„Sie haben den Sack geöffnet!” stieß ich entsetzt hervor.
Leider war es wirklich so. Sie hatten die Decken herausgezerrt und rissen sie voller Habgier einander aus den Händen; jeder wollte seinen Teil von der Beute haben.
„Rührt sie nicht an!” schrien wir schon von weitem. „Laßt die Decken los! Die Pest steckt in ihnen! Der Tod. . . So laßt doch los, ihr Hundskerle!”
Sie dachten gar nicht daran, die eben erhaschte Beute fahrenzulassen. Wenn wir wenigstens Waffen besessen hätten — vielleicht hätte ihr Anblick sie ernüchtert und zum Gehorsam veranlaßt. So aber waren wir nur einige wenige, und dort drängten sich an die dreißig oder vierzig Menschen.
Wir waren herangekommen und machten ihnen laut schreiend klar, welche Gefahr in diesen Decken lauere, und tatsächlich wurden einige unsicher, als sie meine außergewöhnliche Wut und Verzweiflung wahrnahmen. In diesem Augenblick schnellte eine Gestalt vom Boden empor, die bisher dort gekauert hatte, als verrichte sie Gebete. Es war der Zauberer Karapana, der uns sein haßverzerrtes Gesicht zuwandte.
„Hört nicht auf ihn!” krächzte er mit wilder, heiserer Stimme. „In diesen Matten gibt es keinen Tod mehr. Ich habe ihn vernichtet. Er täuscht euch nur. Er will alles für sich beiseite schaffen.”
Mitten in diesem aufgeregten Haufen befand sich auch Koneso. Er hielt eine Decke unter dem Arm.
„Häuptling’, schrie ich, „ich flehe dich an, wirf die Decke weg! Du selbst bringst das Verderben über den Stamm!”
Zorn, Verwirrung, Streitsucht zuckten in seinen Zügen.
„Nein”, fauchte er. „Du hast uns nichts zu befehlen, Weißer Jaguar, und kannst uns nicht zwingen! Damit bezahlen die Spanier unser Pferd, und diese Bezahlung gehört uns. Du wolltest sie ins Wasser werfen, damit wir sie nicht bekommen sollten. Aber das wirst du nicht erleben.”
Ich preßte die Fäuste gegen die Schläfen, am liebsten hätte ich laut aufgeheult.
„Du hast den Verstand verloren, du bist mit Dummheit geschlagen”, rief ich. „Ich sage dir, eine Krankheit der weißen Menschen steckt in diesen Matten! Pedro ist zurückgekommen und hat uns den Verrat der Spanier hinterbracht. Jetzt wissen wir genau, daß in ihnen das Verderben lauert.”
„Ich weiß, daß Pedro zurückgekommen ist, deshalb haben wir uns die Matten schnell genommen, bevor du sie vernichten kannst.”
„Ihr geht alle zugrunde, wenn ihr sie nicht sofort wegwerft”, wiederholte ich beteuernd und war selbst dem Wahnsinn nahe. „Oh, wir werden nicht zugrunde gehen. Wir fürchten uns nicht. Karapana schwört bei allen Geistern, daß du dich irrst.. . Er hat die Krankheit ausgetrieben, falls überhaupt eine in den Matten gewesen sein sollte.”
Sie blieben verstockt und taub. All unser Bemühen war vergeblich, es prallte ab wie ein Stein, der gegen eine Felswand geschleudert wird. Der Zauberer kicherte und schluckte vor Hohn und böswilliger Freude über den Sieg, den er über mich errungen hatte. Einige meiner Gefährten wollten sich trotz der Übermacht auf die Leute aus Serima stürzen, um ihnen die Decken mit Gewalt abzunehmen. Ich hielt sie zurück und erklärte ihnen, daß sie selbst angesteckt würden, wenn sie die Decken berührten. Das leuchtete ihnen ein.
Als ich einsah, daß wir keinen der Verblendeten überzeugen könnten, befahl ich die schnelle Rückkehr. Meine Erregung hatte sich gelegt; nun galt es, an unsere Rettung zu denken. Die geringe Entfernung unserer Siedlung von Serima bot uns keinen Schutz vor dem Wind, der die Seuche verbreiten konnte. Auf dem Rückweg schilderte ich den Freunden in kurzen Worten die Merkmale der alle bedrohenden fiebrigen Krankheit: sie sei äußerst ansteckend, rufe rote Flecken auf dem Körper hervor, nach mehrtägigem Fieber trete eine allgemeine Schwäche ein, die bei den Indianern unrettbar zum Tode führe. Ich berichtete ihnen meine ergreifenden Erfahrungen aus den Knabenjahren, führte ihnen das traurige Schicksal der Susquehannas in dem Tal der Alleghanies vor Augen.
„Wir haben nur eine Möglichkeit — wir müssen sofort, noch in dieser Stunde, den Ort verlassen”, schloß ich meine Ausführungen. „Jeder, der die heimtückischen Decken noch nicht berührt hat, muß von hier fliehen.”
„Genügt es, wenn wir in die Potarobucht übersiedeln, wo wir unseren Schoner versteckt haben?” fragte Manauri.
„Wie weit liegt sie von hier, drei Meilen?’
„Etwas mehr.”
„Das dürfte genügen”, stimmte ich zu, „doch darf in den nächsten Wochen keiner von uns mit den Kranken in Berührung kommen, falls es solche geben sollte! Das ist eine unerläßliche Bedingung.”
„Dauert die Seuche lange?”
„Erst nach einigen Tagen zeigen sich langsam die ersten Anzeichen, und dann dauert es zehn bis fünfzehn Tage bis zum Tod — oder zu allmählichen Genesung."
„Und wie wird sie geheilt?’
„Das weiß ich nicht genau. Irgendjemand hat mir einmal gesagt, daß man ruhig zu liegen habe, daß man sich nicht aufdecken dürfe, wenn das Fieber brennt, und auf keinen Fall ins Wasser gehen und nur wenig Nahrung zu sich nehmen solle.”
„Wenn das so ist, dann müssen wir die Leute in Serima verständigen, wie sich ein Kranker verhalten soll”, brachte Manauri vor. „Natürlich müssen wir das.”
Es freute mich, daß die Gefährten meine Warnungen nicht auf die leichte Schulter nahmen. Sofort nach unserer Rückkehr wurden alle Einwohner der Siedlung alarmiert. Zum Glück war der Schoner schon am Abend des gestrigen Tages aus der Potarobucht
angekommen, so daß das gesamte Hab und Gut sowie die Vorräte, die wir besaßen, in ihm verstaut werden konnten. Auch die Töpfer- und Webergeräte wurden an Bord gebracht, ja sogar die Pfosten, Wände und Dächer einiger Hütten, die unsere Leute eilig abgerissen hatten.
Während sich die Leute unserer Sippe in der Arbeit überboten, um so bald wie möglich diese unselige Gegend verlassen zu können, stellten sich die zehn Warraulen mit allen Waffen, die sie von uns erhalten hatten, vor meiner Hütte auf, und zwar in einer wohlgeordneten Reihe, wie eine Abteilung Söldner. Manduka trat an mich heran und bat durch den Mund Aripajs, dessen er sich als Dolmetscher bediente, um eine Unterredung.
„Ich höre”, antwortete ich und wunderte mich ein wenig über seine feierliche Miene.
„Herr, du hast uns aus zwei Gründen nicht gestattet, die Spanier zu verfolgen, und wir haben uns gefügt’, sprach Manduka. „Erlaubst du es uns jetzt?”
„Du meinst, die Gründe seien nun weggefallen?”
„So ist es, Weißer Jaguar. Die Spanier haben sich als Verräter entpuppt, und Pedro ist zurückgekehrt.”
„Deine Gedanken sind richtig’, bestätigte ich und lachte. „Und ihr wollt euch nun über sie hermachen?”
„Wir wollen ihnen die Feuerwaffen abnehmen.”
„Ohne Zusammenstoß?’
„Auf Biegen oder Brechen.”
Ich warf Manauri, der Zeuge unserer Unterredung war, einen fragenden Blick zu. Bestimmt hatten die verräterischen Spanier eine Lehre verdient, und auch Manauri erhob keine Einwendungen dagegen.
„Ich bin einverstanden”, erwiderte ich daher, „doch geschieht es auf eure Verantwortung, wir wollen damit nichts zu tun haben. Ihr bekommt die schnellste Itauba und einen Vorrat an Nahrungsmitteln, auch eure Bewaffnung wird vervollständigt. Ihr gebt uns aber Nachricht, wie das Unternehmen verlaufen ist.”
„Wir werden berichten.”
Kaum eine halbe Stunde war verstrichen, als die Warraulen im Eiltempo den Fluß hinunterfuhren. Sie waren am Wasser aufgewachsen und galten als die besten Ruderer unter den Indianern. Niemand zweifelte daran, daß es ihnen ein leichtes sein werde, die Spanier einzuholen.