Zunächst schrieb der Jäger die Geschehnisse in seiner Hütte wohlgesinnten Geistern zu; doch kam es ihm mit der Zeit allzu sonderbar vor, und er beschloß, der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Eines Tages brach er daher die Jagd bedeutend früher ab als sonst und näherte sich vorsichtig der Hütte. Im Innern vernahm er geschäftiges Hantieren, und als er durch eine Öffnung im Flechtwerk hineinsah, erblickte er ein junges Mädchen, das Feuer entfachte. Dicht daneben hing das Fell seines Lieblingshundes an der Wand. In diesem Augenblick wurde ihm alles klar. Vorsichtig schlich er zum Eingang, stürzte hinein, erraffte das Hundefell und warf es in die Flammen. Das Mädchen konnte nun seine Gestalt nicht mehr wechseln und war in seiner Gewalt. Er zog sie an sich und blieb für immer ihr Mann.
Sie lebten zusammen”, schloß Lasana ihre Erzählung und bedachte die Häuptlinge mit einem vielsagenden Blick, „bis an das Ende ihres Lebens, ohne sich jemals zu trennen, und waren sehr glücklich.”
„Soso!” Die Häuptlinge nickten wohlwollend. „Ja, es soll auch solche Mädchen geben.”
„Es gibt mit Sicherheit solche Mädchen!” schnitt ihnen Lasana die Rede ab.
Inzwischen neigte sich der vom Lärmen der Menschen und vom Dröhnen der Trommeln erfüllte Tag langsam seinem Ende zu. Die Strahlen der untergehenden Sonne tauchten die Welt in rotes Licht, die Schatten wurden immer länger und länger, und in der Tiefe des Waldes nistete bereits die Dunkelheit. Immer noch aber herrschte in der Siedlung und an ihrem Rande, unter den Burtiti-palmen, lebhaftes Treiben. Schreie flogen hin und her, und die Kinder trieben allerhand Unfug.
In einiger Entfernung tauchte ein junger Indianer, ein flinker Jäger, auf. Er lief auf unseren Toldo zu. Noch schwangen in unserem Innern die Worte Lasanas, noch weilten unsere Gedanken bei dem glücklichen Jäger und seiner Geliebten, und der näher kommende Jüngling erschien uns — o welche Täuschung! — einen Augenblick als eine Gestalt aus einer Erzählung. Aber nur einen Augenblick.
Der Indianer hatte uns erreicht. Seine vom schnellen Lauf umnebelten Augen verrieten Entsetzen. Außer Atem stieß er hervor: „Die Akawois . . . dort!”
Er wies auf das andere Ufer des Sees.
„Was sagst du da?” Manauri brachte die Worte kaum hervor. „Die Akawois .. . sind gekommen!”
Selbst wenn sich die Erde geöffnet hätte, wäre die Überraschung nicht größer gewesen. Wir fielen aus allen Himmeln, der Atem drohte uns zu versagen, im Kopf ging alles wirr durcheinander. Irgendjemand stöhnte schmerzvoll auf.
Wir saßen noch immer so da wie zuvor.
„Wo befinden sie sich?” Ich hatte mich als erster gefaßt.
„Dort am Ufer des Sees. Vielleicht setzen sie jetzt bereits über.” „Wie viele sind es?”
„Acht.”
„Und woher weißt du, daß es Akawois sind?”
„Ich stand am Ufer des Sees, als sie aus dem Dickicht traten. Sie haben mit mir gesprochen.”
„Bist du ihnen ausgerissen?”
„Ich wollte fliehen, als ich sie sah, doch fingen sie mich ... Sie haben mir aber nichts getan, sondern ließen durchblicken, daß sie nach Kumaka kommen wollen.. .”
„Und es waren nur acht?”
„Ja, acht.”
„Wo sind die andern?”
„Ich weiß es nicht. Mehr habe ich nicht gesehen.”
Auf so rauhe Weise aus der glücklichen Stimmung gerissen, empfand ich ein ganz eigenartiges Gefühl, ein Gefühl der Erleichterung, daß endlich, nach vielen Monaten gespannten Wartens, etwas geschah. Nun hatte der Blitz eingeschlagen. Die Akawois waren gekommen.
Die Häuptlinge hingen mit starren Augen an mir. In ihrem flackernden Blick lagen Vertrauen und Furcht.
Die acht Akawois
Alle sprangen auf. „Bleibt ruhig”, ermahnte ich sie mit gepreßter Stimme. „Wir dürfen durch nichts verraten, daß wir vor der Gefahr gewarnt wurden. Von den acht Akawois droht uns kaum eine Gefahr, doch ist es nicht ausgeschlossen, daß eine andere Abteilung auf unserer Halbinsel gelandet ist und sich anschleicht. Vielleicht liegen sie bereits hinter den nächsten Bäumen auf der Lauer.”
Unwillkürlich blickten die Ältesten zu den Büschen hinüber. Sie konnten sich nicht beherrschen, es fehlte ihnen die Erfahrung wirklicher Krieger. Allein Manauri benahm sich so; wie es in unserer Lage geboten war.
„Einen unnötigen Blick kann man in der Wildnis mit dem Leben bezahlen”, warnte ich sie.
Dann legte ich ihnen in knappen Worten meinen Plan für die kommenden Minuten dar: Wir mußten unauffällig auseinandergehen und zu unseren Sippen zurückkehren. Jeder, dem einer von uns unterwegs begegnete, sei zu unterrichten, daß sich alle Krieger bewaffnen und nach Sippen geordnet in den Hütten bereit-halten sollten. Nach allen Richtungen seien Späher zu entsenden, die das Dickicht rings um Kumaka im Umkreis von fünfhundert Schritt zu durchsuchen hatten.
„Mit einem Wort’, schloß ich die kurze Beratung, „es ist alles zu tun, daß die Gruppen bereit sind, einen Angriff abzuwehren, und der Feind nichts von den Vorbereitungen merkt. Der Mukuari muß weiterlaufen wie bisher, die Trommeln dürfen keinen
Augenblick verstummen. Manauri und ich werden die Akawois empfangen, ihr andern verfolgt das Geschehen aus der Ferne. Sobald die Späher Nachrichten bringen, sind wir auf dem schnellsten Wege davon zu verständigen.”
Wir erhoben uns und gingen auseinander. Die Mukuaritänzer wurden heimlich in Kenntnis gesetzt, daß sie ohne Unterbrechung weitertanzen sollten.
Als wir bei meiner Hütte ankamen, erreichten die Akawois gerade das Ufer und zogen ihr Boot dicht neben unserem Segler an Land. Die Anwesenheit eines solchen Schiffes in dieser Urwaldgegend war bestimmt nichts Alltägliches, und doch verrieten die Ankömmlinge mit keinem Laut und keiner Bewegung ihre Verwunderung darüber. Sie verstanden es meisterhaft, ihre Gedanken zu verbergen. Am Rande des Wassers blieben sie stehen, und einer von ihnen, wahrscheinlich der Anführer, vollführte mit der Hand verschiedene Bewegungen vor seinem Gesicht zum Zeichen freundschaftlicher Begrüßung. Manauri antwortete ihm auf die gleiche Art, worauf die Akawois ihre Waffen und ihr Gepäck ausluden. Es bestand aus acht reichlich gefüllten Säcken, wie sie die Indianer auf ihren Wanderungen mittels eines Stirnriemens auf dem Rücken zu tragen pflegen.
„Wir sind wandernde Händler vom Stamme Kapong, der auch Akawoi genannt wird”, begann der Anführer, der uns begrüßt hatte, in gebrochenem Arawakisch das Gespräch, „und sind gekommen, um euch unsere Waren anzubieten.”
„Wenn das der Grund eures Kommens ist’, erwiderte Manauri freundlich, doch mit einer gewissen Betonung, „so heißen wir euch herzlich willkommen und beherbergen euch gern.”
„Wir danken dir. Nehmt es uns nicht übel, daß wir euer Boot benutzt haben, um über den See zu gelangen. Wir kommen aus den südlichen Wäldern, benutzen die Urwaldpfade und besitzen kein eigenes Boot.”
„Wo hast du die arawakische Sprache erlernt?”
„Unsere Siedlungen am Cuyuni liegen nahe den Wohnsitzen der südlichen Arawaken, die am Pomerun leben. Ich heiße Dabaro und bin oft mit euren Brüdern zusammengekommen."
Diesen Menschen sah man es auf den ersten Blick an, daß sie einem anderen Stamm angehörten als den Arawaken oder den Warraulen. Sie waren einen halben Kopf größer als die meisten der hier ansässigen Indianer und weitaus kräftiger. Wenn sie auch als Händler auftraten, so verriet jede ihrer Bewegungen die Elastizität und Sicherheit erprobter Krieger. Ihre Augen blickten scharf, wenn auch beherrscht, ihre Mienen waren stolz und die Haltung würdevoll. Die weißen Faserbinden am Unterarm und unterhalb der Knie und die schwarzen Streifen, die vom Ohr zur Nase und zum Mund verliefen, stellten sicher das Stammeszeichen dar. Alle acht Mann waren bis an die Zähne bewaffnet, jeder trug Pfeil und Bogen bei sich, Speer, Keule und einen Schild aus hartem Tierfell. Die Waffen legten sie keinen Augenblick aus der Hand und gingen so geschickt damit um, daß sie ihnen bei keiner Tätigkeit im Wege waren. Diese Gewandtheit im Umgang mit Waffen wirkte drohend und unheilverkündend, nötigte aber gleichzeitig auch Achtung ab.