Sein Begleiter bemerkte nichts von dem Manöver, bis es zu spät war. Er versuchte anzuhalten. Schroeder stemmte seinen Talski in den Schnee. Er packte seinen rechten Skistock mit beiden Händen, ließ den anderen Stock mit der Schlaufe an seinem linken Handgelenk baumeln und rammte die Stahlspitze oberhalb des Rollkragens in den weichen Teil des Halses seines Gegners.
Der Mann war immer noch in Bewegung, als die Spitze ein Loch dicht unterhalb des Adamsapfels in den Hals stanzte. Der Mann gab ein feuchtes Gurgeln von sich, seine Beine rutschten unter ihm weg, und er krachte rücklings in den Schnee, wo er sich in entsetzlichen Qualen wand.
Schroeder wich dem um sich schlagenden Körper zur Seite aus wie ein Torero einem anstürmenden Stier.
Der führende Mann blickte über die Schulter. Schroeder riss seine improvisierte Lanze zurück. Er stemmte seine Skistöcke ein und stürzte sich die Piste hinunter. Er rammte seinen rechten Ellbogen gegen die Wange des Mannes und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Mit gebeugten Knien und gesenktem Kopf jagte er in Schussfahrt über die Piste, bis er sich dem Ende der Abfahrt näherte, wo die Piste eine scharfe Kurve nach rechts machte.
Der zweite Skiläufer hatte offenbar eine Maschinenpistole unter seiner Jacke versteckt, denn eine entsprechend klingende Salve zerriss die morgendliche Stille.
Die Kugeln schlugen, ohne ernsten Schaden anzurichten, in die Baumäste über seinem Kopf ein.
Schon eine Sekunde später befand Schroeder sich außerhalb der Schusslinie.
Er hielt auf eine schmale, mit zwei schwarzen Symbolen gekennzeichnete Steilabfahrt zu, die sich korkenzieherhaft am steilen Berghang in die Tiefe schlängelte. Die Skiwacht hatte gelbes Absperrband angebracht sowie ein Schild, aus dem hervorging, dass diese Piste gesperrt war.
Schroeder duckte sich und schlüpfte unter dem Absperrband hindurch. Die Piste senkte sich fast senkrecht ab. Der Schnee hatte eine bräunliche Farbe, ein Beweis, dass die Schneedecke nur sehr dünn war. Die Schneeschicht wurde immer wieder durch große Flecken nackter Erde unterbrochen. Felsen, die normalerweise vom Schnee bedeckt waren, bildeten unerwartete Hindernisse.
Schroeder hörte Maschinenpistolenfeuer hinter sich, und nur wenige Schritte entfernt wurden kleine Schlammfontänen hochgeschleudert. Der Schütze befand sich am oberen Ende der Steilabfahrt und schoss nach unten.
Schroeder fuhr Slalom zwischen nacktem Untergrund und Felsblöcken. Seine Ski gerieten auf Schneematsch und wurden fast vollständig abgebremst, aber zum Glück war noch immer genügend Schnee vorhanden, so dass sie weitergleiten konnten.
Schroeder suchte sich seinen Weg durch ein Feld kleiner Gesteinsbrocken und gelangte auf einen steilen Abschnitt, wo die Schneedecke ausreichte. Zu seiner Rechten hörte er Schüsse. Sein Verfolger benutzte eine Piste, die parallel zu der Schroeders verlief, und feuerte dabei durch den Waldstreifen, der sie voneinander trennte. Die meisten Kugeln schlugen in die Bäume ein. Der Schütze erkannte, dass er sein Ziel verfehlte, und drang in das Wäldchen ein, das sich zwischen den Pisten erstreckte.
Die Gestalt des Mannes erinnerte an ein Känguruh nach einer Steroidkur, doch er kämpfte sich in Sprüngen und Schwüngen durch den Waldstreifen. Schroeder realisierte, dass der Mann ein Stück unter ihm aus dem Wald kommen würde. Von dort aus könnte er die Piste mit tödlichen Salven beharken.
Einmal stürzte der Mann, stand dann aber gleich wieder auf seinen Skiern. Diese kurze Verzögerung würde Schroeder die nötige Zeit verschaffen, um den Schützen zu überholen, ehe er ins Freie gelangte. Trotzdem wäre er immer noch ein leichtes Ziel. Stattdessen schoss Schroeder deshalb direkt auf ihn zu, als er neben der Piste aus dem Wald herausglitt.
Der Mann sah Schroeder auf sich zurasen und versuchte mit hektischen Bewegungen, die Maschinenpistole aus seiner Jacke zu zerren.
Schroeder holte aus und zielte mit seinem Skistock auf das Gesicht des Mannes wie ein Kosake bei einer Attacke. Der Schlag traf das Gesicht im oberen Teil und zersplitterte die Skibrille. Der Mann verlor das Gleichgewicht, stand erst auf dem einen, dann auf dem anderen Ski. Die Maschinenpistole rutschte ihm aus der Hand. Wie betrunken schwankend und mit wild rudernden Armen flog er über den Rand der Piste und stürzte ungefähr zehn Meter tief in den Wald.
Er landete kopfüber in der Schneewehe um den Stamm einer hohen Tanne. Seine Skier hatten sich in den unteren Ästen des Baums verfangen. Er bemühte sich, die Bindungen zu lösen, aber sie befanden sich außer Reichweite seiner Hände. Hilflos blieb er hängen. Sein Atem ging pfeifend.
Schroeder stieg seitlich den Abhang zu ihm hinunter. Er hob die Uzi aus dem Schnee auf, wo der Mann sie fallen gelassen hatte, und hielt sie lässig in der Hand.
»Für wen arbeitest du?«, fragte Schroeder.
Der Mann schaffte es, seine zersplitterte Schneebrille nach oben zu schieben. »Acme Security«, sagte er. Das Sprechen bereitete ihm hörbar Mühe.
»Acme?« Schroeder grinste.
»Das ist eine große Firma unten in Virginia.«
»Du hast gewusst, wer ich bin, also müsstest du auch wissen, was sie von mir wollen.«
Der Mann schüttelte den Kopf.
»Was hattet ihr mit mir vor?«
»Wir sollten Sie zu den Leuten unten am Berg bringen. Dort müsste ein Wagen stehen.«
»Ihr habt mich schon seit Tagen beobachtet. Du weißt mehr, als du sagst. Dann verrate mir mal, was die Leute wirklich erzählt haben«, sagte Schroeder beinahe freundlich. »Ich verspreche dir, dass ich dich nicht töten werde. Sieh mal.« Er schleuderte die Uzi in den Wald.
Ein misstrauischer Ausdruck trat in die Augen des Mannes, aber er beschloss, es darauf ankommen zu lassen. »Es ging um das Bild eines Mädchens, das wir in Ihrem Haus gefunden haben. Sie glauben, dass Sie wissen, wo es sich aufhält.«
»Was wollen sie von ihr?«
»Das weiß ich nicht.«
Schroeder nickte. »Eins noch. Wer hat Schatsky getötet?«
»Wen?« Der Mann sah Schroeder an, als sei er verrückt.
»Meinen kleinen Dackel. Den bellenden Hund.«
»Den hat mein Partner erledigt.«
»Aber du hast ihn nicht daran gehindert.«
»Ich mag Hunde.«
»Das glaube ich dir sogar.« Schroeder machte sich in kurzen Schwüngen an den Abstieg.
»Sie können mich nicht hier zurücklassen«, rief der Mann mit Panik in der Stimme.
Schroeder blieb stehen. »Ich habe nur gesagt, dass ich dich nicht töten würde. Ich habe nicht davon gesprochen, dir zu helfen. Keine Sorge, sie werden dich finden, wenn der Schnee geschmolzen ist.«
Die Temperatur würde in der Nacht bis unter null sinken. Die lebenswichtigen Organe des menschlichen Körpers waren nicht darauf eingestellt, auf dem Kopf stehend zu funktionieren, und der Mann würde wahrscheinlich ersticken.
Schroeder fuhr zum Fuß des Berges hinab und suchte sich eine Stelle, von wo aus er einen ungehinderten Blick auf den Parkplatz hatte. Er entdeckte einen schwarzen Yukon Geländewagen mit getönten Scheiben. Drei Männer standen daneben und blickten zum Berg hinauf. Er hätte gerne gewusst, wer sie waren, entschied jedoch, dass es nicht so wichtig war. Zumindest in diesem Moment.
Er schnallte seine Ski ab, deponierte sie im Skiständer und ging in den Umkleideraum. Er holte eine Gürteltasche aus dem Spind, stellte seine Skischuhe hinein, schlüpfte in ein Paar Laufschuhe und ging zu dem Parkplatz, wo er seinen Pick-up abgestellt hatte.
Schroeder sah sich um, bemerkte nichts Verdächtiges und ging schnell zu seinem Wagen und stieg ein. Während er den Parkplatz verließ, holte er seine Pistole unterm Sitz hervor und legte sie in seinen Schoß.
Dann überlegte er seinen nächsten Schritt. Es wäre gefährlich, zu seinem Haus zurückzukehren. Er verließ die Stadt und fuhr in Richtung Glacier Nationalpark. Zwanzig Minuten später stoppte er vor einem kleinen baufälligen Haus. Das Schild vor dem Haus verkündete: