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Eines Tages führte ich eine Gruppe an das obere Ende des Sees. Wir waren ringsum von unübersehbarem Dickicht umgeben und übten uns darin, die zahlreichen Laute und Geräusche zu unterscheiden und ihren Ursprung festzustellen. Am besten konnten wir in dem allgemeinen Lärm die Stimmen und den Gesang der Vögel bestimmen; doch erkannten wir auch das eigenartige Quaken der Frösche, das Pochen des Spechts, die pfeifenden Töne der Affen, ja sogar die Geräusche der Schmetterlinge, von denen einige Arten während des Fluges ein sonderbares Knistern hören ließen.

Plötzlich lauschten alle meine Gefährten, die Gesichter dem See zugewandt. Zwar blieb uns das Wasser durch den grünen Vorhang verborgen, doch klang von Zeit zu Zeit ein schlürfendes Schnaufen herüber, als ob dort jemand niese oder pruste.

Die Indianer waren sichtlich überrascht, gerieten in immer größere Erregung und spitzten die Ohren.

„Was ist das für ein Tier?” fragte ich. „Ich habe diese Laute noch nie vernommen.”

„Ein Apia”, antworteten sie.

Ich hatte nicht die geringste Vorstellung davon, was für ein Teufel das sein könne — ein Apia, und die Beschreibung, die meine Gefährten mir gaben, klang sehr phantastisch. Es seien große Tiere, vielleicht Fische, vielleicht auch nicht, denn sie gebären lebende Junge. Sie lebten ausschließlich im Wasser, sie besäßen keine Beine, sondern nur Vorderflossen, und ihr Maul gleiche dem eines Affen.

„Das sind ja äußerst absonderliche Wesen!” rief ich verwundert aus. „Sind es Raubtiere? Kann man sie essen?”

„Es sind keine Raubtiere. Sie sind sehr wohlschmeckend”, versicherten alle einmütig. Wir bewegten uns auf den See zu. Die Indianer drangen geräuschvoll vorwärts, sie achteten weder auf das Brechen der Zweige noch auf das Rauschen der Blätter, weshalb ich sie mehrmals ermahnte.

„Hier ist keine Vorsicht nötig’, erklärten sie mir. „Der Apia hört schlecht und sieht nicht sehr viel.”

„Das tut nichts”, erwiderte ich. „Vergeßt nicht das Gesetz des Waldes, daß man sich an das Wild immer heranschleichen muß — immer! Genauso wie im Kampf an den Feind.”

Der See endete in einem breiten, verschilften Bruchmoor, auf dem reichlich Wasserpflanzen gediehen, die zur Lieblingsnahrung jener Apias gehörten, wie mir die Gefährten erläuterten. Die sonderbaren Tiere lebten hier in einer ganzen Herde, und alle Augenblicke schwamm eines von ihnen an die Oberfläche und steckte seine Nase aus dem Wasser, um Luft zu schöpfen. Dabei ließ es jenes kennzeichnende schlürfende Schnaufen hören. Unweit von uns lag ein Apia in tiefem Schlaf, den Körper zur Hälfte auf dem trockenen Ufer. Ich erkannte, daß dieses Tier in der Form des Körpers und der Schnauze sehr unseren Seehunden ähnelte, nur lebte es im Süßwasser und war bedeutend größer. Einige Apias waren vom Kopf bis zum Schwanz an die neun Fuß lang. Ohne

die Herde aufzuscheuchen, kehrten wir in die Siedlung zurück und berichteten über unsere Entdeckung. Der Rest des Tages verging mit den Vorbereitungen für die Jagd, die für den nächsten Morgen angesetzt wurde.

Als der Morgen graute, waren wir bereits auf den Beinen. Alle in Kumaka verfügbaren Boote, sowohl die großen Itauben als auch die kleinen aus der Rinde des Jabotabaumes gefertigten Fahrzeuge, waren mit etwa zweihundert Jägern bemannt. Wir glitten langsam über das Wasser, gleich von Anfang an in einer Art kriegerischer Formation, als ginge es in den Kampf. An der Spitze fuhren zwölf oder fünfzehn Itauben, eng nebeneinander liegend; in Speerwurfweite folgte die zweite Flottille von mehr als zwanzig Booten, gleichfalls in einer geschlossenen Reihe.

Ich stand mit Lasana in einer Itauba neben dem Neger Miguel und Manauri. In der Hand hielt ich den Bogen und einen Pfeil, der eigens für die heutige Jagd hergerichtet worden war. Dieser glich einer Art Harpune und war so verfertigt, daß sich nach seinem Eindringen in den Körper des Opfers eine Schnur entrollte, an deren Ende ein Stückchen leichten Holzes befestigt war. Das verwundete Tier zog, wenn es tauchte, die Schnur mit dem Schwimmer hinter sich her. Dem Jäger fiel es dann nicht schwer, die Beute einzuholen und zu erlegen. Miguel, der als der beste Werfer galt, besaß keinen Bogen, sondern richtige Harpunen.

Als wir den Standplatz der Apias erreichten, stieg die Sonne bereits über den Wipfeln des Urwalds empor und sog die Nachtfeuchte auf. Schon von weitem entdeckte ich einige Langschläfer, die ähnlich sorglos am Ufer lagen wie das Tier, das ich gestern beobachtet hatte. Die Mehrzahl der Apias aber tummelte sich in der Tiefe des Sees und tat sich an den Wasserpflanzen gütlich. Nur durch Wasserwirbel, die bald hier, bald dort aus der Tiefe emporstiegen, und durch ihr schnaufendes kurzes Atemholen verrieten sie ihre Anwesenheit.

Die lange Reihe der sich heranpirschenden Fahrzeuge bot einen prächtigen, aber unheilverkündenden Anblick. Unbeweglich wie Statuen, die Augen auf das Wasser gerichtet, standen die Jäger bereit, ihren Pfeil abzuschießen oder mit dem Speer zuzustoßen, während die Ruderer immer vorsichtiger die Blätter ins Wasser tauchten. Alles das geschah unter tiefstem Schweigen. Mir gefiel die Disziplin der Indianer, und ich war überzeugt, daß im Ernstfall jeder von ihnen seine Pflicht erfüllen werde.

Als wir uns bis auf hundert Schritt dem Ufer genähert hatten, geriet die bisher schnurgerade Linie der Jäger an einer Stelle in Unordnung. Der rechte Flügel stockte. Dort hob einer der Speerwerfer blitzschnell den rechten Arm und schleuderte seine Waffe mit voller Kraft. Der Speer verschwand mit einem dumpfen Geräusch im Wasser und mußte sein Ziel erreicht haben, denn vor dem Boot begann das Wasser zu wirbeln und zu schäumen. Als habe diese erste Bewegung den Bann gebrochen, wurde es plötzlich auch in den übrigen Itauben lebendig. Unser Nachbar zur Linken schoß einen Pfeil nach dem andern ab.

Auch kurz vor mir tauchte die borstige Schnauze eines Apias empor, um nach kurzem Luftholen wieder in der Tiefe zu verschwinden. Als das Tier untertauchte und sein Körper dicht unter der Oberfläche einen Halbkreis beschrieb, schoß ich den Pfeil ab. Er bohrte sich in den fetten Bauch des Ungetüms, das gleich darauf meinen Augen entschwand. Bald jedoch hatte sich die Schnur abgewickelt, und mein roter Schwimmer tauchte auf. Er bewegte sich zunächst auf das Ufer zu, machte dann plötzlich kehrt und durchbrach unweit unserer Itaube die Linie der Jäger, fiel aber wenig später der zweiten Linie in die Hände. Die Schnur wurde ergriffen, das Tier herangezogen und erstochen.

„Gut’, flüsterte Lasana mit bebender Stimme. Sie verbarg ihre Erregung nicht. Sie war stolz auf mich.

Die getroffenen Apias warfen sich nach allen Seiten und riefen ein fürchterliches Chaos hervor, in dem die aufgescheuchten unverletzten Tiere zu entkommen versuchten. Die einen schwammen auf das Schilf zu, die andern trachteten die Mitte des Sees zu erreichen. Da sie jedoch jeweils schon nach einigen Minuten auftauchen mußten, um Luft zu holen, und überall Boote mit unerbittlichen Schützen auf sie lauerten, hatten sie es nicht leicht, der Treibjagd zu entrinnen. Immer mehr farbige Schwimmer, unheilvolle Vorboten des Todes, zogen über die Oberfläche des Sees, und entlang ihrer Bahn färbte sich das Wasser blutig rot.