauf und ging zum Angriff über.

„Wo ist Karapana, der Mörder des jungen Kanaholo?” richtete ich die Frage an alle. „Warum ist er nicht hier?”

Alle schwiegen.

„Antwortet!” drängte ich. „Er ist doch der Zauberer.” „Er ist in den Wald gegangen”, murmelte endlich Fujudi, „um einige Zeremonien zu verrichten.”

„Was?” rief ich empört. „Jetzt, wo sich in Serima das Schicksal des Stammes entscheidet, hat er Zeremonien zu verrichten? So liegen ihm die Geschicke des Stammes am Herzen? Einen Feigling habt ihr, keinen Zauberer!”

Schweigend und voller Bestürzung vernahmen die Menschen diese Worte. Karapana war immer noch eine schreckliche Macht. Koneso neben mir schnaufte, er kochte vor Wut und warf mir haßerfüllte Blicke zu.

„Ich will euch helfen”, sagte ich zu den Ältesten der Arawaken, „und ich werde euch helfen, aber ich verlange, daß ihr mir die volle Wahrheit sagt. Die dreiundzwanzig Männer, die mit den Spaniern gehen sollen, woher habt ihr die genommen? Aus welchen Sippen?”

„Aus allen”, murmelte Koneso, „mit Ausnahme deiner Sippe.” „Ach so. Und warum sind es nicht fünfzig, wie Don Esteban es gefordert hat?”

„Die übrigen sind in den Wald geflohen.”

„Wieso die übrigen? Viele junge Männer sind in den Hütten Se-rimas geblieben und stecken wahrscheinlich jetzt noch dort!” „Die waren nicht für die Spanier bestimmt, nur die hier.” „Sind die hier schlechter?”

Konesos Augen blitzten in zornigem Trotz, als er antwortete: „So ist es, sie sind schlechter.”

„Sprecht offen! Ihr wollt sie los sein, deshalb habt ihr sie den Spaniern zugesprochen? Ihr wollt sie aus ihren Sippen entfernen?”

„Ja, das wollen wir”, mischte sich hochmütig Pirokaj ein, „aber nur auf zwei Jahre!”

„Und die in den Wald geflüchtet sind, sind die auch aus den Sippen ausgestoßen?”

„Natürlich, genauso. Wir haben sie für die Spanier bestimmt.” ;,Das ist ausgezeichnet!” rief ich mit schallender Stimme. „Wenn

ihr euch von der Herrschaft über die dreiundzwanzig und über die in den Wald Geflüchteten lossagt, so nehme ich sie für diese zwei Jahre in unsere Sippe auf. Seid ihr damit einverstanden?” Diese Frage richtete ich an die drei Gefangenen.

„Wir sind einverstanden”, antwortete der älteste voller Freude. „Gern kommen wir zu dir. Wir danken dir, Weißer Jaguar!” Manauri sollte meine Worte für Don Esteban ins Spanische übersetzen, ich bemerkte aber, daß es ihn sehr viel Schweiß kostete; die letzten Sätze hatte er überhaupt nicht mehr übersetzt.

„Sobald ihr frei seid”, sprach ich weiter zu den Gefangenen, „verständigt ihr alle im Urwald, daß sie mit ihren Familien und der gesamten Habe unverzüglich von Serima zu uns übersiedeln.” „Das verbiete ich”, stieß Koneso hervor, und Pirokaj und Fujudi riefen gleichzeitig: „Das ist unmöglich!”

„Ihr seid wohl verrückt geworden? Eben noch habt ihr erklärt, daß ihr diese Leute nicht haben wollt, daß sie aus ihren Sippen verschwinden sollen. Seid ihr schon so weit, daß ihr wie unreife Burschen die Worte, die ihr vor kurzem geäußert habt, abzuleugnen versucht?”

„Ich verbiete es!” keuchte Koneso wutschnaubend.

Mühsam unterdrückte ich die aufsteigende Wut, sah dem Oberhäuptling voll ins Gesicht und sagte laut, jedes Wort langsam und deutlich aussprechend: „Schweig, du Schuft! Wenn du schon unfähig bist, die eigenen Leute vor der Sklaverei zu bewahren, dann stifte wenigstens keinen Unfrieden! Weißt du, wie Don Esteban dich genannt hat? Einen räudigen Hund, einen betrügerischen Lumpen und ekelhaften Schwindler! Und sogar jeder ehrliche Mensch hat nun das Recht, dich so zu nennen! Was bist du für ein Oberhäuptling, wenn du freiwillig, ohne Kampf, deine Leute schwerer Sklaverei überlieferst, sie dem sicheren Untergang preisgibst? Was bist du für ein Oberhäuptling, wenn du so ungerecht bist, daß du einige Menschen böswillig ins Verderben schickst und andere verschonst?”

„Das ist nicht wahr!” schnaubte Koneso.

„Warum sind die Leute, die du ausgesucht hast, schlechter als die übrigen? Vielleicht nur deshalb, weil sie nicht länger unter der Willkür des Mörders und Zauberers leben wollten? Das ist ihre ganze Schuld?

Koneso hatte diesen schweren Vorwürfen nichts entgegenzusetzen und saß da wie ein auf frischer Tat ertappter Verbrecher. „Warum”, fuhr ich fort, „schickst du deine drei Söhne, die hinter dir stehen, nicht in die Sklaverei, warum läßt du den Sohn Piro-kajs ungeschoren oder die beiden Brüder Fujudis — sind sie besser? Sie sind in nichts besser als die dort, nur du, niederträchtiger Häuptling, bist ein räudiger Hund. . .”

In diesem Augenblick wurden meine Worte vom Knall eines Schusses unterbrochen. Er kam aus dem kleinen Wald zwischen Serima und unserer Siedlung, und sein Echo rollte über die ganze Ortschaft hin. Alle hoben ruckartig die Köpfe und spitzten die Ohren. Kaum waren einige Sekunden vergangen, da fiel ein zweiter Schuß, gleich darauf folgte ein dritter, dann ein vierter und noch einer und wieder einer. Es fiel schwer, all die Schüsse zu zählen.

„Was ist das?” rief Don Esteban verblüfft, der bei den ersten Schüssen aufgesprungen war.

„Das hat nichts zu bedeuten. Es ist eine Übung einer meiner Abteilungen”, erklärte ich ihm spanisch. „Achtet nicht auf die Schüsse, es sind unsere Leute.”