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„Karapana — ist ein wandelnder Leichnam”, knurrte Manauri zornig. „Karapana lebt nicht mehr.”

Dieser kühne Ausruf übte auf alle eine starke Wirkung aus. Er wurde verschieden aufgenommen. Während unsere Sippe ihrem Häuptling beipflichtete und der Verdammnis des Zauberers stürmischen Beifall zollte, waren einige Einwohner Serimas sichtlich empört, und Pirokaj schnellte empor, als wolle er dem Bruder die Augen auskratzen.

„Du lügst, räudiger Hund!” brüllte er.

Ich gebot Ruhe.

„Noch ist der Feind keine Meile weit’, rief ich aus, „und schon gebärdet sich dieser Hahn, als wäre er ein Adler!” Dabei deutete ich auf Pirokaj.

Die Krieger unserer Sippe begannen laut zu lachen.

„Manauri hat recht’, fuhr ich fort. „Für den Stamm ist Karapana nicht mehr am Leben. Ihr habt keinen Zauberer mehr. Als Serima in höchster Gefahr war, hat er sich verkrochen wie ein feiges Reptil! Ihn trifft die Schuld, daß die Hälfte eurer Brüder Serima verlassen hat und nicht mehr mit euch leben will.”

Die Anhänger des Zauberers — es war ein erstaunlich kleines Häufchen — wagten nicht, zu dessen Verteidigung einen Streit vom Zaun zu brechen, und beruhigten sich schnell. Ich befahl unseren Kriegern, den abscheulichen Sack in den Fluß zu werfen, doch erging sich Koneso in so flehenden Bitten und Vorstellungen, wir sollten die Decken nicht sofort vernichten, daß ich um der lieben Eintracht willen schließlich nachgab. Ich wollte den Oberhäuptling nicht gar zu sehr verbittern, zumal er bei allem, was ihm heilig war, darauf schwor, er werde strenge Maßregeln treffen, um zu verhindern, daß jemand die verdächtigen Geschenke berühre.

So endete der Tag. Die Gemüter aller hatten sich entspannt. Mit der Abreise der Spanier fiel jedem ein Stein vom Herzen, und das Leben kehrte zu seiner natürlichen Ordnung zurück. Unsere Siedlung allerdings verwandelte sich in das reinste Heerlager, denn mindestens die Hälfte der Bevölkerung Serimas hatte sich auf unsere Seite geschlagen. Eilig wurden Hütten errichtet, die Menschen bewegten sich geschäftig hin und her, über all dem Lärm und Getümmel lag eine freudige Erregung.

Auf mein Anraten schickte Koneso vier Kundschafter in zwei Booten hinter den Spaniern her, die deren Beginnen mehrere Tage beobachten sollten. Eine Anzahl Krieger unserer Sippe fuhren mit einem großen Boot den Fluß hinab, um die von den Spaniern erbeutete Itauba mit den Nahrungsmitteln bei Katawi abzuholen. Gegen Abend kehrten sie zurück.

Sofort nach der Abreise der Spanier schnitt ich Manduka, der in meiner Hütte lag, die Fesseln durch und ließ ihm und seinen Warraulen die Waffen wieder aushändigen. Der junge Krieger hatte die kurze Gefangenschaft mit Ruhe ertragen und hegte keinen Groll gegen mich.

„Das war keine Strafe, obgleich du eine verdient hättest’, erklärte ich ihm, „sondern eine notwendige Vorsichtsmaßregel.” „Ich weiß es, Weißer Jaguar”, erwiderte er lebhaft. „Ich werde dich in Zukunft nie mehr enttäuschen.”

„Soll das heißen, daß du hierbleiben willst?” fragte ich überrascht.

„Ich will dir so lange dienen, bis die Akawois kommen. Wir müssen lernen, wie man die Feuerwaffen bedient.”

„Gut, doch kann ich euch keine Büchsen überlassen, denn wir brauchen sie alle selbst.”

„Erlaubst du uns, daß wir sie den Spaniern abnehmen?’ „Wie meinst du das: abnehmen?”

„Leihe uns eine kleinere Itauba und gestatte, daß wir hinter Don Esteban herfahren.. .”

Der Bursche hatte Phantasie, es mangelte ihm nicht an Unternehmungsgeist und Mut.

„Manduka, du bist ein tüchtiger Kerl, doch benötigt ein guter Krieger nicht nur Mut, sondern er muß auch ehrliche Bräuche achten. Die Spanier haben uns in Frieden verlassen, und wir werden den Frieden wahren.”

„Wir Warraulen haben keinen Frieden mit ihnen geschlossen.” „Oho, ihr seid unsere Verbündeten, und unser Frieden verpflichtet auch euch. Es gibt aber noch einen zweiten Grund, warum ich euch nicht hinter den Spaniern herfahren lasse. In ihrer Mitte befindet sich unser Freund Pedro, und in der Dunkelheit könntet ihr ihm etwas zuleide tun. Das darf nicht geschehen! Du kannst nicht fahren, Manduka.”

Er mußte sich damit abfinden, doch traten einige Stunden später Ereignisse ein, die alles gründlich über den Haufen warfen und die eben erst eingetretene Ruhe am Itamaka erneut in brutaler Weise störten.

Als ein fahler Schein das Nahen des neuen Tages ankündigte, riß mich ein ungewöhnlicher Lärm aus dem Schlummer. Undeutliche Wortfetzen ertönten auf dem Platz draußen, und schnelle Laufschritte näherten sich der Hütte. Gleich darauf wurde der Eingang durch eine Gestalt verdunkelt, und eine bekannte, nach Atem ringende Stimme rief meinen Namen. Mit einem Satz war ich auf den Beinen.

„Pedro, du bist es?” brachte ich mühsam hervor.

„Ja, ich bin es — Pedro! Ich bin davongelaufen, um dich zu warnen.”

„Um Himmels willen, was ist geschehen?”

„Die Decken”, er mußte wieder Luft schöpfen, „die Decken... sie sind vergiftet.. . die Pest steckt in ihnen. .

„Also doch!”

„Rosa. . . rosa!”

Ich wußte nicht, was „rosa” zu bedeuten hatte, doch gewann ich aus dem, was mir Pedro gleich darauf auseinandersetzte, die Überzeugung, daß es sich um die Masern handelte. Meine bösen Vorahnungen hatten mich also nicht getäuscht.

„Wie hast du es erfahren?” fragte ich, während ich mir schnell die Kleidung überwarf.

„Als wir abends Rast machten, begann Don Esteban zu erzählen und prahlte damit, wie er dich hinters Licht geführt habe. Diese Rache hat er sich ausgedacht, weil er sich von dir gedemütigt fühlte. Er führte die verpesteten Decken mit sich, um solche Indianer, die der Herrschaft der Spanier im Wege sind, auszurotten. Deiner Truppe wollte er dich berauben; das war der Grund, war-um er so hartnäckig darauf bestand, du mögest die Decken an-nehmen.”

„Diese Krankheit ist fürchterlich ansteckend. Nicht nur meine Krieger, sondern der ganze Stamm könnte dahinsiechen.”

„Das ist ihm gleich. Er wollte deine Herrschaft beseitigen, deinen Einfluß zunichte machen; jedenfalls rühmte er sich damit immer wieder. Mir standen vor Grauen fast die Haare zu Berge.” „Wie bist du entkommen?” „Ich konnte das kleine Boot, das Don Esteban mitführte, in der Nacht unauffällig ins Wasser schieben und mich davonmachen. Unweit des Lagerplatzes stieß ich auf einen arawakischen Kundschafter. Ich erklärte den Indianern, worum es sich handele, da halfen sie mir rudern — und nun bin ich hier!”

Gerührt durch diesen Beweis seiner Freundschaft, umarmte ich ihn herzlich. Gleichzeitig befielen mich sorgenvolle Gedanken, was nun mit ihm werden sollte.

„Hast du dir überlegt, Pedro, daß du nach dem Vorgefallenen weder zu Don Esteban zurückkehren kannst noch dich in Ango-stura zeigen darfst?”

„Was soll ich dort? Diese Verräter sind mir so widerwärtig, daß ich mit ihnen nichts zu tun haben will! Ich bleibe bei dir, Jan, bis ich nach Norden fahren kann, nach Cumana. Einmal wird sich schon eine Möglichkeit bieten... Ich freue mich jedenfalls, daß wir wieder zusammen sind.”

„Das kann sehr lange dauern.”

„Das tut nichts.” Seine Augen strahlten vor Zufriedenheit.

Während der letzten Worte befanden wir uns bereits auf dem Weg. Manauri; Arnak und einige Krieger kamen mit uns. Waffen hatten wir nicht mitgenommen. Wozu auch? Um den Sack mit den Decken in den Fluß zu werfen, dazu benötigten wir keine Büchsen.

Hätten wir uns nur bewaffnet!

Der heraufdämmernde Morgen ließ immer neue Bilder aus der Dunkelheit hervortreten, und als wir den Wald durchquert hatten und auf die freie Fläche vor Serima kamen, ließ eine böse Vorahnung unsere Herzen stocken. Wir bemerkten, daß sich um den verdammten Sack herum etwas Ungewöhnliches abspielen mußte. Aufgeregte Menschen drängten dort hin und her. Sie trugen irgendwelche Dinge, machten sich auf der Erde zu schaffen und schienen etwas zu verteilen.