Als die Begrüßungszeremonien vorüber waren, ließ Manauri die Gäste in die ihnen zugewiesenen Hütten geleiten, wo sie reichlich mit Speise und Trank bewirtet wurden und Holz erhielten, um ein Feuer zu entzünden. Die Hütten waren so gelegen, daß sie Tag und Nacht von allen Seiten aus gut beobachtet werden konnten.
Die ausgesandten Späher hatten in der nächsten Umgebung Kumakas nichts Verdächtiges gefunden. Nun schickte ich sie ein zweites Mal weg, diesmal jedoch bedeutend weiter. Sie sollten unsere ganze Halbinsel und auch das gegenüberliegende Ufer des Sees absuchen. Weil die Akawois von dorther gekommen waren, befahl ich Arnak, den Pfad, den sie benutzt hatten, so weit wie möglich zu verfolgen.
Anschließend hielt ich mit Manauri und den Häuptlingen eine Beratung ab. Ich erklärte ihnen, daß die Akawois ihre Überfälle meistens kurz vor Tagesanbruch durchführten, in der Zeit des tiefsten Schlafes, und daß jede Sippe eine Anzahl Krieger für den Wachdienst bereithalten müsse.
„Die Wachen werden die ganze Nacht über ausgestellt, und zwar in Kumaka selbst und auch außerhalb der Siedlung.” Mit diesen Worten schloß ich meine Anordnungen.
„Weißer Jaguar, glaubst du, daß noch mehr Akawois im Wald verborgen sind?” fragte Mabukuli.
„Ich weiß genausoviel wir ihr, doch sagt mir eine innere Stimme, daß es nicht nur acht waren.”
„Meinen Kopf will ich verlieren, wenn es nicht mehr waren”, erklärte Konauro.
Mehr oder weniger waren alle dieser Ansicht, und weil die Angst große Augen hat, schätzten sie die Größe der Gefahr, in der wir uns befanden, richtig ein. Unter den Stämmen Guayanas und Südostvenezuelas waren die schaurigsten Gerüchte über die Akawois im Umlauf. Besonders ihre Blutgier und unmenschliche Grausamkeit waren gefürchtet. Die Häuptlinge der Arawaken verfielen aber nicht in Panik, weil sie fest an meinen guten Stern glaubten und mir unbegrenztes Vertrauen schenkten.
„Gibt es unter unseren Leuten jemand, der die Sprache der Aka-wois versteht?” fragte ich.
Leider gab es niemand. Die Bewohner Serimas und Kumakas waren erst vor zwei Jahren von der Küste des Karibischen Meeres hierhergekommen und hatten mit den Akawois noch keine Berührung gehabt.
„Das ist sehr schade, denn ich bin überzeugt, daß die Akawois Späher sind. Sie werden sich so lange bei uns aufhalten, bis sie alles erfahren haben, was sie wissen wollen. Es wäre daher gut, wenn jemand ihre Gespräche belauschen könnte.”
„Wir haben niemand.” Manauri zuckte die Achseln.
„Doch gibt es einen”, rief Mubukuli plötzlich aus. „Fujudi!” Fujudi, der zur nächsten Umgebung des Oberhäuptlings Koneso gehört hatte, war jener Arawake, den wir bereits in dem Dorf Jekuanas an der Mündung des Orinoko kennengelernt hatten. Er stammte vom Pomerun und war erst vor Jahresfrist hier eingetroffen.
„Natürlich, Fujudi”, bestätigten Konauro und Jaki. „Er kennt die Sprache der Akawois, wir wissen es ganz genau.”
Fujudi hatte sich seinerzeit nicht von Koneso trennen wollen und hielt sich in Serima auf.
„Er war nicht an der Seuche erkrankt?” fragte ich.
„Nein.”
Ich wandte mich an Manauri. „Entsende sofort einen flinken Boten zu Fujudi. Er soll noch in dieser Nacht zu uns kommen. Außerdem muß in Serima Ordnung geschaffen werden, alle Hütten, in denen Kranke lagen, sind zu verbrennnen, möglichst gleich morgen früh.”
„Gut, Jan.”
Als wir berieten, wie die acht Akawois am besten überwacht werden könnten, rümpften Mabukuli, Jaki und Konauro die Nase und machten unzufriedene Gesichter.
„Der Weiße Jaguar hat selbst zugegeben”, brachte schließlich Konauro vor, „daß die Akawois Kundschafter sind. Es besteht also kein Zweifel, daß wir es mit Feinden zu tun haben. Wenn wir sie töten, befreien wir unseren Körper von dem Geschwür, das ihn befallen hat. Damit beseitigen wir die Gefahr und lassen gleich-zeitig unseren Jägern, die während der letzten Trockenzeit in den Bergen umgebracht wurden, Gerechtigkeit widerfahren.”
„So ist es, wir werden sie töten”, bekräftigten Jaki und Mabukuli.
Manauri krümmte sich, als habe ihn eine Schlange gebissen. Er schnaufte und maß seine Häuptlinge mit wütenden Blicken. Es dauerte geraume Zeit, bis er ihnen eine Antwort gab. Endlich öffnete er den Mund und sprach: „Ich habe erwachsene Männer vor mir, doch was sie reden, ist die Sprache von Gelbschnäbeln. Sind wir vielleicht wilde Bestien, die wandernde Händler umbringen? Will es niemand gesehen haben, daß Manauri im Namen des ganzen Dorfes die Fremden begrüßt und ihnen Gastfreundschaft angeboten hat? Und nun erhebt ihr, meine Freunde und Häuptlinge, die schamlose Forderung, ich solle ehrlos mein gegebenes Versprechen brechen? Eine solche Schande mutet ihr mir zu?"
Der Oberhäuptling war zutiefst empört, und ich rieb mir insgeheim vor Freude die Hände, denn ich erblickte in diesem berechtigten Ausbruch gleichzeitig auch einen Erfolg meines Einflusses. Die Häuptlinge nahmen den Tadel ruhig und ergeben auf, nur Mabukuli, der vertrauteste Gefährte Manauris, machte den Einwand: „Und wenn die Akawois wirklich Verräter sind, was dann?’
„Das ist etwas anderes. In diesem Fall werden wir sie vernichten!”
„Wenn es dann nur nicht zu spät ist’, knurrte Mabukuli warnend.
Die Häuptlinge richteten ihre Augen auf mich. Ihre letzte Hoffnung war, daß ich Partei für sie ergreifen könnte, doch waren sie im Irrtum. Ich stellte mich unmißverständlich auf die Seite Manauris und fügte hinzu, die acht Akawois müßten schon deshalb am Leben bleiben, um uns durch ihr Verhalten möglicherweise das Versteck der übrigen Feinde zu verraten, wenn solche in der Nähe Kumakas weilen sollten.
Vor Einbruch der Dunkelheit besuchten wir die Gäste in ihren Hütten und überzeugten uns, ob es ihnen an nichts fehle, gleichzeitig warnten wir sie bei dieser Gelegenheit freundschaftlich, sich in der Finsternis von ihrer Behausung zu entfernen.
Als es Nacht wurde, kehrten Arnak und die übrigen Kundschafter in das Dorf zurück. Nirgends hatten sie Spuren fremder Menschen gefunden.
Ungefähr zwei Stunden nach Mitternacht wurde ich geweckt. Fujudi war gekommen. Er war begeistert von der Aufgabe, die er erfüllen sollte, und freute sich, daß wir ihm Vertrauen schenkten. Die Sprache der Akawois beherrschte er recht gut.
„Ich vertraue dir die Akawois an. Du wirst ihnen behilflich sein und auf jedes Wort achten, das sie sprechen, doch dürfen sie nie merken, daß du sie verstehst’, belehrte ich ihn. „Es fragt sich nur, ob sie dich nicht von früher kennen.”
„Das ist unmöglich”, antwortete er, „denn ich habe ihre Sprache von zwei Akawois gelernt, die ständig in unserem Stamm am Pomerun lebten. Ich war nie am Cuyuni.”
„Um so besser! Wie steht es in Serima?”
„Die Seuche scheint vorüber zu sein. Die Überlebenden kommen langsam wieder zu Kräften.”
„Und Koneso?”
„Er ist völlig gebrochen, abgestumpft und verlassen. Ganze Tage spricht er kein einziges Wort.”
„Und die übrigen?”
„Sie hoffen auf dich, Weißer Jaguar, und möchten sich mit dem Stamm Manauris vereinigen. Sie wollen alles tun, was ihr ihnen befehlt.”
„Wann werden die verseuchten Hütten verbrannt?”