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Unterdessen begann die große Wanderung zur Potarobucht. Mehr als fünfhundert Arawaken, Männer, Frauen und Kinder, machten sich mit unserer Sippe auf den Weg. Die meisten gingen zu Fuß und benutzten den Pfad, der sich am Flußufer entlangzog. Die übrigen hatten sich auf dem Schoner eingeschifft oder fuhren mit Itauben oder in zahlreichen kleinen Booten. Die Menschen flohen nicht nur vor ihren bösartigen Häuptlingen und vor der Seuche — sie hegten einfach den Wunsch, ein neues Leben zu beginnen. Ihre Herzen waren voller Hoffnung und Freude.

Der Tod Karapanas

Die Potarobucht war ein See in Gestalt eines Schlauches, der sich parallel zum Itamaka hinzog und durch eine schmale, aber lange Halbinsel von diesem getrennt wurde. An manchen Stellen betrug deren Breite kaum hundert Schritt, dafür aber war sie etwa eine Meile lang. Diese mit üppigem Pflanzenwuchs über-wucherte Landzunge erwählten wir zu unserem Wohnplatz. Wir säuberten einen Teil des Bodens von Unkraut und Unterholz und errichteten unsere Hütten auf der dem See zugekehrten Seite. Die Örtlichkeit bot Schutz vor den Augen ungebetener Gäste, außerdem ließ sie sich gut verteidigen. Als wir schließlich an den beiden Enden der Halbinsel Wachen aufgestellt hatten, konnte wirklich niemand gegen unseren Willen vom Land her in unsere Siedlung gelangen. Da es die Indianer liebten, allen Dingen einen Namen zu geben, so benannten sie die neue Siedlung Kumaka, was in ihrer Sprache Halbinsel bedeutet.

Wenn wir in den Urwald gelangen wollten, mußten wir den See überqueren, der an dieser Stelle vielleicht zweihundert Schritt breit war. Zum Itamaka selbst war es etwas weiter, man mußte mit dem Boot das Ufer der Landzunge entlangfahren, um dann über die Mündung des Sees in das freie Wasser des Flusses zu gelangen.

Der See — dieser Name war eher gerechtfertigt als die Bezeichnung Bucht — bot ein über alle Maßen schönes Bild, er war gerade-zu eine Augenweide. Zwar gab es hier, wie überall, das erbarmungslose, undurchdringliche Dickicht, welches das Ufer verdeckte und sich wie eine drückende grüne Mauer erhob. Aber in dieser hohen Mauer klafften große Lücken. Wie goldene Bänder quollen aus ihnen gleißende Sandstreifen hervor, die sich ins Wasser ergossen und auf denen schlanke Palmen ihre Fächer ausbreiteten. Bis hierher, fast hundert Meilen vom Meer entfernt, war eine der reizenden Töchter des Salzwassers und des Seesandes, die prächtige Kokospalme, vorgedrungen. Man hätte glauben können, man sei im Paradies, wenn nicht die fürchterliche, quälende Mückenplage gewesen wäre.

Die neu entstandene Siedlung behielt die Sippeneinteilung von Serima bei, und die einzelnen Sippen errichteten ihre Hütten dicht nebeneinander, so daß verschiedene Teilsiedlungen entstanden. Es gab die Sippe der Schildkröte, des Geiers, des Kaimans und andere. Obgleich ihre bisherigen Ältesten alle in Serima bei Ko-neso geblieben waren, versammelten sich doch gleich am Abend des ersten Tages die Einwohner aus ganz Kumaka in der Nähe meiner Hütte, um eine Beratung abzuhalten. Beim Schein von mehr als zwanzig Feuern, zwischen den Stämmen mächtiger Urwaldriesen, deren Wipfel sich über unseren Häuptern zu einem dunklen Gewölbe vereinigten, wählte sich jede Sippe einen neuen Ältesten. Nach dieser Zeremonie kam die Reihe an die Wahl des Oberhäuptlings. Stürmisch und begeistert wurde immer wieder der Name Weißer Jaguar gerufen. Ich aber widersetzte mich diesem Vorschlag ganz entschieden.

„Niemand ist besser geeignet, den Platz des Oberhäuptlings einzunehmen, als euer Stammesbruder und bewährter Häuptling Manauri!” rief ich aus.

Meine Ablehnung brachte einen großen Teil der Arawaken aus der Fassung. Sie legten meine Zurückhaltung verschieden aus, und der Älteste der Kaiman-Sippe schrie mir entgegen: „Soll das heißen, daß du uns in diesem schweren Augenblick nicht mehr beistehen willst?”

„Aber nein! Ich werde Manauri stets zur Seite stehen und ihn aus ganzen Kräften unterstützen, ihn und jeden andern von euch.”

„So wie bisher?”

„Genau wie bisher.”

Sie beruhigten sich wieder und wählten Manauri einstimmig zu ihrem Oberhäuptling. Die Augen des Häuptlings strahlten vor Freude und Glück, seine Züge drückten Genugtuung und Zufriedenheit aus. Nun hatten sich seine kühnsten Hoffnungen erfüllt, von denen noch vor einem Jahr der Sklave auf der Insel Margarita nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Manauri sah zu mir herüber, in seinem Blick lagen Ergebenheit und tiefe Dankbarkeit.

An diesem Abend waren alle von großer Begeisterung erfüllt, und die folgenden Tage zeigten, daß es kein Strohfeuer war. Vor den Einwohnern Kumakas standen drei Hauptaufgaben: die fiebrige Seuche abzuwehren, möglichst große Vorräte an Nahrungsmitteln anzulegen und die Kampfbereitschaft zu erhöhen. Alle unterzogen sich diesen Pflichten mit unverwüstlicher Ausdauer und Arbeitslust.

Ich erwähnte bereits, daß die Arawaken unter den Waldindianern ein ausnehmend gelehriger und arbeitsamer Stamm waren. Man mußte ihnen nur einen Leitgedanken geben und ein klares Ziel stellen, dann entwickelten sie unerwartete Spannkraft und Härte. So verhielt es sich auch jetzt. Gegenüber Serima bewahrten sie so große Vorsicht, daß sie sogar auf die urbar gemachten Felder in der Nähe ihres alten Wohnsitzes verzichteten, um nicht mit den dortigen Menschen zusammenzutreffen. Um so eifriger ging jeder, der laufen konnte, in den Wald oder ans Wasser und brachte Nahrungsmittel mit. Und wir benötigten ungeheure Vorräte. In der Erwartung kriegerischer Ereignisse hatte sich Kumaka die Aufgabe gestellt, schnellstens so viele Vorräte an getrocknetem Fleisch, Fischen und dauerhaften Waldfrüchten zusammenzutragen, daß einhundertfünfzig Krieger sich länger als ein halbes Jahr davon ernähren könnten.

Tag für Tag zogen Abteilungen in den Wald oder an den Fluß auf die Jagd und kehrten mit reicher Beute zurück, die sie den Frauen zur weiteren Bearbeitung übergaben, während die Jäger selbst wieder hinauszogen, um sich in den Kampfübungen zu vervollkommnen. Als gute Ackerbauer waren die Arawaken von Natur aus nicht kriegerisch veranlagt, und man mußte sie kräftig anspornen. Das, was ihnen fehlte, holten sie mit Begeisterung nach. Die letzten Vorfälle mit den Spaniern wirkten wie eine treibende Kraft und hatten sie so aufgestachelt, daß jeder ein möglichst guter Schütze mit Büchse und Bogen, ein gewandter Speerwerfer sein und in den Armen die federnde Kraft des Jaguars besitzen wollte. Die Angehörigen unserer Sippe, die in dem Ruf standen, ruhmreiche Meister und unbesiegbare Krieger zu sein, unterwiesen ihre Gefährten in der Kriegskunst. Besonders Arnak und Wagura waren vom Morgengrauen bis zum späten Abend so eingespannt, daß sie keinen Augenblick verschnaufen konnten. Trotzdem waren sie glücklich.

Ich selbst führte die Oberaufsicht und stellte eine Truppe von Kundschaftern zusammen, in die ich die scharfsichtigsten und flinksten Burschen aus jeder Sippe aufnahm. Diesen Spähern brachte ich bei, was ich in Virginia gelernt hatte. Ich lehrte sie, wie man im Wald einen Feind entdecken, ihm nachspüren und seine Absichten erkennen kann, ohne selbst gesehen zu werden. Dies geschah nicht durch Erklärungen, wie zum Beispiel beim Schießunterricht mit Feuerwaffen, sondern wir unterhielten uns ungezwungen und tauschten während unserer häufigen Wanderungen durch den Urwald unsere Erfahrungen aus, wobei jeder einzelne den Gefährten Erlebnisse berichtete, die ihm von früher her in Erinnerung waren. Da die Indianer von Kindheit an mit den Geheimnissen der Natur vertraut waren und ungewöhnlich scharfe Sinne besaßen, brachten sie es bald zu einer Vollkommenheit in diesen Dingen wie die Indianer im Norden.

Dabei wurden sie von einem abscheulichen Übel geplagt, das immer wieder ihre klaren Gedanken verwirrte. Es war ihr verworrener Aberglaube. So viele Geister und Dämonen trieben im Wald ihr Unwesen und hinterließen die eigenartigsten Zeichen, daß es schwerfiel, in dem Durcheinander die Spuren der wirklichen Feinde aus Fleisch und Blut zu erkennen. Meine Hauptaufgabe bestand also darin, ihnen zu zeigen, wie sie die Spuren tatsächlicher Feinde von denen der eingebildeten unterscheiden könnten.