Noch während des Essens überlegte ich die weiteren Möglichkeiten unserer Verteidigung. Ich ließ die Häuptlinge sowie Fujudi, Arnak und Wagura rufen, und als sie eingetroffen waren, erläuterte ich ihnen kurz meinen Plan: Die Leute in Kumaka müßten sich so verhalten, daß die acht Akawois nicht auf den Gedanken kämen, wir könnten den Mord und den Diebstahl des Bootes bemerkt haben. Außerdem ordnete ich an, daß sich in einer Stunde alle, die Feuerwaffen besaßen, bei den Buritipalmen versammeln sollten.
„Die Kundschafter, die eben zum See entsandt wurden, haben einige Büchsen mitgenommen”, erinnerte Manauri.
„Dann müssen wir eben ohne diese auskommen”, entgegnete ich. „Viele werden sie nicht mitgenommen haben, höchstens drei oder vier.”
„Drei waren es”, versicherte Arnak.
„Alle, die eine Feuerwaffe besitzen, sollen bei den Palmen erscheinen?’ fragte Wagura noch einmal.
„Alle.”
„Das werden annähernd vierzig sein. Bist du der Meinung, Jan, daß die Akawois nichts merken werden, wenn so viele mit Büchsen oder Pistolen bewaffnete Männer zu dem Wäldchen gehen?” „Ich glaube, sie werden es merken.”
„So können wir uns offen vor ihnen zeigen?”
„Nein. Die Akawois müssen den Eindruck gewinnen, daß wir die Waffen vor ihnen verbergen wollen, und doch sollen sie uns bemerken und unsere Waffen sehen.”
„Ah, jetzt verstehe ich!” rief Wagura aus. „Sie sollen sehen, über wie viele Waffen wir verfügen.”
„So ist es! Und du, Arnak, sorgst dafür, daß sämtliche Pulver-fäßchen, die auf dem Schoner sind, in den Palmenhain gebracht werden.”
„Die Augen sollen ihnen übergehen, diesen Lumpen!” Wagura freute sich.
Währenddessen hatten die Akawois, genau wie am vorher-gehenden Tage, ihre Waren ausgestellt, und das Feilschen begann von neuem. Heute waren es vorwiegend Frauen, die sich bei den Händlern einfanden, denn die Männer hatten anderes zu tun. Die Akawois forderten auch nicht mehr so hohe Preise und tauschten bereitwillig die arawakischen Gewebe gegen ihre Waren ein.
Zur festgesetzten Zeit bot der Hain aus Buritipalmen ein ungewöhnliches Bild. Die Indianer hatten drei bis vier Fuß über der Erde an den Bäumen Stangen befestigt, die einen Stamm mit dem andern verbanden. Daran lehnten die Läufe ihrer Musketen und Büchsen. Etwas höher, an waagerecht gespannten Lianen, hatten sie nebeneinander die Pistolen aufgehängt. Insgesamt waren es achtunddreißig Büchsen und vierunddreißig Pistolen, eine ansehnliche Sammlung, die Bewunderung hervorrufen mußte.
Mit Arnak und Wagura machte ich mich daran, die Waffen zu untersuchen. Es war die höchste Zeit, denn in dem feuchten Klima begann bereits der Rost an unseren Flinten zu nagen. Die Musketen, die ich den neu ausgebildeten Schützen zugeteilt hatte, waren in besonders schlechtem Zustand. Das Fett der Apias erwies sich als wunderbares Mittel, das Schießzeug recht und schlecht wieder in Ordnung zu bringen. Mit größter Aufmerksamkeit kontrollierte ich, ob für jede Feuerwaffe ein lederner Überzug vorhanden war, der über das Schloß und den Hahn gezogen wurde und die Pfanne vor Feuchtigkeit und Regen schützte.
Noch war die Besichtigung nicht abgeschlossen, als Wagura mich darauf aufmerksam machte, daß sich Dabaro nähere. Der Fisch hatte also den Köder geschluckt. Wir beachteten den Aka-woi nicht weiter, erst als er vor uns stand, warf ich ihm einen fragenden Blick zu.
Als Händler genossen unsere Gäste das Recht, sich tagsüber im ganzen Dorf nach Gutdünken zu bewegen.
„Das Feuerholz ist uns ausgegangen”, brachte Dabaro vor. „Wir möchten hier in der Nähe etwas Holz sammeln.”
„Unsere Leute werden euch soviel Holz bringen, wie ihr braucht’, entgegnete ich ihm freundlich.
„Wir wollen euch nicht damit belasten”, erwiderte er im gleichen Ton.
„Gut, Dabaro, dann geht selber in den Wald. Achtet aber auf unsere Wachen, die im Walde verteilt sind, damit euch nichts Unangenehmes zustößt.”
Er tat verwundert. „Wozu habt ihr die Wachen ausgestellt?” „Das haben wir dir noch nicht gesagt? Die Spanier führen etwas im Schilde. Sie wollen wegen der ungastlichen Aufnahme, die wir ihnen bei ihrem letzten Besuch bereitet haben, mit uns abrechnen.”
„Die Spanier!” Dabaro überlegte und fügte dann hinzu: „So gib uns lieber einen Mann mit, der den Wachen erklärt, was wir im Walde wollen.” '
„Gut, ich gebe euch einen Begleiter mit.”
Bereits im Gehen fiel ihm noch etwas ein: „Nachmittags möchten wir euch wieder etwas vortanzen.”
„Ausgezeichnet! Ihr seid unermüdliche Tänzer. Das viele Holz braucht ihr wohl, um ein großes Feuer zu unterhalten?”
„Nein, Weißer Jaguar, heute zünden wir kein Feuer an. Heute tanzen wir den Tanz der Krieger.”
Er ging davon, ohne die Waffen auch nur mit einem Blick zu streifen. Daß sie seinen Augen entgangen sein sollten, erschien den Freunden unwahrscheinlich, ja geradezu unnatürlich, und Arnak murmelte: „Schlau ist der Kerl, aber nicht schlau genug.”
In Begleitung Fujudis und zweier Krieger begaben sich die Akawois in den Urwald. Ihre Waffen hatten sie in Kumaka zurückgelassen. Nach einer knappen Stunde kehrten sie mit Holz beladen wieder. Sie hatten die Wachen gesehen. Sonst hatte sich nichts Verdächtiges ereignet, und auch Fujudi konnte nichts Besonderes berichten.
Kurz vor Mittag kehrten die Späher vom Seeufer zurück. Sie hatten weder Spuren des verschwundenen Bootes noch Fährten in der Nähe des Wassers entdecken können.
„Die Situation beginnt sich zu klären”, sagte ich zu den Häuptlingen. „Die Akawois lagern auf der Flußseite.”
„Wie ich sehe, befriedigt dich diese Nachricht”, erwiderte Ma-nauri in bitterem Ton und wiegte den Kopf hin und her.
„So wahr ich lebe! Wenn Kumaka nicht überfallen wird, so bringt uns die nächste Nacht die Gewißheit, wo sich das Lager der Akawois befindet.”
„Hast du schon einen bestimmten Plan?”
„Den habe ich. Ihr müßt nur aus den Sippen Kumakas fünfzehn Krieger aussuchen, die ein mutiges Herz besitzen, vor allem aber im Dunkeln sehen können wie die Eulen. Diese schickt zwei Stunden nach Mittag zu mir.”
Sie sandten die Krieger und kamen auch selbst, um meinen Plan zu vernehmen. Ich machte ihnen mein Vorhaben klar: „Wir besetzen heute nacht mit zwei Booten die enge Durchfahrt, die den See mit dem Itamaka verbindet. Ich bin überzeugt, daß die Akawois, ermutigt durch ihren gestrigen Erfolg, auch heute wieder versuchen werden, uns weitere Boote zu entwenden. Wenn wir sie aus Kumaka vertreiben, so werden sie auf den Fluß hinausfahren und Hals über Kopf ihrem Lagerplatz zusteuern. Unsere beiden Boote, die in der Enge auf der Lauer liegen, können sie unbemerkt verfolgen und auf diese Weise ihr Lager entdecken. Seid ihr mit diesem Plan einverstanden?”
„Und du willst mit zur Durchfahrt, Jan?”
„Natürlich. Sobald es dunkel wird, fahren wir los. Das eine Boot begleite ich, Arnak übernimmt das zweite.”
„Und wenn in deiner Abwesenheit das Unglück über Kumaka hereinbricht, wenn die Akawois über unser Dorf herfallen?” „Wozu sind denn die Wachen ausgestellt? Außerdem ist es nicht weit zur Durchfahrt, wir würden euch bei einem Überfall sofort zu Hilfe eilen.”
Wir brachen unverzüglich auf, um ungefähr eine halbe Meile entfernt eine geeignete Stelle für das nächtliche Unternehmen auszusuchen. Die Durchfahrt war über zweihundert Schritt lang, aber ziemlich schmal, und die Ufer waren hinter einer dichten Wand tief herabhängender Zweige verborgen. In ihrem Schatten konnte man sich ausgezeichnet verstecken. Nachdem wir den nächtlichen Standplatz für die Boote festgelegt hatten, kehrten wir nach Kumaka zurück.
Kurz darauf begannen die Akawois ihren Tanz. Es war ein Kriegstanz, wie Dabaro angekündigt hatte. Sie hielten sich wieder an den Händen gefaßt, doch bewegten sie sich diesmal viel
lebhafter, vollführten gewaltige Sprünge und stießen wilde Schreie aus. Von Zeit zu Zeit sprang einer von ihnen in die Mitte des Kreises und drehte sich wie rasend um sich selbst. Tatsächlich hatten sie kein Feuer entzündet, dafür saß einer der Akawois vor einer aus einem hohlen Baumstamm gefertigten Trommel und schlug laut den sich ständig verändernden Takt.