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"Ich bin Antons Freundin", sagte Pünktchen. "Er hat mir erzählt, Sie wollten, wenn das so weiterginge, seiner Mutter einen Brief schreiben."

"Stimmt. Heute hat er sogar während der Geographiestunde ein Oktavheft aus der Tasche gezogen und darin gerechnet. Der Brief an seine Mutter geht heute noch ab."

Pünktchen hätte gern einmal probiert, ob man sich in der Glatze von Herrn Bremser spiegeln konnte, aber sie hatte jetzt keine Zeit. "Nun hören Sie mal gut zu", sagte sie. "Antons Mutter ist sehr krank. Sie war im Krankenhaus, dort hat man ihr eine Pflanze herausgeschnitten, nein, ein Gewächs, und nun liegt sie seit Wochen zu Haus im Bett und kann nicht arbeiten."

"Das wußte ich nicht", sagte Herr Bremser.

"Nun liegt sie also im Bett und kann nicht kochen. Aber jemand muß doch kochen! Und wissen Sie, wer kocht? Anton kocht. Ich kann Ihnen sagen, Salzkartoffeln, Rührei und solche Sachen, einfach großartig!"

"Das wußte ich nicht", antwortete Herr Bremser.

"Sie kann auch seit Wochen kein Geld verdienen. Aber jemand muß doch Geld verdienen. Und wissen Sie, wer das Geld verdient? Anton verdient das Geld. Das wußten Sie nicht, natürlich." Pünktchen wurde ärgerlich. "Was wissen Sie denn eigentlich?"

Die anderen Lehrer lachten. Herr Bremser wurde rot, über die ganze Glatze weg.

"Und wie verdient er denn das Geld?" fragte er.

"Das verrate ich nicht" meinte Pünktchen. "Ich kann Ihnen nur soviel sagen, daß sich der arme Junge Tag und Nacht abrackert. Er hat seine Mutter gern, und da schuftet er und kocht und verdient Geld und bezahlt das Essen und bezahlt die Miete, und wenn er sich die Haare schneiden läßt, bezahlt er's ratenweise. Und es wundert mich überhaupt, daß er nicht während Ihres ganzen Unterrichts schläft." Herr Bremser stand still. Die anderen Lehrer lauschten. Pünktchen war in voller Fahrt. "Und da setzen Sie sich hin und schreiben seiner Mutter einen Brief, daß er faul wäre, der Junge! Da hört sich doch verschiedenes auf. Die arme Frau wird gleich wieder krank vor Schreck, wenn Sie den Brief schicken. Vielleicht kriegt sie Ihretwegen noch ein paar Gewächse und muß wieder ins Krankenhaus! Dana wird der Junge aber auch krank, das versprech ich Ihnen! Lange hält er dieses Leben cicht mehr aus."

Herr Bremser sagte: "Schimpf nur nicht so sehr. Warum hat er mir denn das nicht erzählt?"

"Da haben Sie recht", meinte Pünktchen. "Ich habe ihn ja auch gefragt, und wissen Sie, was er gesagt hat?"

"Na?" fragte der Lehrer. Und seine Kollegen waren wieder von den Stühlen aufgestanden und bildeten um das kleine Mädchen einen Halbkreis.

"Lieber beiß ich mir die Zunge ab, hat er gesagt", berichtete Pünktchen. "Wahrscheinlich ist er sehr stolz."

Herr Bremser stieg von seinem Fensterbrett herunter. "Also gut", sagte er, "ich werde den Brief nicht schreiben."

"Das ist recht", sagte Pünktchen. "Sie sind ein netter Mensch. Ich dachte mir's gleich und vielen Dank."

Der Lehrer brachte sie zur Tür. "Ich danke dir auch, mein Kind."

"Und noch eins", sagte Pünktchen. "Ehe ich's vergesse. Erzählen Sie dem Anton ja nicht, daß ich Sie besucht habe."

"Keine Silbe", meinte Herr Bremser und streichelte ihr die Hand. Da klingelte es. Der Unterricht begann wieder. Pünktchen sauste die Treppe hinunter, stieg zu Herrn Hollack ins Auto und fuhr nach Hause. Während der ganzen Fahrt wippte sie auf dem Sitzpolster und sang vor sich hin.

Die achte Nachdenkerei handelt:

Von der Freundschaft

Ob ihr mir's nun glaubt oder nicht: ich beneide Pünktchen. Nicht oft hat man eine solche Celegenheit wie sie hier, dem Freund nützlich zu sein. Und wie selten kann man seinen Freundschaftsdienst so heimlich tun! Herr Bremser wird keinen Brief an Antons Mutter schreiben. Er wird den Jungen nicht mehr herunterputzen. Anton wird erst staunen, dann wird er sich freuen, und Pünktchen wird sich heimlich die Hände reiben. Sie weiß ja, wie es dazu kam. Ohne sie wäre es schiefgegangen.

Aber Anton erfährt es nicht. Pünktchen braucht keinen Dank. Die Tat selber ist der Lohn. Alles andere würde die Freude eher verkleinern als vergrößern.

Ich wünsche jedem von euch einen guten Freund. Und ich wünsche jedem von euch die Gelegenheit zu Freundschaftsdiensten, die er jenem ohne sein Wissen erweist. Haltet euch dazu, zu erfahren, wie glücklich es macht, glücklich zu machen!

Neuntes Kapitel

Frau Gast erlebt eine Enttäuschung

Als Anton im Schulranzen den Wohnungsschlüssel suchte, um aufzuschließen, öffnete sich die Tür ganz von selber, und seine Mutter stand vor ihm. "Mahlzeit, mein Junge", sagte sie und lächelte. "Mahlzeit", antwortete er perplex. Dann riskierte er einen Freudensprung, umarmte sie und sagte: "Ich bin so froh, daß du wieder gesund bist." Sie gingen ins Wohnzimmer, Anton setzte sich aufs Sofa und bestaunte jeden Schritts den die Mutter machte. "Es strengt noch ein bißchen an", erklärte sie und setzte sich müde neben ihn. "Wie war’s in der Schule?"

"Naumanns Richard hat in Erdkunde gesagt, in Indien wohnten die Indianer. Herrschaften, ist das ein blödes Kind. Und der Schmitz hat den Pramann gezwickt, und da ist der Pramann raus aus der Bank, und Herr Bremser hat gefragt, was es gibt. Und der Pramann hat gemeint, er müsse einen Floh haben, vielleicht sogar zwei. Und da ist der Schmitz aufgesprungen und hat gerufen, neben Jungens, die Flöhe hätten, dürfe er nicht sitzen. Seine Eltern erlaubten das nicht. Wir haben uns schiefgelacht." Anton lachte, wie ein Wiederkäuer, gleich noch mal. Dann fragte er: "Magst du heute keinen Spaß?"

"Erzähl nur ruhig weiter", sagte sie.

Er legte den Kopf auf die Sofalehne und streckte die Beine aus. "Herr Bremser war in der letzten Stunde sehr freundlich zu mir, und ich soll ihn mal besuchen, wenn ich Zeit habe." Plötzlich zuckte er zusammen: "Ich Dussel!" rief er. "Ich muß doch kochen!" Die Mutter hielt ihn zurück und zeigte auf den Tisch. Da standen schon Teller und eine große dampfende Schüssel. "Linsen mit Würstchen?" fragte er. Sie nickte, dann setzten sie sich und aßen. Anton langte tüchtig zu. Als er den Teller kahlgegessen hatte, gab ihm die Mutter mehr. Er nickte ihr begeistert zu. Dabei sah er, daß ihre Portion noch unberührt war. Nun schmeckte es ihm auch nicht mehr. Er stocherte traurig in der Linsensuppe und fischte Wurststückchen. Die Schweigsamkeit senkte sich wie ein drohender Nebel aufs Zimmer. Schließlich hielt er das nicht mehr aus. "Muttchen, habe ich nicht gefolgt? Manchmal weiß man das selber nicht... Oder ist es wegen des Geldes? Die Würstchen waren eigentlich gar nicht nötig." Er legte seine Hand zärtlich auf ihre.

Doch die Mutter trug rasch das Geschirr in die Küche. Dann kam sie zurück und sagte: "Fang immer mit Schularbeiten an. Ich komme gleich wieder." Er saß auf seinem Stuhl und schüttelte den Kopf. Was hatte er denn angestellt. Draußen schlug die Korridortür. Er öffnete das Fenster, setzte sich aufs Fensterbrett und beugte sich weit hinaus. Es dauerte ziemlich lange, bis die Mutter unten aus dem Haus trat. Sie machte kleine Schritte. Das Laufen strengte sie an. Sie ging die Artilleriestraße hinunter, dann bog sie um die Ecke.

Er setzte sich trübselig an den Tisch, holte den Ranzen und die Tinte und begann am Federhalter zu kauen.

Endlich kam die Mutter wieder. Sie hatte ehien kleinen Blumenstrauß besorgt, holte Wasser, stellte die Blumen in die blaugetupfte Vase, zupfte an den Blättern, schloß das Fenster, blieb davor siehen, wandte Anton den Rücken und schwieg,

"Schöne Blumen", sagte er, hielt die Hände gefaltet und konnte kaum atmen. "Himmelsschlüssel, wie?"

Die Mutter stand im Zimmer, als sei sie fremd. Sie sah zum Fenster hinaus und zuckte mit den Schultern. Am liebsten wäre er zu ihr hingelaufen. Aber er stand nur halb vom Stuhl auf und bat: "Sag doch ein Wort!" Seine Stimme klang heiser, und wahrscheinlich hatte sie ihn gar nicht gehört.