Der Spanier ließ seine Augen suchend über den Platz schweifen. Als er sah, daß die Gruppe Waguras immer noch auf dem alten Platz stand, war er sichtlich verwundert.
„Aber die Abteilung ist doch noch hier.”
„Diese ja”, erwiderte ich. „Dort im Wald ist eine andere Abteilung.”
Dann nahm ich das unterbrochene Gespräch mit den Stammesältesten wieder auf: „Der Oberhäuptling hat versagt und will seine Leute nicht verteidigen. Deshalb nehme ich sie unter meinen
Schutz und versichere euch, daß die dreiundzwanzig nicht mit den Spaniern gehen werden. Außerdem verspreche ich euch, daß wir auch keinen andern ohne Kampf herausgeben. Ich habe den unbeugsamen Willen und verfüge über genügend Kraft, den Kampf siegreich zu Ende zu führen.”
Wiederum lenkten Schüsse unsere Aufmerksamkeit auf sich. Sie fielen am Rande des Urwalds, aber an einer anderen Stelle als zuvor. Sichtlich erschreckt sprang Don Esteban zum zweitenmal auf.
„Es ist nichts Besonderes”, beruhigte ich ihn etwas spöttisch. „Das sind alles meine Leute. Eurem Leben droht keine Gefahr, solange ich hier bin!”
„Aber die Schüsse kommen aus einer ganz anderen Richtung als vorhin”, erwiderte Don Esteban mit weitgeöffneten Augen.
„Das kann schon sein. Dann schießt eine andere Abteilung. Es befinden sich mehrere im Urwald. Sie bewachen unsere Siedlung auf allen Seiten, damit den Gästen nichts Böses zustoßen kann.” „Ich bitte, mir sofort mitzuteilen”, schrie mich der Spanier an, „was Ihr den Indianern eigentlich gesagt habt! Ich will es wissen!” Schon wieder krachten Schüsse, die sich mit dem von der grünen Wand der Wildnis zurückgeworfenen Echo zu einem ununterbrochenen Dröhnen vereinigten. Mächtig und drohend rollte es über die Ebene und kündete von einer geheimnisvollen Kraft. Don Esteban, der sich bisher an der Spitze seiner spanischen Totschläger und der Tschaimas als Herr der Situation betrachtet hatte, begann langsam zu begreifen, daß er den Boden unter den Füßen verlor.
„Dreizehn Schüsse”, meldete der bleich gewordene Sargento, als das Schießen aufhörte. „Dreizehn Büchsen.”
„Nein!” der Häuptling der Tschaimas schüttelte den Kopf. „Es waren neun.”
Beide hatten sich geirrt: Arasybo hatte nur sieben Schußwaffen bei sich.
In diesem Augenblick begann das Schießen von neuem, und
wieder kam es aus einer anderen Richtung. Es war Kokuj, der sich auf diese Weise bemerkbar machte.
„Da sollen doch hundert Teufel dreinfahren”, knurrte der Sar-gento und griff sich mit beiden Händen an den Kopf.
Wie ein Verrückter stürzte er auf den Dorfplatz und versammelte hastig alle seine Leute, die Spanier wie auch die Indianer, um sich. Wir glaubten, er sei übergeschnappt.
„Was hat denn der Kerl?” fragte ich Don Esteban, zuckte die Achseln und fügte warnend hinzu: „Ohne Bewachung werden ihm die Gefangenen auseinanderlaufen”
Besorgt sah ich auf Don Esteban. Man merkte, daß er einem Tobsuchtsanfall nahe war. Seine Augen blickten abwesend und waren verschleiert. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn und rannen in kleinen Bächen über das Gesicht.
„Was soll das alles bedeuten?” schrie er erneut mit wuterstickter Stimme.
„Ich werde es Euer Wohlgeboren sofort erklären”, antwortete ich und wandte mich Manauri zu: „Was ich jetzt Don Esteban sagen werde, teilst du allen Anwesenden in arawakischer Sprache mit.” Dann sprach ich mit rollender Stimme zu dem Spanier: „Ihr fragt, mein Herr, was die Schüsse zu bedeuten haben? Sie bringen zum Ausdruck, daß ich die Ehre habe, Euch, unsere werten Gäste, höflichst zu bitten, sich möglichst ruhig zu verhalten und keine unnötigen Aufregungen hervorzurufen. Außerdem verkünden sie, daß ich weder heute noch zu einem späteren Zeitpunkt auch nur einen Bewohner dieses Ufers für die Arbeit in Angostura oder sonstwo herausgeben werde.”
„Was? Ihr wollt... Was redet Ihr da?’ Seine Adern am Hals und an den Schläfen schwollen an, die Augen traten aus ihren Höhlen. Seine Hand fuhr an den Gürtel, in dem die Pistole steckte.
„Du lieber Himmel!” rief ich freundlich. „Seid bitte nicht ungehalten! Wollt Ihr die Güte haben und einen Blick nach hinten werfen?”
Er drehte sich um — und gewahrte, daß Arnak die Büchse auf ihn gerichtet hielt. Das half.
„Ich habe in diesem ehrbaren Kreise schon einmal davon gesprochen”, fuhr ich fort, „daß wir zweimal gezwungen waren, Eure Landsleute zu vernichten, weil sie unsere Kräfte schlecht eingeschätzt haben. Ob es noch ein drittes Mal sein muß?”
Meine überlegene Ruhe und mein Selbstvertrauen beschwichtigten sein Ungestüm. Endlich begann es ihm wie Schuppen von den Augen zu fallen. Er sah mich an, als wolle er mich mit seinem Blick vergiften.
„Euer Sargento ist ein Hitzkopf und hat nicht viel Grütze im Schädel”, bemerkte ich mit mahnender Stimme. „Wollt Ihr ihm nicht raten, er möge uns nicht dazu zwingen, seinem Leben, entgegen unserer Absicht, ein plötzliches Ende zu bereiten?” Zähneknirschend kam Don Esteban der Aufforderung nach und erteilte seinen Söldnern den entsprechenden Befehl. Nachdem die erste Erregung abgeklungen war, gewann der Spanier rasch seine Geistesgegenwart zurück und blickte unter zusammengezogenen Brauen aufmerksam um sich.
„Was wollt Ihr eigentlich erreichen?” fragte er plötzlich geradeheraus.
„Frieden und den Abschluß eines Bündnisses.”
Sein Blick bohrte sich in mich wie ein Dolch.
„Wollt Ihr spotten?”
„Nichts liegt mir ferner als das!”
„Beabsichtigt Ihr etwa, Gewalt anzuwenden?”
„Wenn es sein muß, bitte.”
„Seid Ihr nicht der Meinung, daß auch wir zu schießen verstehen?”
„Wer dürfte daran zweifeln, Don Esteban?” Durch eine höfliche Verneigung drückte ich meine Anerkennung aus. „Aber gegenüber dieser erdrückenden Übermacht wäre jeder Widerstand sinnlos. Sollte es zu einer Schießerei kommen, so wären wir zu unserem tiefsten Bedauern genötigt, euch allen das Lebenslicht auszublasen, bevor ihr ein Vaterunser herbeten könntet. Und das wäre schade!”
Eine Weile herrschte tiefes Schweigen. Don Esteban hatte begriffen, daß ich nicht nur prahlen wollte. Er bezwang die Wut in seinem Innern, die er an niemandem auslassen konnte. Als er mir wieder in die Augen sah, lag Überraschung in seinem Blick, als ob er mich zum erstenmal richtig wahrnehme und etwas Unheimliches entdeckt habe, das versteckte Bewunderung in ihm hervorrief.
„Don Juan, Ihr seid der leibhaftige Satan”, murmelte er schließlich zwischen den Zähnen. „Doch glaubt nicht, daß Ihr einen Spanier ungestraft töten könnt. Vergeßt nicht, in wessen Namen wir hier sind.”
„Na und? Ist der Corregidor in Angostura der Herrgott? Überschätzt Ihr schon wieder Eure Kräfte?”
„Mensch”, schrie der Spanier entrüstet, „Ihr befindet Euch in Venezuela, einem Lande Seiner Majestät, König Philips des Fünften!”
„Ich befinde mich am Rande einer unendlichen Wildnis, in der noch niemals ein weißer Mensch seine Herrschaft ausgeübt hat!” schrie ich noch lauter als er, doch hatte ich mich gleich wieder in der Gewalt und fuhr in ruhigerem Tone fort: „Ihr sagt, dies hier sei das Herrschaftsgebiet des spanischen Königs? Weshalb benehmt Ihr Euch dann wie in einem fremden Land und plündert wie bei Feinden? Ihr scheint zu vergessen, daß Ihr in Venezuela seid!”
Ich stand auf, trat vor den Spanier hin, sah ihm durchdringend in die Augen und sagte mit Nachdruck: „Don Esteban! Genug der leeren Worte und des sinnlosen Streits. Wir sollten uns unterhalten wie gente de razon, wie vernünftige Menschen, zu denen wir uns doch zählen. Nicht von ungefähr habe ich vorhin von Frieden und Bündnis gesprochen. Mehr Vernunft, Senor, weniger Eigendünkel! Wir haben gemeinsame Feinde und gemeinsame Interessen. Das erkennt man, wenn man etwas weiter blickt als bis zur eigenen Nasenspitze. Wenn Euch wirklich das Wohl Vene-