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So vergingen die Tage, und die aus Serima durchsickernden Nachrichten brachten nichts Besonderes, von einem Unglück war nicht die Rede. Wie die Menschen nun sind, begannen sie von einem falschen Wahrsager zu faseln und von einer überflüssigen Übersiedlung an den Potarosee. Meine Freunde überzeugten die Zweifler, daß es jedenfalls besser sei, so weit wie möglich von Karapana und Koneso zu leben, um so mehr, als Kumaka dank seiner Lage auf der Halbinsel besonders gut zu verteidigen war.

Tatsächlich verstummten bald darauf die Gerüchte wieder, und eines Tages — es mochte ungefähr zwei Wochen nach unserer Ankunft in der Siedlung sein — erreichte uns die Nachricht, in Serima seien mehrere Kinder von einer geheimnisvollen Krankheit befallen worden. Einzelheiten, die wir am nächsten Tag erfuhren, bestätigten leider, daß es ich um die Masern handelte. Hinzu kam, daß außer den Kindern auch einige Erwachsene erkrankt seien. Diese Nachricht löste eine verständliche Niedergeschlagenheit aus, und als einige Tage später der erste Todesfall bekannt wurde, warteten alle mit Schrecken darauf, was sich noch ereignen würde. Ich ließ die Wachen verstärken und erinnerte noch einmal daran, daß es verboten sei, sich Serima zu nähern. Alle Befehle wurden bereitwillig ausgeführt. Jetzt trafen seltener Nachrichten aus der unglücklichen Siedlung ein, doch war jede von ihnen noch schlimmer als die vorangegangene. Immer öfter holte sich der Tod seine Opfer, vor allem unter den kleinen Kindern. Die bittere Tatsache, daß meine vergeblichen Warnungen sich bewahrheitet hatten und die Menschen mir nun mehr Glauben schenkten als je zuvor, konnte mir keinen Trost bringen.

Am meisten ging das Unglück Serimas Aripaj ans Herz. Der sonst ruhige, gutmütige, immer ausgeglichene Mann sah jetzt aus, als trage er selbst ein ungesundes Feuer in sich. Flackernd irrten seine Augen umher. Seiner Frau und den Kindern drohte keine Gefahr, sie lebten in Kumaka, um so verwunderlicher erschien mir das Gebaren des Indianers.

„Was ist dir, Aripaj?” sprach ich ihn freundlich an, als wir uns am Ufer des Sees begegneten.

Er war bestürzt und machte eine Bewegung, als wolle er davonlaufen, doch hielt ich ihn sanft zurück. Als ein gefälliger Mensch war er jedem bereitwillig zu Diensten, der ihn darum ersuchte, und seit dem gemeinsamen Unternehmen auf der Insel an der Mündung des Itamaka herrschte zwischen uns ein sehr herzliches Verhältnis.

„Was hast du?” wiederholte ich besorgt. „Du siehst schlecht aus, mein Freund. Kann ich dir vielleicht helfen?”

Er lächelte wehmütig und etwas spöttisch, um auszudrücken, daß ihm niemand helfen könne.

„Du meinst also, daß ich dir ganz und gar nichtnützlich sein kann?’

„Nein, Weißer Jaguar.”

„Was fehlt dir denn? Deine Wangen sind eingefallen.” „Nicht der Körper ist krank — es ist das Herz.”

Er näherte sich meinem Gesicht, seine Kinnlade bebte wie im Fieber, seinem Mund entströmte ein übelriechender, saurer Dunst.

„Dir, Weißer Jaguar, kann ich es verraten, was mir fehlt, du darfst es aber niemandem sagen: Mein Herz ist krank, ein Ka-naima sitzt in ihm und vergiftet meine Seele. Dieser schreckliche Kanaima läßt mich nicht schlafen, er verlangt nach Blut. .

Während er dies sprach, begann er vernehmlich zu atmen, als ob er nur mühsam Luft bekäme. Die Augen weiteten sich schmerzhaft, und ich glaubte Spuren von Wahnsinn in ihnen zu entdecken. „Du redest Unsinn, Aripaj.”

„Mag sein, daß ich unsinniges Zeug fasle, doch ist mein Geist noch klar, nur das Herz ist krank. Der KanaimaJ”

Einen Augenblick herrschte Schweigen. Ich war bestürzt. Es wollte mir nicht gelingen, ihm eine scherzhafte Antwort zu geben; so lenkte ich das Gespräch in eine andere Richtung und fragte: „Man sagt, daß du in der letzten Zeit auffällig oft in der Nähe Serimas gesehen wirst... ”

Er schrak zusammen.

„Hat man mir nachgespürt? Ja, es stimmt. Der Kanaima zieht mich dorthin.”

„Ausgerechnet nach Serima? Tu das nicht, halte dich zurück! Du bringst uns noch die Seuche auf den Hals.”

„Ich muß nach Serima. Wegen eines Lumpen gehen die Menschen dort zugrunde. Welch ein Unglück! Der Kanaima...” „Hör zu, Aripaj, gib diesem Kanaima einen Fußtritt. Statt im Walde umherzustreifen, laß dich öfter in unserer Hütte sehen, wo wir uns unterhalten können.”

„Ich kann nicht. Der Kanaima befiehlt mir, ihn zu töten. . .” „Wen?”

„Du weißt es nicht?”

Ernst betrachtete ich ihn. Erneut schwankte ich, wie ich diese sonderbare Mitteilung aufnehmen sollte, doch lag so viel Verwirrung in seinen Augen, daß ich zu schweigen beschloß. Aripajs Gehaben war mir ein großes Rätsel. Ich kannte ihn als gutmütigen Menschen voller Nachgiebigkeit, der sogar den Mord an Kanaholo, seinem Sohn, demütig und beherrscht hingenommen hatte — und jetzt? Was mochte in seinem Innern gären?

Ich sprach mit Manauri und den anderen Freunden über meine Besorgnis, und wir beschlossen, die Augen offenzuhalten und über Aripaj zu wachen.

Arasybo nahm ihn in persönliche Obhut. Auch der Hinkende durchlebte manche Erschütterungen und Gemütsbewegungen und wurde öfter von einem eigenartigen Begeisterungstaumel er-faßt. In Kumaka gingen Gerüchte um, daß er geheimen Umgang mit Geistern habe und es verstehe, verschiedene Waldhebus vollständig seinem Willen zu unterwerfen. Den Schrecken, der den

Spaniern an jenem denkwürdigen Tage in Serima in die Glieder gefahren war, erklärten sich viele Indianer aus dem Umstand, daß in dem Augenblick, als Arasybo seine Schüsse abgab, deutlich ein Raunen und Rauschen der Dämonen zu hören gewesen sei.

Hier in Kumaka hatte sich Arasybo endgültig meines Jaguarschädels bemächtigt. Der Schädel thronte auf der Spitze eines Pfahles vor seiner Hütte, und der Hinkende benahm sich wie ein Zauberer und vollführte täglich rituelle Tänze um den Pfahl. Dabei schwenkte er in jeder Hand eine Maraka, das unerläßliche Symbol eines jeden Zauberers, und das durch die Steinchen im Innern der hohlen Frucht verursachte Rasseln fand magischen Widerhall in den Seelen der Einwohner Kumakas.

„Tod für Karapana! Ich sage den baldigen Tod Karapanas voraus!” schrie Arasybo seine Beschwörungen in den verschiedensten Tonlagen nach allen Richtungen.

Alle glaubten fest daran, daß nun der Tod dem Zauberer sicher sei, am überzeugtesten war Aripaj. Zauber hatte für ihn die gleiche Bedeutung wie für die Fische das Wasser und der Regen für das keimende Korn. Die Fluchworte Arasybos stiegen ihm in den Kopf und berauschten ihn. Obgleich er sich Mühe gab, nüchtern und zurückhaltend zu bleiben, war ihm nicht mehr zu helfen.

Da wir keine Möglichkeit hatten, das Schicksal der Bewohner Serimas abzuwenden und ihnen beizustehen — wie sie sich während der Seuche verhalten sollten, hatten wir ihnen schon vorher mitgeteilt —, oblagen wir noch emsiger unseren täglichen Pflichten, und das Leben in Kumaka floß dahin wie ein eiliger Strom. Jeden Morgen zog ich mit der Kundschaftergruppe auf Übung aus, wobei wir uns meistens im Dickicht in der Nähe des Sees bewegten.

Dieser monatelang von der Sonne angewärmte Streifen stehenden Wassers hatte eine bedeutend höhere Temperatur als das Wasser des Flusses. Das war wohl auch der Grund dafür, daß sich hier eine außerordentliche Fülle aller möglichen Tiere und Pflanzen zusammenballte. Es wimmelte von Fischen wie in einem Netz, ganze Scharen verschiedener Wasservögel zierten die Oberfläche des Sees mit ihrem bunten Gefieder oder durchschnitten in schnellem Flug die Luft, während junge Reiher und Strandläufer wie rot oder rosa gefärbte große Blumen ruhig am Rande des Ufergebüsches standen. Ergänzt und hin und wieder aufgewühlt wurde diese idyllische Üppigkeit der Natur durch widerwärtige Scheusale, die Kaimane, die der erstaunliche Reichtum an Fischen in besonders großer Zahl herbeilockte. Im Dickicht des Ufers sonnten sich viele Riesenschlangen, manche von ihnen waren bis fünfzehn Fuß lang und erschreckten den näher kommenden Menschen, indem sie blitzschnell davonglitten und sich mit einem mächtigen Klatschen ins Wasser fallen ließen. Die Indianer behaupteten, daß Menschen, selbst wenn sie badeten, von den Bestien nicht angegriffen würden, doch boten die Schlangen einen so abstoßenden Anblick und verkörperten eine so schreckliche Kraft, daß jede Begegnung mit ihnen Ekel in mir hervorrief. Ihr Fleisch war ein Leckerbissen für die Indianer, die ihnen eifrig nachstellten.