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„Nichts.”

„Das bedeutet, daß ihr Lagerplatz noch weiter flußaufwärts liegt, als wir angenommen haben.”

„So ist es.”

Manauri, Mabukuli und Jaki traten zu uns. Ich unterrichtete sie in kurzen Worten über die Lage und fügte hinzu: „Daraus er-gibt sich, daß wir uns wieder auf Verteidigung einrichten und noch wachsamer sein müssen als bisher. Es fragt sich, was diese Nacht am Fluß vorgehen wird. Bis wohin werden die acht Akawois fahren? Wir müssen den Fluß genau überwachen.”

Nachdem die Wachen um Kumaka verstärkt worden waren, konnte ich ein wenig ruhen und meine Gedanken dem zuwenden, was James Powell erzählt hatte. Waren es nicht sehr verlockende Aussichten, die eine ganze Reihe schöner Zukunftshoffnungen wachriefen? Der Haß gegen die Spanier und deren grausames Auftreten gegen die Indianer war mir so in Fleisch und Blut übergegangen, daß ihre Vertreibung aus der Gegend als äußerst wünschenswert erschien. Würde durch die Machtergreifung Englands das Land an diesem Fluß nicht für immer von solchen Sorgen befreit werden, wie sie uns die Akawois im Augenblick bereiteten? Öffnete sich damit für mich nicht gleichzeitig der Weg zu hohem persönlichem Ansehen und großen Ehren?

Es waren unabschätzbare Vorteile, und doch — warum riefen sie in mir nicht eine solche Begeisterung hervor, die sie, wenn man die Sache für sich betrachtete, verdient hätten? Ob die von den Akawois drohende Gefahr meine Vorstellungskraft dämpfte, mir den klaren Blick in die Zukunft verschleierte?

England würde Ordnung in dieses Land bringen, wiederholte ich mir im Geiste; doch dann drängte sich mir unwillkürlich die Frage auf: Was für eine Ordnung? Was hatte diese englische Ordnung für die Indianer zu bedeuten? Ich wußte es nur zu genau aus den Ereignissen in den mir nahestehenden nordamerikanischen Kolonien. Früher, als ich dies alles mit dem Auge des weißen Pioniers betrachtet hatte, war mir die Ausrottung der Indianer als eine völlig natürliche, unausbleibliche Sache erschienen, heute aber war alles anders. Die Umstände hatten mich auf die Seite der Indianer geschlagen, und ich sah und bewertete die Handlungen der weißen Menschen oft mit dem Auge des Indianers.

Als die Sonne die Wipfel des Urwalds auf der anderen Seite des Itamaka berührte, erteilte ich die letzten Anweisungen für die kommende Nacht. Dabei kreisten meine Gedanken ständig um das ferne Virginia. Erinnerungen an Ereignisse aus den nicht so sehr weit zurückliegenden Anfängen dieser Kolonie wurden lebendig, Erinnerungen, die für die Engländer äußerst belastend waren. Die ersten Pioniere waren jämmerliche Gestalten aus den Londoner Elendsvierteln gewesen, der Abschaum der Gesellschaft. Pohattan und seine Indianer hatten sie gastfreundlich aufgenommen und sie oftmals durch reichliche Geschenke vor dem drohenden Hungertode errettet. Solange die Ankömmlinge schwach waren, zeigten sie sich verträglich, als sie immer zahlreicher wurden, begannen sie sich stark zu fühlen, ließen die Maske fallen und gebärdeten sich frech und rücksichtslos. Nun betrachteten sie ihre bisherigen Wohltäter als Freiwild, das getötet werden mußte. Nicht einmal vierzig Jahre waren seit dem Eintreffen der ersten Engländer vergangen, als die Kolonisten die letzten Reste des einst großen und tüchtigen Volkes Pohattans vernichteten.

Man sagt, dies sei der unabänderliche Lauf der Geschichte; angesichts der Härte, Energie und Spannkraft der Engländer müßten die Eingeborenen dieses Schicksal erleiden. Sollte ich dazu beitragen, daß so gefährliche Menschen hier am Orinoko Eingang fanden?

Natürlich waren Guayana und die Orinokomündung nicht Virginia oder Massachusetts. Hierher kamen die Engländer bisher meist als Kaufleute, und so würde es auch in Zukunft bleiben. Sie würden Faktoreien gründen, später aber würden sich Plantagen anschließen, und auf den Plantagen braucht man die arbeitsamen Hände der Sklaven. Diese würden sie von den unterjochten indianischen Stämmen holen, wie es die Holländer bereits jetzt taten, und wenn sich die Stämme dagegen zur Wehr setzten, so waren genügend Beispiele dafür vorhanden, was dann mit ihnen geschah. Nein, es wäre nicht klug, sich solche gefährlichen Menschen ins Land zu bringen, man mußte sich vor ihnen hüten und ihren geschickten Machtgelüsten solange wie möglich hartnäckigen Widerstand entgegensetzen.

Die Sonne war verschwunden, und die Dunkelheit senkte sich herab, als ich mit meinen Gedanken über diese ernste Angelegenheit ins reine gekommen war. Mir war klärgeworden, daß die Spanier, weil sie am Orinoko so schwach waren, die annehmbarste Herrschaft bildeten, da ihre beschränkten Machtmittel den hiesigen Stämmen eine verhältnismäßig große Unabhängigkeit und Freiheit sicherten. Das Erscheinen anderer europäischer Machthaber, insbesondere meiner Landsleute, würde das Leben der Eingeborenen beträchtlich erschweren.

Bevor ich das Gespräch mit Powell fortsetzte, mußten Kundschafter auf den Fluß entsandt werden. Wir suchten vier kleine Jabotas aus. Jede wurde mit zwei Kriegern bemannt, die über ausgezeichnete Augen verfügten. Die Indianer tarnten ihre Boote geschickt mit Zweigen. Eine Jabota sollte sich in der Durchfahrt zum Fluß verbergen, die übrigen sollten auf den Fluß hinausfahren. Nach reiflicher Überlegung beschlossen wir, die Boote eine Dreiviertelmeile flußaufwärts mit Hilfe eines Steinankers mitten im Fluß ankern zu lassen, ein Boot so weit vom andern entfernt, daß sie die ganze Flußbreite vor Augen hatten und niemand unbemerkt vorüberfahren konnte. Als wir auch die Art der Nachrichtenübermittlung festgelegt hatten, konnte ich zum Abendessen gehen und anschließend Kapitän Powell zu einer Unterredung bitten.

Im Scheine des Feuers setzte ich ihm in höflichen, aber klaren Worten meine Ansicht auseinander und verbarg auch die Beweggründe nicht, die mich davon abhielten, die englischen Pläne zu unterstützen. Ernst und freundlich hörte er zu, am Schluß meiner Ausführungen jedoch wurden seine Augen schmal, und eine senkrechte Falte erschien auf seiner Stirn.

„Junger Mann”, sagte er, nachdem ich ihm alles dargelegt hatte, „Sie sind doch Pole, nicht wahr?”

Ich lachte. „Wieso bin ich Pole? Ich spreche nicht einmal zehn Worte Polnisch. Wenn auch meine Mutter in Polen geboren wurde und mein Vater polnisches Blut von meinem Urgroßvater in den Adern hatte, so waren doch unsere Großmütter und Urgroßmütter geborene Engländerinnen, und ich wurde in englischem Geist und in englischer Umgebung erzogen. Ich bin Engländer und nicht Pole.”

Er dachte nach, zog an seiner Zigarre und blies öfter Rauchwolken vor sich hin, um die Mücken zu verscheuchen. Schließlich sagte er: „Die Situation der Indianer am Orinoko kann man nicht mit dem vergleichen, was im Norden geschehen ist, wie Sie selbst ganz richtig erwähnt haben. Auch den Handelscharakter unserer Kolonie in Guayana haben Sie gut umrissen, und es wird Ihnen daher auch bekannt sein, daß wir Engländer in den Indianern niemals Arbeitsmaterial für die Plantagen erblickt haben. Sollten wir hier einmal Plantagen anlegen, so werden wir Neger herbeischaffen, die Indianer aber lassen wir in Ruhe, im schlimmsten Fall werden wir sie etwas tiefer in den Urwald verdrängen. Was die Spanier betrifft, so irren Sie sich und unterschätzen die Gefahr, die von dieser Seite droht. Heute sind sie schwach, was aber nicht bedeutet, daß es immer so bleiben muß. Schon in wenigen Jahren kann sich das von Grund auf geändert haben. Und wie grausam und despotisch sie mit den Indianern verfahren, das wissen Sie selbst am besten. In unserer Geschichte ist es vorgekommen, daß wir aus höheren Gründen der Staatsräson gezwungen waren, indianische Stämme zu bekämpfen; doch wiederhole ich, daß dies hier im Süden nicht geschehen wird! Und wenn wir Krieg geführt haben, so haben wir uns nie Grausamkeiten zuschulden kommen lassen.”

Dies erklärte er mit erhobener Stimme und fast prahlerisch, wenn auch durchaus im Rahmen des guten Benehmens. Sichtlich war er von der Richtigkeit seiner Ansicht überzeugt und ließ die Möglichkeit, daß jemand anders darüber denken könnte, überhaupt nicht zu. Mir schoß das Blut in den Kopf, doch beherrschte ich mich und biß mir auf die Lippe. Erst nach einiger Zeit antwortete ich: „Wenn ich mich nicht irre, geschah es im Jahr 1644, also vor rund hundert Jahren. Durch die bloße Tatsache ihrer Existenz wurden damals die Indianer in Virginia für unsere immer zahlreicheren Kolonisten zu einem unerträglichen Hindernis. Man entschied daher, den Eingeborenen den letzten Schlag zu versetzen. Um diese Aufgabe gründlich zu erledigen, nahmen alle Kolonisten zu einem niederträchtigen Betrug Zuflucht. Sie änderten mit einem Schlag ihre Haltung gegenüber den Indianern und täuschten herzliche Freundschaft vor, um sie aus ihren Verstecken zu locken. Die aus Gründen der Staatsräson geübte List hatte vollen Erfolg, und es begann das letzte Morden am Volke Pohattans. Die Kolonisten, wie schon vordem des öfteren, brachten alle um, deren sie habhaft werden konnten, auch die Frauen und die Kinder, selbstverständlich nur aus Gründen der Staatsräson. Vergeblich setzten sich die Indianer zur Wehr und kämpften verzweifelt, sie wurden aufgerieben, und einer der letzten, die bezwungen wurden, war der greise Häuptling Opentschakanuk, ein Bruder des schon lange nicht mehr lebenden Pohattan. Durch einen merkwürdigen Zufall wurde der Alte nicht auf der Stelle getötet, sondern gefangengenommen und nach Jamestown verschleppt. Hier ersann unser Gouverneur eine ungewöhnliche Todesart für ihn. Auf dem großen Platz ließ er einen Käfig bauen und setzte den Gefangenen hinein, zum Gaudium des Pöbels.