Выбрать главу

Der Jagdtrieb der Urmenschen hatte die Oberhand in meinen Gefährten gewonnen, ihre Augen blitzten, ihre Muskeln waren gespannt, ihre Bewegungen ungestüm. Den größten, geradezu überwältigenden Eindruck aber machte auf mich, daß sich dieses Drama der entfesselten Instinkte in völligem Schweigen abspielte. Niemand sprach ein Wort, keiner ließ triumphierende Schreie hören, und auch die Tiere gaben keinen Laut von sich, wenn sie verendeten. Es war ein stummer Kampf.

Als nach einer reichlichen Stunde die Jagd zu Ende ging, war es nur wenigen Tieren gelungen, sich unversehrt in die Mitte des Sees zu retten. Wir gingen daran, die Beute am Heck der Boote zu befestigen. Manche Exemplare mochten ein Gewicht von fünf bis sechs Zentnern erreichen. Wir zogen die toten Apias in das seichte Wasser in der Nähe des Ufers, um leichter mit der Arbeit fertig zu werden, doch stellten sich dabei völlig unerwartete Schwierigkeiten ein.

Das Blut der getöteten Tiere hatte eine Unmasse Fische einer räuberischen Gattung angelockt, die zwar nicht groß waren, ihre Länge betrug kaum mehr als einen halben Fuß, sich aber trotz ihrer kleinen Gestalt durch eine unvorstellbare Freßgier auszeichneten. Die Arawaken nannten sie Humas. Ihre Zähne waren scharf wie Messer. Im Handumdrehen rissen sie ansehnliche Fleischstücke aus dem Körper des Opfers, verschwanden eilig und machten den nächsten das Feld frei. Sie waren so verwegen, daß sie auch den Menschen angriffen, und man vermochte sich ihrer nur zu erwehren, indem man sie mied wie das Feuer.

Diese kleinen Ungeheuer also kamen zu Hunderten angesaust und stürzten sich so gierig auf die Körper unserer Apias, daß das Wasser ringsum in Wallung geriet. Wir versuchten sie mit Stökken zu vertreiben, doch hatten wir keinen Erfolg damit, auch die Schläge konnten sie nicht davon abhalten, gierig nach der Beute zu schnappen. Wurden ein oder zwei der Räuber durch Stockhiebe betäubt, so drängten zehn andere herbei. Ihre unwahrscheinliche Verbissenheit wirkte geradezu gespenstisch auf mich.

Ein Huma, kaum größer als eine halbe Elle, wurde lebend ins Boot geschleudert. Ich wollte ihn ergreifen und seine fürchterlichen Zähne aus der Nähe betrachten.

„Rühre ihn nicht an”, warnte mich Manauri eindringlich. „Diesen Bestien ist nicht zu trauen. Auch an der Luft schnappen sie noch zu. Sie haben schon manch einem den Finger abgebissen!”

„Und in diesem See soll man baden?” Mich schauderte.

„Man muß sich in der Nähe des Ufers halten. Außerdem sind die Humas nicht überall, und nur wenn sie Blut wittern, sind sie so wütend. Erwischen sie einen Menschen weiter ab vom Ufer, so ist er verloren.”

Die Landschaft ringsum bot einen lieblichen Anblick, majestätisch und anmutig grüßten die Palmen vom Ufer, sogar die fügsamen, ochsenplumpen Apias konnte man als Fabelwesen, die einem Märchenparadies entstammten, hinnehmen, und nun tauchte plötzlich diese geheimnisvolle Gefahr auf, diese grenzenlose, unbezähmbare Freßgier, daß einen der Ekel schüttelte.

Als es uns endlich gelungen war, die Humas zu vertreiben, banden wir die Beute an die Boote und schleppten sie nach Kumaka. Neunzehn erlegte Apias, damit war die ganze Siedlung auf viele Wochen mit Fett und getrocknetem Fleisch versorgt. Die Frauen hatten mehrere Tage alle Hände voll zu tun.

In dieser Zeit des Überflusses bereitete uns Aripaj großen Kummer. Der Kanaima, den er in sich vermutete, raubte ihm allmählich den Verstand. Der arme Teufel fühlte sich in der Gewalt einer abscheulichen Macht und verlor die Herrschaft über sich selbst. Sein Benehmen wurde immer absonderlicher. Zuletzt verließ er seine Familie und irrte geistesabwesend im Urwald umher. Er ließ sich nicht mehr in Kumaka sehen, sondern verbrachte nun auch die Nächte in der Wildnis. Jedoch hielt er sich ständig in der Nähe auf, denn unsere Jäger und Früchtesammler bekamen ihn öfter zu Gesicht. Immer mehr ähnelte er in seinen Gewohnheiten einem wilden Tier, er gestattete niemandem, sich ihm zu nähern, stieß unverständliche Schreie aus, drohte mit der Faust und plärrte den Namen Kanaimas.

„Retten wir ihn”, drang ich in die Freunde. „Holen wir ihn nach Kumaka, wenn es sein muß, mit Gewalt.”

„Das können wir nicht tun”, erwiderte Manauri. „Er geht dauernd nach Serima. Vielleicht hat er sich angesteckt.”

„Weißt du genau, daß er dorthin geht?’

„Ganz genau, Jan!”

So konnte natürlich keine Rede davon sein, ihn nach Kumaka zu bringen, im Gegenteil, man durfte ihn überhaupt nicht auf unsere Halbinsel lassen. Die Freunde nahmen die Nachrichten über seine traurige Krankheit mit geduldigem Verständnis auf und erklärten mir den Grund für diese Erscheinungen. Diese Art Wahnsinn war ihnen gut bekannt, die Waldindianer wurden oft davon befallen. Besonders dann, wenn ihnen ein großes Unrecht widerfahren war, suchte der Rachegeist sie heim, verwirrte ihnen die Sinne und wich nicht eher aus ihnen, bis sie ihre Leiden im Blut des Schuldigen ertränkt hatten, sofern nicht der andere sie vorher ums Leben brachte. Erst wenn die Rache ausgeführt war, wurden sie wieder normale Menschen. Aripaj mußte den Zauberer Karapana töten, deshalb irrte er vom Wahnsinn besessen umher.

„Und wenn nicht er den Zauberer tötet, sondern der Zauberer ihn?” wandte ich beunruhigt ein.

„Das hängt vom Kanaima ab, dagegen kann man nichts tun.”

In der Tat gab es für uns keine Möglichkeit, Aripaj zu helfen. Er kreiste wie ein Geier um Serima.

Dort sah es sehr schlecht aus. Der größte Teil der Einwohner war an den Masern erkrankt, der Tod wütete, besonders die Kinder fielen ihm zum Opfer. Leid und Bitterkeit bedrückten die Herzen derer, die noch gesund waren. In ihrer Verzweiflung und Wut stießen sie immer lautere Verwünschungen gegen die Stammesältesten aus. Aripaj hörte sich ihre Klagen und Flüche an und stachelte sie noch mehr auf.

So lagen die Dinge, als ich ein unheimliches Erlebnis in unserem verteufelten See hatte und um ein Haar ertrunken wäre. Die Hölle mußte diesen Wasserstreifen geschaffen haben. Wieviel rätselhafte Geschöpfe hielt er noch verborgen?

Der Grund des Sees war dunkel und schlammig, nur an einer Stelle blinkte ein schmaler, kaum fünfzig Schritt breiter Sandstreifen im seichten Wasser. Diese Stelle befand sich in der Nähe von Kumaka, und so gingen wir öfter dorthin baden. Die zahlreichen Kaimane der Potarobucht ließen uns ungeschoren, und da wir uns niemals erdreisteten, die Untiefe zu verlassen und weiter hinauszuschwimmen, kam es auch zu keinen unliebsamen Begegnungen mit den räuberischen Humas. Am Übergang des sandigen Untergrundes in die dunkle Tiefe reichte mir das Wasser kaum bis an die Brust. Gern tummelten wir uns am Rande des Sandstreifens und genossen das erfrischende Bad.

Eines Morgens plantschten wieder einige von uns im Wasser. Plötzlich vernahm ich aus dem Munde Pedros, der ganz in meiner Nähe war, ein gedämpftes Stöhnen. Als ich mich nach ihm umdrehte, gewahrte ich, daß sich auf seinem Gesicht Bestürzung und Schmerz malten. Gleich darauf sackte er zusammen und fiel ins Wasser. Das erschien mir völlig unnatürlich, denn die Tiefe betrug höchstens vier Fuß.

Ich eilte ihm zu Hilfe, und da ich ihn in dem klaren Wasser auf dem Grund liegen sah, erfaßte ich ihn am Haarschopf und zog ihn nach oben. Als sein Kopf an der Oberfläche des Wassers erschien, geschah mit mir etwas Fürchterliches. Ich fühlte plötzlich einen so starken und so schmerzhaften Schlag, daß ich einen Augenblick das Bewußtsein verlor. Der Schmerz saß überall, am schlimmsten wütete er im Innern des Körpers. Es schien, als ob mir mit Zangen die Eingeweide zerrissen und die Knochen gebrochen würden.

Einen solchen lähmenden Schmerz hatte ich bisher nie kennengelernt. Bevor ich ohnmächtig wurde, glaubte ich im Wasser die schwarze Gestalt eines davonschwimmenden Fisches zu erkennen. Sollte er dies alles verursacht haben?