Margrave stand hinter der Steuerkonsole. Er hatte die Dynamos nach und nach auf volle Leistung beschleunigt, und die Konsole leuchtete und blinkte wie ein Flipperautomat.
»Die Aurora zeigt an, dass wir den kritischen Punkt erreicht haben«, erklärte er. »Die elektromagnetischen Wellen sind in den Meeresboden eingedrungen. Sie verändern den elektromagnetischen Fluss und verschieben den Pol. Achten Sie auf den Kompass und den entscheidenden Sprung.«
Gant warf einen Blick auf die Kompassscheibe, dann blickte er durch eins der Panoramafenster.
»Irgendetwas ist da draußen auf See im Gange.«
Die aufgewühlte Oberfläche des Ozeans hatte sich um das Schiff herum plötzlich geglättet.
»Wir befinden uns im Epizentrum des Polsprungs«, erklärte Margrave. »Ein Ring von riesigen Wellen wird sich nach außen ausbreiten. Am Rand dieser Zone dürften einige Wirbel und Strudel entstehen.«
»Gut, dass wir nicht im Weg liegen«, sagte Gant.
»Es wäre nicht allzu günstig, wenn es anders wäre. Die Störungen lassen sich nicht voraussagen und treten völlig zufällig auf. Aus diesem Grund ist unser Transmitter-Schiff damals gesunken. Es ist so etwas wie die Ruhe im Auge eines Hurrikans. Bis auf einen etwas heftigeren Seegang sind wir hier in Sicherheit.«
Gant blickte hinaus auf die ansteigende See. Er hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie so mächtig gefühlt.
Austins Gedanken liefen in eine ganz andere Richtung als Gants. Er war wie ein Arzt, der versucht, einen klinisch toten Patienten wieder ins Leben zurückzuholen, nur lagen in seinem Fall Millionen von Leben auf dem Behandlungstisch. Er blickte aus dem Fenster, während die 747 sich zu einem weiteren Anflug abermals in die Kurve legte, und konnte nicht feststellen, ob die Gegenmaßnahme wirkte oder nicht.
Dann entdeckte er eine kreisrunde Zone in unmittelbarer Umgebung des Schiffs, wo die Wasseroberfläche stumpf wurde, als ob sie durch den Luftdruck von Helikopterrotoren geglättet wurde. Er konnte Verwerfungen auf der Oberfläche erkennen, ähnlich den Furchen, wie sie von starken Unterströmungen erzeugt werden. Einen Moment später begannen die Wassermassen, sich im Kreis zu bewegen, wobei das Schiff genau im Mittelpunkt lag. Innerhalb von Sekunden hatte die Zone einen Durchmesser von gut zwei Kilometern, begrenzt von einem schaumgekrönten Ring. Während die Strömungsgeschwindigkeit kontinuierlich zunahm, senkte die See in der Mitte sich ab.
Austin wurde Zeuge, wie ein riesiger Strudel entstand.
Die Polar Adventure hob sich nur etwa zwei Meter über die See ringsum, ehe sie wieder zurücksank.
Gant bemerkte, dass im Ozean rund um das Schiff eine Vertiefung zu entstehen schien. »Ist das ein weiterer Nebeneffekt?«, fragte er.
»Nein«, antwortete Margrave. Seine Verwirrung verwandelte sich in Sorge, als die Oberfläche immer schüsselförmiger wurde. Weiße Schaumwälle deuteten auf das Zusammentreffen starker Strömungen hin. Er griff nach dem Mikrofon, das ihn mit der Kommandobrücke verband. »Volle Kraft voraus. Wir versinken in einem Strudel.«
Margrave schaltete die Dynamos aus.
»Was tun Sie?«, fragte Gant.
»Irgendetwas stimmt nicht. Eigentlich sollte es keine solche Reaktion geben.«
Die Ozeansenke vertiefte sich, und Kreisströmungen waren entstanden, aber das Schiff hatte sich mittlerweile in Bewegung gesetzt und steuerte auf den Rand des Wirbels zu. Sein Bug stieg leicht hoch, und es musste gegen die Strömungen ankämpfen, die es seitlich abdrängen wollten, doch das Schiff blieb einigermaßen auf Kurs.
Gleichzeitig dehnte sich jedoch der Mahlstrom aus. Margrave brüllte ins Mikrofon, die Maschinen mit höchster Leistung laufen zu lassen, doch das Schiff schien dazu bestimmt, das Wettrennen zu verlieren, da es sich nicht wesentlich vom Mittelpunkt des Wirbels entfernte.
Dann veränderte das Verhalten des Wassers sich abermals. Die Strömung wurde schwächer, und der Boden der Schüssel stieg auf normales Meeresniveau. Und buckelte sich erneut auf.
»Was ist passiert?«, erkundigte Gant sich.
»Eine harmlose Unregelmäßigkeit«, antwortete Margrave. Er wischte sich den Angstschweiß von der Stirn und lächelte, während er die Dynamos wieder anlaufen ließ.
Während das Schiff höher stieg, begann das Wasser in seiner Umgebung, heftig zu brodeln. Der Ozeandampfer erreichte eine Höhe von sieben Metern, dann zehn.
»Sorgen Sie gefälligst dafür, dass das aufhört«, verlangte Gant.
Margrave schaltete abermals die Dynamos ab, aber das Schiff stieg weiter.
Zwanzig Meter.
»Sie Idiot! Was haben Sie getan?«
»Die Computermodelle –«
»Scheiß auf Ihre Computermodelle!«
Margrave verließ seinen Platz an der Steuerkonsole und eilte zu einem der großen Fenster, die die Aussichtsplattform umschlossen. Voller Grauen starrte er hinaus aufs Meer.
Das Schiff befand sich auf der Spitze einer mächtigen, rasend schnell wachsenden Wassersäule.
Austin hatte das Wachstum des Strudels verfolgt, bis er einen Durchmesser von etwa zwanzig Kilometern hatte. Nun beobachtete er fasziniert, wie der Wirbel sich glättete, sich in ein schäumendes Wasserinferno verwandelte und schließlich zu einem Wasserzyklon aufwölbte.
Der Hügel, der im Mittelpunkt des Wirbels entstand, wuchs an Höhe und Breite, während er sich drehte wie ein tanzender Derwisch.
Das Flugzeug näherte sich zu einem weiteren Überflug. Austin eilte ins Cockpit.
»Bringen Sie uns so schnell wie möglich in die Höhe. Und dann weg von diesem Ort.«
Der Pilot ging mit der 747 in einen steilen Steigflug.
Die Wassersäule erinnerte Austin an Fotos von Atombombentests im Pazifik.
Eine mit panischer Angst erfüllte Stimme drang krächzend aus dem Lautsprecher des Funkgeräts. »Mayday! Mayday! Melden Sie sich! Mayday!«
Austin lieh sich das Funkmikrofon. »Mayday empfangen.«
»Hier ist Gant auf der Polar Adventure.«Er musste brüllen, um bei dem Getöse im Hintergrund gehört zu werden.
»Sieht so aus, als hätten Sie eine grandiose Achterbahnfahrt vor sich«, sagte Austin.
»Wer ist da? Wer sind Sie?«
»Kurt Austin. Wir befinden uns ein paar tausend Fuß über Ihnen. Schauen Sie schnell hoch, denn lange sind wir nicht mehr hier. Übrigens schöne Grüße von Dr. Kovacs.«
Nach einer kurzen Pause war Gants Stimme wieder zu hören. »Was, zum Teufel, geht hier vor, Austin?«
»Wir haben Ihnen eine Dosis des Mittels gegen Polsprünge verpasst. Ich würde sagen, dass Sie und Ihr Partner erledigt sind.«
Gants Entgegnung war nicht zu verstehen und ging in einem ohrenbetäubenden Dröhnen unter.
Austin blickte aus dem Cockpitfenster. Das Schiff saß auf der Spitze der Wassersäule, wo es sich wie ein Kreisel drehte. Austin konnte sich die grauenhafte Szene an Bord nur vage ausmalen. Aber er hatte kein Mitleid mit Margrave und Gant, die nun die Früchte ihrer eigenen teuflischen Saat der Vernichtung ernteten.
Während das Flugzeug seinen Kurs änderte und sich von seinem Ziel wie ein riesiger durch die Ozeane wandernder Wal entfernte, geriet es in Turbulenzen, die von den künstlich manipulierten Naturkräften entfesselt worden waren, aber sie waren harmlos im Vergleich mit den Windattacken bei ihrem ersten Anflug. Das Flugzeug stieg ohne einen Zwischenfall bis auf fünfundzwanzigtausend Fuß, wo es wieder auf Geradausflug ging.
Karla presste ihr Gesicht gegen das Fenster, obgleich es außer der normalen Wolkendecke nichts zu sehen gab. Sie wandte sich zu Austin um. Ein benommener Ausdruck lag in ihren Augen.
»Was ist da unten passiert?«, fragte sie.
»Ihr Großvater hatte mit seinen Berechnungen absolut Recht gehabt.«
»Aber was war dieses Ding, diese Wasserfontäne?«
Austin konnte nicht genau sagen, was geschehen war, aber er vermutete, dass das Zusammenwirken elektromagnetischer Impulse vom Schiff und vom Flugzeug unvorstellbare Kräfte freigesetzt hatte.