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Die blutige Arbeit war getan, und wir atmeten befreit auf. Unser Gefährte, den der Speer getroffen hatte, war nicht mehr am Leben. Ich wollte gerade Lasana das Fruchtamulett zurück-geben und hatte schon einen boshaften Scherz auf den Lippen, als die Warraulen, die wir eben befreit hatten, unsere Aufmerksam-keit auf sich zogen. Während wir noch den fünften Akawoi gejagt

hatten, war es ihnen gelungen, sich von der Fessel zu befreien. Sie warfen die Leichen der Feinde ins Wasser, griffen nun zu den Rudern und trieben das Boot mit panikartiger Hast der Mitte des Flusses zu.

„Hallo, wohin wollt ihr so eilig?” rief ihnen Fujudi in ihrer Sprache nach.

Sie gaben keine Antwort. Schweigend, ohne auf ihre Umgebung zu achten, jagten sie wie die Wahnsinnigen davon und handhabten die Ruder so heftig, daß das Wasser hoch aufspritzte.

„Sind sie verrückt geworden?” fragte ich verwundert. „Warum fürchten sie sich vor uns?”

„Die haben Angst, es sind Wilde”, brummte Arasybo verächtlich. „Wilde aus dem Moor!”

„Sage ihnen schnell, wer wir sind!” trug ich Fujudi auf.

Der Indianer legte die Hände an den Mund und schrie, so laut er konnte: „Wir sind Freunde! Wir fahren nach Kaiiwa, um Oro-napi vor den Akawois zu retten! Die Akawois sind vor uns! Wir sind Freunde! Haltet ein!”

Weithin hallte die Aufforderung über das Wasser, und alle Warraulen mußten sie gehört haben, doch blieb sie ohne Eindruck. Das Gegenteil trat ein: die Flüchtenden ruderten noch hastiger. Als die Warraulen in den übrigen drei Itauben die panische Flucht ihrer Stammesbrüder bemerkten, sprangen sie auf, um das gleiche zu tun; auch sie jagten dahin, als sei die Pest hinter ihnen her. Es gab nur die Erklärung dafür, daß die Angst den Gefangenen den Verstand geraubt hatte.

Die überstürzte Art, in der sie sich davonmachten, erinnerte an eine Herde aufgeschreckter Affen. Die Arawaken begannen daher immer lauter zu lachen. Schließlich verfolgte die Flüchtlinge ein wahrer Sturm von Heiterkeit, und spöttische Rufe hallten laut über das Wasser: „Feiglinge! Feiglinge!”

Mir tat es nur leid, daß die Warraulen einige wertvolle Büchsen mitgenommen hatten, die in ihren ungeübten Händen nutzlos waren.

Der ganze Vorfall hatte höchstens eine halbe Stunde gedauert und war zum Glück ohne größere Verluste an Menschenleben abgegangen. Wir hatten einen Toten zu beklagen und einige Leichtverletzte, die nach der Behandlung ihrer Wunden wieder ihre Arbeit verrichten konnten.

Die Strömung war jetzt sehr stark, wir kamen schnell voran. Bis zum Sonnenuntergang verblieben noch drei Stunden, und bis Kaiiwa waren noch vierzig Meilen zurückzulegen.

Der Puma und die Affen

Nach fünfzig, sechzig Ruderschlägen waren wir bereits eine halbe Meile von der Stätte des Kampfes entfernt. Wenn wir zurückblickten, konnten wir die Warraulen sehen, die sich in der Mitte des Flusses vereinigt hatten, aber nicht mehr ruderten. Es schien, als hielten sie eine Beratung ab. Plötzlich kam Bewegung in sie, verschiedene Ruderer stiegen aus einer Itauba in die andere, gleich darauf setzten drei Boote die Fahrt zum jenseitigen Ufer fort, während das vierte hinter uns herkam. An dem schnellen Eintauchen der Ruderblätter, auf denen sich die Sonne spiegelte, erkannten wir, daß ihnen daran gelegen war, uns möglichst bald einzuholen.

„Was sie wohl von uns wollen?” knurrte Fujudi mit verächtlicher Stimme. „Möchten sie sich etwa doch noch bei uns bedanken? Oder wollen sie uns um Entschuldigung bitten?”

„Vielleicht bist du nicht weit von der Wahrheit entfernt”, antwortete ich. „Wir müssen es ihnen erleichtern. Fahren wir doch langsamer.”

„0 nein, das tun wir nicht! Sollen sie sich nur ein wenig anstrengen und zeigen, was sie können.”

Wir fuhren also weiter, als ginge es um die Wette.

Der Urwald veränderte merkbar sein Gesicht. Immer seltener war das Ufer trocken, immer öfter bestand es meilenweit nur aus Morast. Die ganze Gegend verwandelte sich allmählich in einen Sumpf, der nur hier und dort von trockenen Werdern unterbrochen wurde. So weit das Auge reichte, erhob sich der Urwald unmittelbar aus dem Wasser, und trotzdem war er nicht weniger dicht, nicht weniger üppig. Je mehr wir uns dem Meer näherten, um so häufiger wurden die von Pedro als Mangroven bezeichneten eigenartigen Bäume. Ihre Wurzeln erhoben sich hoch über den breiigen Schlamm und vereinigten sich erst in der Luft zum Stamm, was den unheimlichen Eindruck hervorrief, als bewegten sie sich auf langen Stelzen. Wenn wir von Zeit zu Zeit, um den Weg abzukürzen, dicht am Ufer entlangfuhren, dann mochten wir glauben, die in grotesken Windungen und Verrenkungen empor-strebenden Wurzeln seien Wesen aus einer anderen Welt. Und in der Tat entstammten sie nicht der Erde, sondern waren Ausgeburten der riesigen Sümpfe. Der Mensch, der mit seinem Blick in die unergründliche Tiefe dieses Gewirrs gespenstischer und wunderlicher Erscheinungen einzudringen versuchte, schauderte unwillkürlich und blickte sich um, ob nicht plötzlich irgendwo ein gräßliches Ungetüm seine dämonischen Fühler ausstrecke. In der Nähe dieser Mangrovenwälder lebten Apias, die von den Spaniern auch Wasserkühe genannt wurden, doch gefährliche Bestien bekamen wir nicht zu Gesicht.

Abhängig von Ebbe und Flut des immer noch weit entfernt liegenden Meeres, stieg und fiel das Wasser und legte überall trügerisches Bruchmoor frei, in dem der Mensch, der sein Boot verlassen wollte, sofort bis an die Brust versinken würde. In dem klebrigen Schlamm wäre er ohne fremde Hilfe dem sicheren Tod preisgegeben. Sollten die Akawois ans Ufer flüchten, so würden sie nicht weit kommen.

Zwei Stunden lang legten wir etliche Meilen zurück, dann begann die schnelle Strömung nachzulassen. Während der ganzen Zeit fuhren die Warraulen hartnäckig hinter uns her und waren uns bis auf etwa eine Dreiviertelmeile nahe gekommen. Wir waren neugierig, was sie veranlaßte, uns so bald wie möglich einzuholen, trotzdem aber mäßigten wir keinen Augenblick unser Tempo.

Jede halbe Stunde lösten wir uns am Steuer ab, und als Pedro an der Reihe war, hielt er mit der einen Hand das Ruder, mit der andern breitete er die Karte, die er immer bei sich hatte, vor sich aus. Soweit ihm die Steuerführung dazu Zeit ließ, vertiefte er sich in sie. Schließlich rief er mir zu, daß er mir etwas auf der Karte zeigen möchte.

„Ist es etwas Ernstes?” Ich wollte meinen Ruderplatz nicht gern verlassen.

„Ich glaube, daß es einen Blick wert ist, Jan”, antwortete er mit der bei ihm üblichen gedämpften Stimme.

„Vielleicht später, bei der Rast?”

„0 nein!” widersetzte sich Pedro liebenswürdig, aber lebhaft. „Das mußt du dir ansehen!”

Ich legte das Ruder beiseite und setzte mich stirnrunzelnd zu ihm, etwas mürrisch, weil er mich zwang, meine Ruderarbeit zu unterbrechen.

„Zwei, drei Meilen von hier”, begann er zu erklären und deutete auf die Karte, „wendet sich der Hauptarm des Flusses, auf dem wir fahren, scharf nach Norden. Später beschreibt er einen Bogen und fließt dann in südlicher Richtung, um nach einer bestimmten Zeit wieder seinen östlichen Lauf fortzusetzen. An dieser Stelle aber liegt Kaiiwa. Stell dir vor, Jan, wenn wir den Bogen vermeiden und diesem Arm folgen könnten, der genau die Sehne des Bogens bildet, um wieviel würden wir den Weg abkürzen, was meinst du?”

Die Entdeckung Pedros, dieses Prachtjungen, war in der Tat wichtig. Ein ausgezeichneter Gedanke! Existierte aber dieser Seitenarm, der den Bogen durchschnitt, auch wirklich?

„Ich habe meine Karte mit der des Herrn Powell verglichen”, versicherte Pedro.

Es erhoben sich noch andere Zweifel. Die Gegend war von einer Unzahl größerer und kleinerer Wasserläufe durchzogen, es gab mannigfaltige Gräben und Rinnen, so daß man sich in diesem Gewirr von Wasserwegen leicht verirren konnte, besonders während der Nacht! Die vor uns fahrenden Akawois waren fremd hier und würden auf keinen Fall den Hauptarm des Flusses verlassen, der auch für uns der sicherste Weg war.