"Was kann er eigentlich nicht?" fragte Herr Pogge.
"Anton? Anton kann alles", sagte sie stolz. Und weil Anton alles konnte, fuhren sie nun doch noch nach Charlottenhof und aßen Windbeutel. Sogar Herr Pogge aß einen Windbeutel, obwohl ihm der Arzt gerade Windbeutel streng verboten hatte. Dann spielten sie zu dritt Versteck, damit Pünktchens Vater magerer wurde. Denn er bekam einen Bauch. Anton wollte nachher nach Hause, aber der Direktor meinte, er würde Antons Mutter schon benachrichtigen.
"Hat Herr Bremser wieder mal geschimpft?" fragte Pünktchen.
"Nein", sagte Anton. "Er ist neuerdings sehr nett zu mir, und ich soll ihn mal zum Kaffee besuchen."
"Na siehst du", meinte Pünktchen ganz ruhig. Unterm Tisch kniff sie sich aber vor lauter Zufriedenheit in die Waden.
Zum Mittagessen kamen sie denn auch richtig zu spät. Frau Pogge war tief gekränkt. Aber die anderen drei waren so vergnügt, daß sie es gar nicht bemerkten. Da kränkte sich Frau Pogge noch mehr, und sie konnte überhaupt nichts essen, sonst wäre sie zerplatzt.
"Wo mag jetzt Fräulein Andacht stecken?" fragte Anton, denn er hatte ein gutes Herz. Frau Pogge hatte für solche Fragen kein Verständnis. Sie murmelte nur: "Wo kriegen wir jetzt ein zuverlässiges Kinderfräulein her?"
Herr Pogge hatte eine kleine Erleuchtung. Er nahm Pünktchen beiseite, flüsterte mit ihr und sagte dann: "Ich komme gleich wieder." Dann war er verschwunden.
Die anderen aßen, ohne viel zu sprechen, zu Ende.
Hinterher liefen die beiden Kinder in Pünktchens Zimmer, wo Piefke sie bereits sehnlichst erwartete.
Anton mußte sich auf einen Stuhl setzen. Die anderen spielten ihm das Märchen von Rotkäppchen vor. Piefke konnte seine Rolle schon sehr gut. Aber auch dismal wollte er Pünktchen nicht fressen "Vielleicht lernt er es, wenh er ein paar Jahre älter geworden ist", sagte das Mädchen. Anton meinte, die Aufführung sei trotzdem ausgezeichnet gewesen. Er klatschte wie im Theater. Pünktchen verbeugte sich zehnmal und warf Kußhände, und Piefke bellte, bis er ein Stück Zucker bekam.
"Und was spielen wir jetzt?" fragte Pünktchen. "Ich könnte ja heute maclass="underline" Der bucklige Schneider und sein Sohn, sein. Oder spielen wir Mutter und Kind, und Piefke ist das Baby? Nein, wir spielen Einbrecher! Du bist Robert der Teufel, ich bin die dicke Berta, und wenn du durch die Tür kommst, haue ich dir mit der Keule über den Kopf."
"Und wer spielt die drei Polizisten?" fragte er.
"Ich bin Berta und die drei Polizisten", erklärte sie.
"Du kannst doch nicht mit dir selber tanzen", wandte Anton ein. Das war also wieder nichts. "Ich weiß etwas", sagte er: "Wir spielen die Entdeckung Amerikas. Ich bin Kolumbus."
"Gut", rief Pünktchen. "Ich bin Amerika, und Piefke ist das Ei."
"Was ist er?"
"Das Ei", meinte sie. "Das Ei des Kolumbus." Das kannte er nicht, es war in der Schule noch nicht drangewesen.
"Jetzt hab ich's!" rief er. "Wir spielen: Im Faltboot über den Ozean."Sie räumten den Tisch ab und stürzten ihn um, daß die Beine nach oben ragten. Das war das Boot. Und während Anton aus der Tischdecke ein Segel machte, ging Pünktchen in die Speisekammer und holte Schiffsvorräte: einen Topf mit Marmelade, die Butterdose, mehrere Messer und Gabeln, zwei Pfund Kartoffeln, eine Schüssel Birnenkompott und eine halbe Schlackwurst. "Schlackwurst ist gut", sagte sie. "Schlackwurst hält sich monatelang." Sie packten die Vorräte ins Boot, und dann war gerade noch Platz für die Kinder und den Hund. Neben dem Tisch stand eine Waschschüssel mit Wasser. Darin planschte Pünktchen, während sie über den Ozean fuhren, und sagte: "Das Meer ist furchtbar kalt." Anton stieg mitten auf dem Ozean aus, holte Salz und streute es in die Waschschüssel. "Meerwasser muß salzig sein", behauptete er.
Dann kam eine Windstille. Die dauerte drei Wochen. Anton ruderte zwar mit Spazierstöcken, aber man kam kaum vom Fleck. Pünktchen und er und Piefke aßen die Schlackwurst auf, und Pünktchen jammerte: "Kapitän, die Vorräte gehen zu Ende."
"Wir müssen aushalten!" rief Anton. "Dort drüben liegt Rio de Janeiro", und er zeigte aufs Bett.
"Gott sei Dank", sagte Pünktchen. "Sonst wäre ich glatt verhungert." Dabei war sie vom Mittagessen und von der Schlackwurst so satt, daß ihr ganz schlecht war.
"Und jetzt kommt ein scheußlicher Sturm", sagte Anton, stieg aus und wackelte an dem Tisch. "Hilfe!" schrie Pünktchen verzweifelt. "Wir gehen unter!" Dann warfen sie die zwei Pfund Kartoffeln über Bord, um das Boot zu erleichtern. Aber Anton und der Sturm ließen nicht nach. Pünktchen hielt sich den Bauch und erklärte: "Ich werde seekrank." Und Piefke fiel, weil haushohe Wellen kamen, in die Schüssel mit dem Birnenkompott, daß es nur so spritzte. Anton war der Wind und heulte.
Endlich ließ das Unwetter nach, der Junge schob den Tisch ans Bett, und in Rio de Janeiro stiegen sie an Land. Die dortige Bevölkerung begrüßte die Ozeanfahrer aufs herzlichste. Sie wurden zu dritt fotografiert. Piefke hatte sich zusammengerollt und leckte begeistert sein klebriges Fell. Es schmeckte nach Birnentunke.
"Vielen Dank für den freundlichen Empfang", sagte Pünktchen. "Es war eine Zeit voller Entbehrungen, aber wir werden gern daran zurückdenken. Mein Kleid ist leider hin, und heimwärts fahre ich mit der Eisenbahn. Sicher ist sicher."
"Ich bin Antonio Gastiglione, der Oberbürgermetster von Rio de Janeiro", brummte der Junge. "Ich heiße Sie und mich bei uns herzlich willkommen und ernenne Sie und Ihren Hund zum Weltmeister im Ozeanfahren."
"Vielen Dank, mein Herr", sagte Pünktchen. "Wir werden Ihren Pokal stets hochhalten." Damit nahm sie die Butterbüchse aus dem Boot und meinte mit Kennermiene "Echt Silber, mindestens zehntausend Karat."
Dann ging die Tür auf, und Antons Mutter kam herein. Da war die Freude groß. "Herr Pogge hat mich mit dem Auto abgeholt", erzählte sie. "Aber wie sieht es denn hier aus?"
"Wir haben soeben den Ozean überquert", teilte Pünktchen mit, und dann räumten sie das Zimmer auf. Piefke wollte sich aus freien Stücken noch einmal in das Birnenkompott setzen, aber Antons Mutter schlug es ihm rundweg ab.
Währenddem hatte Herr Pogge ein ernsthaftes Gespräch mit seiner Frau. "Ich will, daß Pünktchen ein anständiger Kerl wird", sagte er. "Ein Fräulein Andacht kommt mir nicht zum zweitenmal ins Haus. Mein Kind soll keine hochnäsige Gans werden. Sie soll den Ernst des Lebens kennenlernen. Pünktchen hat sich ihre Freunde gewählt, ich billige diese Wahl. Wenn du dich mehr um das Kind kümmertest, wäre das etwas anderes. Aber so bleibt es bei meinem Entschluß. Kein Wort der Widerrede! Ich habe lange genug zu allem ja und amen gesagt. Das wird nun anders."
Frau Pogge hatte Tränen in den Augen. "Also schön, Fritz! Wenn du's durchaus willst", meinte sie und fuhr sich mit dem Taschentuch übers Gesicht. "Mir ist es recht, aber du darfst nicht mehr böse sein." Er gab ihr einen Kuß. Dann holte er Antons Mutter ins Zimmer und fragte, wie sie über seinen Plan dächte. Frau Gast war gerührt und sagte, wenn es seiner Frau recht wäre, sie schlüge mit Freuden ein. Sie war sehr glücklich.
"Nun paßt mal auf, Kinder!" rief er. "Achtung! Achtung! Antons Mutter zieht noch heute in Fräulein Andachts Zimmer. Für den Jungen richten wir die Stube mit der grünen Tapete her, und von nun an bleiben wir alle zusammen. Einverstanden?"
Anton brachte kein Wort heraus. Er schüttelte Herrn Pogge und dessen Frau die Hand. Dann drückte er seine Mutter an sich und flüsterte: "Nun haben wir keine so großen Sorgen mehr, wie?"
"Nein, mein guter Junge", sagte sie.
Dann setzte sich Anton wieder neben Pünktchen, und sie zog ihn vor lauter Freude an den Ohren. Piefke hoppelte gemütlich durchs Zimmer. Es sah aus, als ob er in sich hineinlächelte.
"Na, meine Tochter, ist es so recht?" fragte der Vater und strich Pünktchen übers Haar. "Und in den großen Ferien fahren wir mit Frau Gast und mit Anton an die Ostsee."