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»Nomad an MACC. Straßenmusiker versammeln sich soeben zu einem ungenehmigten Marsch vom Union Square zum Madison Square Garden.«

Barnes ließ den Blick über die Bürgersteige auf beiden Straßenseiten wandern. »Ich sehe niemanden marschieren.«

»Im Augenblick gehen sie zu zwei und zwei. Das ist nicht illegal. Sie kommen in einer Minute zusammen — nein, Moment, da gehen sie schon.«

Die Musiker vereinigten sich zu größeren Gruppen, verließen den Bürgersteig und bildeten auf der Fahrbahn eine Prozession. Aber ehe die Parade begann, tauchten von beiden Seiten Polizisten auf Fahrrädern und Motorrollern auf und nahmen erste Verhaftungen vor.

Barnes schrieb wie wild auf seinem Notizblock.

»Ich bin tief beeindruckt«, sagte er. »Das funktionierte wie ein Uhrwerk.«

»Das sollte es auch. Das kleine Manöver war das Ergebnis jahrelanger Erfahrung. Wir haben es zwar nur mit einer kurzfristig anberaumten Zwischen-Wirtschaftskonferenz zu tun, aber auch jetzt gibt es Hunderte von Gästen und Demonstranten, daher ist durchaus mit einigem Ärger zu rechnen. Die Verrückten versuchen stets, uns mindestens einen Schritt voraus zu sein.«

»Wie unterscheiden Sie die echten Fanatiker von harmlosen Demonstranten?«

»Das ist ziemlich schwierig. Wir verhaften jeden, der irgendwie Verdruss macht, und klären alles andere später.« Er nahm ein summendes Mobiltelefon aus der Halterung am Armaturenbrett und reichte es Barnes. »Sehen Sie sich das mal an.«

Der Reporter las den Text auf dem Display des Mobiltelefons. »Es heißt hier, dass die Motorrollertruppe die Musiker eingekreist hat. Den Leuten wird geraten, diese Gegend zu meiden. Sie verlangen Kameras. Dazu Sanitäter und rechtskundige Beobachter. Cops sollen davon abgehalten werden, Demonstranten zu verhaften, die Passanten im Theater-Distrikt belästigen. Woher kommt diese Nachricht?«

»Von den Verrückten. Die Cops sind nicht die Einzigen, die aus Seattle gelernt haben. Die Anarchisten verfügen über ihr eigenes Medienzentrum ähnlich dem MACC. Sie geben den Aktivisten Tipps, welche Routen sie nehmen sollen, um den Cops zu entgehen. Während wir die eine Aktion abbrechen, starten sie woanders eine neue.« Er lachte. »Wir geben alljährlich viele Millionen für Sicherheitsmaßnahmen aus, während sie eine Technologie benutzen, die praktisch kostenlos ist.«

»Wissen sie denn nicht, dass Sie ihre Nachrichten lesen können?«

»Doch, das wissen sie. Aber die Demonstrationen sind spontaner, daher spielen wir ständig Katz und Maus miteinander. Intel lautet der wahre Name des Spiels. Sie sind schnell, aber letztendlich zählt die Menge. Wir haben siebenunddreißigtausend Cops, einen Zeppelin, Hubschrauber, Videokameras, und zweihundert unserer Leute haben Helm-Videokameras, die an unser Sicherheitszentrum angeschlossen sind.«

»Können sie nicht die Polizeiscanner überwachen?«

»Wir wissen, dass sie das tun. Schnelle Reaktion ist der Schlüssel. Sie wissen, was man beim Boxen sagt: Ein guter großer Mann kann einen guten kleinen Mann jederzeit schlagen. Unter normalen Umständen bleiben wir gewöhnlich Sieger.«

Barnes gab Malloy das Telefon zurück. »Das scheint für Sie zu sein.«

Auf dem Display war mittlerweile ein anderer Text zu lesen.

GUTEN MORGEN, NOMAD. ODER SOLLEN WIR SIE FRANK NENNEN, MR. MALLOY?

»Häh?«, sagte Malloy. Er starrte das Telefon in seiner Hand an, als hätte es sich plötzlich in eine Schlange verwandelt.

»Wie zum Teufel machen sie das?«, fragte er und wandte sich an Barnes. Der Reporter zuckte die Achseln und machte sich weitere Notizen. Malloy versuchte, die Nachricht vom Display zu löschen, als eine neue Nachricht erschien.

DAS SPIEL BEGINNT.

Der Bildschirm leerte sich. Malloy schnappte sich das Sprechfunkgerät und versuchte, das MACC zu erreichen, doch sein Ruf blieb unbeantwortet. Das Mobiltelefon piepte abermals. Malloy lauschte einige Sekunden lang und sagte: »Ich kümmere mich sofort darum.« Er wandte sich zu Barnes um, das Gesicht totenbleich. »Das war das MACC. Sie melden, dass in der Zentrale die Klimaanlage zusammengebrochen ist. Das gesamte Kommunikationssystem spielt verrückt. Niemand weiß, wo sich die verschiedenen Trupps zur Zeit befinden. Sämtliche Verkehrsampeln in der Stadt sind auf Rot geschaltet.«

Sie näherten sich dem Times Square. Zu Hunderten strömten Demonstranten, offensichtlich von der Polizei unbehelligt, aus den Nebenstraßen auf den Platz. Dort herrschte so viel Gedränge wie am Silvesterabend.

Malloys Streifenwagen schob sich langsam durch die Menschenmenge, die um ihn herum wogte. Während sie sich dem alten New York Times Building näherten, verschwand die Disney-Figur auf dem riesigen Videoschirm, und er wurde schwarz.

»Hey, sehen Sie mal«, sagte Barnes und deutete auf den Bildschirm.

Große weiße Lettern erschienen und liefen über das ABC-Nachrichtensymbol.

SEID GEGRÜSST, NEO-ANARCHISTEN, MITREISENDE UND TOURISTEN. WIR HABEN DIE UNTERDRÜCKUNGSKOMMANDOS DER MACHTELITE LAHMGELEGT. DIES IST NUR EIN KLEINER VORGESCHMACK AUF DIE ZUKUNFT. HEUTE IST ES NEW YORK. ALS NÄCHSTES LEGEN WIR DIE GANZE WELT LAHM. BERUFT EINE GIPFELKONFERENZ ZUR ABSCHAFFUNG DER GLOBALISIERUNG EIN, ODER WIR ZERSCHLAGEN SIE FÜR EUCH.

WIR WÜNSCHEN EUCH EINEN SCHÖNEN TAG!

Ein grinsender gehörnter Smiley erschien zusammen mit einem einzigen Wort:

LUCIFER.

»Wer zur Hölle ist Lucifer?«, fragte Malloy, während er durch die Windschutzscheibe starrte.

»Keine Ahnung«, sagte Barnes. Er legte die Hand auf den Türgriff. »Danke fürs Mitnehmen. Ich muss eine Story schreiben und in die Redaktion geben.«

Dann verschwand das Wort, und FRANK MALLOY erschien auf jeder Schrifttafel in jeder Größe auf dem Platz. Panasonic. LG. NASDAQ.

Malloy fluchte und kämpfte sich aus dem Wagen. Er suchte das Menschengewimmel ab. Barnes war von den Tausenden von Demonstranten verschluckt worden. Er murmelte den Namen »Lucifer«, und es rieselte ihm kalt über den Rücken. Ihm fiel ein, wo er das Gesicht des Reporters schon einmal gesehen hatte. Der Spitzbart, die roten Haare und V-förmigen Augenbrauen und der Mund und die grünen Augen hatten ihn unwillkürlich an die Satan-Darstellungen denken lassen, die er verschiedentlich schon mal gesehen hatte.

Während Malloy in der Menge stand und überlegte, ob er im Begriff war, den Verstand zu verlieren, bemerkte er nicht, dass er gerade von jenen jadegrünen Augen beobachtet wurde. Barnes hatte sich in den Eingang eines Bürogebäudes zurückgezogen, von wo aus er Malloy ständig im Blick hatte. Er hielt ein Mobiltelefon ans Ohr und lachte.

»Ich wollte nur Bescheid sagen, dass Ihr Plan perfekt funktioniert hat. In der City ist alles zusammengebrochen.«

»Das ist hervorragend«, erwiderte die Stimme am anderen Ende der Leitung. »Hören Sie, wir müssen uns unterhalten. Es ist wichtig.«

»Nicht jetzt. Kommen Sie raus zum Leuchtturm, damit ich mich persönlich bei Ihnen bedanken kann.«

Er verstaute das Telefon in der Tasche und blickte hinaus auf den Times Square. Ein junger Mann hatte einen Ziegelstein ins Schaufenster des Disney-Ladens geschleudert. Andere folgten seinem Beispiel, und innerhalb weniger Minuten waren die Bürgersteige mit Glasscherben übersät. Ein Auto wurde in Brand gesetzt, und dicke schwarze Qualmwolken stiegen in den Himmel. Der beißende Gestank von brennendem Plastik und Polsterstoff breitete sich aus. Eine Musikkapelle marschierte die Straße hinunter und spielte gerade das Thema aus Die Brücke am Kwai. Über dem Lärm der blökenden Autohupen war die Musik kaum zu hören.

Barnes verfolgte die Szene mit einem seligen Grinsen auf seinem Satansgesicht.

»Chaos«, murmelte er wie ein Mönch bei seinem Gebet.

»Wundervolles Chaos.«