»Das sieht aus wie ein Spiegelei«, stellte Trout fest.
Trout zog Aubrey gerne wegen seiner Vorliebe auf, wissenschaftliche Probleme auf Servietten darzustellen, wobei er ihm einmal sogar empfohlen hatte, diese Zeichnungen und Berechnungen zu einem Lehrbuch zusammenzufassen.
»Künstlerische Freiheit«, entschuldigte Aubrey sich. »Es vermittelt Ihnen einen Eindruck von unserem Forschungsobjekt. Ozeanische Wirbel sind sich langsam bewegende Strudel, die gelegentlich Durchmesser von mehreren hundert Kilometern haben. Offenbar werden sie von Meeresströmungen ausgelöst. Einige rotieren im Uhrzeigersinn, andere in der entgegengesetzten Richtung. Sie können Wärme oder Kälte transportieren und befördern Nährstoffe vom Meeresgrund zur Oberfläche. Je nachdem beeinflussen sie nachhaltig das Wettergeschehen und erzeugen eine Explosion marinen Lebens entlang der Nahrungskette.«
»Ich habe mal irgendwo gelesen, dass Fischkutter gerne am Rand dieser Erscheinungen operieren«, sagte Trout.
»Menschen sind nicht die einzigen Raubtiere, die die biologische Bedeutung dieser Wirbel erkannt haben.« Aubrey zeichnete einige weitere Bilder auf die Serviette und hielt sie hoch.
»Jetzt sieht es aus wie ein Spiegelei, das von einem riesigen Fisch angegriffen wird«, sagte Trout.
»Wie jeder mit halbwegs gesunden Augen sehen kann, sind es Wale. Von ihnen weiß man, dass sie ihre Nahrung am Rand dieser Wirbel suchen. Es gibt einige wissenschaftliche Teams, die versuchen, die Wale zu ihren Weideplätzen zu verfolgen.«
»Sie benutzen also die Wale für die Suche nach Wirbeln«, stellte Trout fest.
Aubrey zuckte die Achseln. »Sicher, aber es gibt bessere Methoden, um diese Schätzchen zu suchen, anstatt Pottwale zu verfolgen. Die durch Wärme bedingte Ausdehnung des Wassers innerhalb eines Wirbels verursacht eine Unregelmäßigkeit im Ozean, die von Satelliten aufgespürt werden kann.«
»Was bringt Meeresströmungen dazu, diese Wirbel entstehen zu lassen?«, fragte Trout.
»Das ist etwas, das wir durch diese Expedition aufzuklären hoffen. Sie beide sind für dieses Projekt bestens ausgerüstet. Gamay kann ihre biologischen Kenntnisse zur Beantwortung dieser Frage heranziehen, und wir hoffen, dass Sie eins der Computermodelle erstellen können, in denen Sie so gut sind.«
»Danke für Ihre Einladung hierher. Wir tun unser Bestes«, versprach Gamay.
»Das weiß ich. Dies hier ist mehr als nur reine Wissenschaft. Diese riesigen Wirbel können das Wetter nachhaltig beeinflussen. Ein stationärer ozeanischer Wirbel vor der Küste Kaliforniens kann für niedrige Temperaturen und Regen in L.A. sorgen. Entsprechend kann im Atlantik eine solche Erscheinung, die durch den Golfstrom ausgelöst wird, dichten Nebel hervorrufen.«
»Gegen das Wetter können wir nicht viel tun«, sagte Trout.
»Das ist richtig, aber zu wissen, was auf uns zukommt, gibt uns die Möglichkeit, uns darauf vorzubereiten. Die Beobachtung von Meereswirbeln könnte für die nationale Wirtschaft von lebenswichtiger Bedeutung sein. Die Sicherheit der Handelsschifffahrt und der Strom von Öl, Kohle, Stahl, Automobilen, Getreide und sonstiger Fracht hängt wesentlich von sicheren Wettervorhersagen ab.«
»Deshalb interessiert die NOAA sich ja auch so sehr für unsere Arbeit«, sagte Trout.
Aubrey nickte. »Das bringt mich darauf, dass ich mit dem Kapitän noch unseren Zeitplan besprechen muss.« Er erhob sich und drückte seinen Gästen die Hände. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass ich Sie beide wieder in meinem Team habe. Heute Abend veranstalten wir eine Kennenlernparty.« Er schob Trout die Serviette über den Tisch zu. »Morgen früh veranstalten wir ein Quiz über diese Dinge, Sie Schlaumeier.«
Zu Trouts Glück hatte Aubrey die Ankündigung eines Quiz nur scherzhaft gemeint, allerdings erwies sich die wissenschaftliche Vorbesprechung als sehr aufschlussreich. Und als das Forschungsschiff den Anker warf, wussten die Trouts über Meereswirbel bestens Bescheid. Vom Oberdeck des Schiffs aus betrachtet sah das Meer in der Umgebung des Wirbels nicht viel anders aus als in anderen Regionen, jedoch hatten Satellitenfotos und Computermodelle ergeben, dass die Wassermassen sich mit einer Geschwindigkeit von ungefähr fünf Kilometern in der Stunde bewegten.
Trout hatte einige Computermodelle vom Meeresgrund in der Nähe des Wirbels erstellt, und Gamay konzentrierte sich auf die biologischen Auswirkungen. Die Erforschung des Phytoplanktons war ein wesentlicher Teil ihrer Untersuchungen, weshalb sie es so eilig hatte, diesen Teil ihrer Arbeit abzuschließen.
Während das Zodiac tief in die Wellentäler eintauchte, ließen sie ein Neustonnetz über den Bootsrand ins Wasser. Die Einlassöffnung des Netzes bestand aus einem rechteckigen Rahmen aus dünnen Röhren, während das Netz selbst gut drei Meter lang und spitz zulaufend war, so dass eine große Wassermenge durch die Maschen strömen konnte. Sie justierten die Länge der Zugleine so, dass das Netz an der Wasseroberfläche trieb. Dann unternahmen sie mehrere Geradeausfahrten, angefangen an den Markierungsbojen, wobei sie den weißen Rumpf des NOAA-Schiffs als Bezugspunkt benutzten, um ihren Kurs zu halten. Sie erzielten gute Resultate, als das Netz reichliche Planktonproben einsammelte.
Mit dem Motor im Leerlauf half Trout seiner Frau beim Einholen der letzten Proben, als ein seltsames Rauschen erklang und sie beide hochschauten. Sie wechselten verdutzte Blicke und schauten dann zum Schiff hinüber. Nichts schien sich verändert zu haben. An Deck waren einige Leute zu sehen, die dort ihren jeweiligen Tätigkeiten nachgingen.
Gamay bemerkte ein gelegentliches Funkeln auf der Wasseroberfläche, als ob die Sonne eine Leuchtstofflampe in den letzten flackernden Zügen sei. »Sieh mal zum Himmel«, sagte Gamay.
Trout hob den Kopf, und ihm fiel das Kinn fast auf die Brust. Die Wolken schienen von einem silbernen Feuer umhüllt zu sein, das pulsierende grelle Blitze aussandte. Er betrachtete gebannt das himmlische Schauspiel und reagierte mit einer ausgesprochen unwissenschaftlichen Feststellung.
»Donnerwetter!«, sagte er.
Das Geräusch, das sie gehört hatten, wiederholte sich, nur diesmal um einiges lauter. Es schien seinen Ursprung im offenen Meer jenseits des NOAA-Schiffs zu haben. Trout wischte sich die Regentropfen aus den Augen und deutete auf das Meer.
»Irgendetwas ist bei zwei Uhr in zweihundert Metern Entfernung im Gange«, meinte er.
Ein halbwegs kreisrunder Fleck verdunkelte sich, als ob dort der Schatten einer Wolke erschienen war.
»Was ist das?«, fragte Gamay.
»Keine Ahnung«, antwortete Trout. »Aber es wird deutlich größer.«
Der dunkle Fleck dehnte sich aus und bildete eine Kreisfläche wogenden, gekräuselten Wassers. Sein Durchmesser betrug gut dreißig Meter. Dann sechzig Meter. Und er nahm schnell zu. Ein helles weißes Band erschien am Rand des dunklen Kreises und entwickelte sich zu einer niedrigen Wand aus Gischt. Ein tiefes Seufzen stieg aus der Tiefe auf, als ob der Ozean vor Schmerzen aufschrie.
Dann sackte die Mitte der dunklen Fläche plötzlich ab, und eine riesige Wunde tat sich im Ozean auf. Sie vergrößerte sich rasend schnell und würde sie innerhalb weniger Sekunden erreichen.
Trouts Hand ergriff instinktiv den Gashebel, während gleichzeitig die Strömung unsichtbare Hände nach ihnen ausstreckte und sie in Richtung des schwarzen Abgrunds zog.
8
Die mächtige Grube, die sich im Meer geöffnet hatte, war nur für einen kurzen Moment zu erkennen, ehe sie hinter einem hochwachsenden Wall aus Schaum verschwand. Gischtflocken lösten sich vom Kamm des Schaumwalls. Ein intensiver Salzgeruch lag plötzlich in der Luft, als ob das Zodiac-Schlauchboot sich inmitten eines riesigen Fischschwarms befand.
Das NOAA-Schiff nahm Kurs auf das Schlauchboot. Leute drängten sich an der Reling. Sie deuteten und winkten heftig. Das Boot war kurz davor, sich aus der hartnäckigen Strömung zu befreien, als sich eine schwere See über den stumpfen Bug ergoss und sie an Fahrt verloren. Trout biss die Zähne zusammen. Er drehte den Gashebel so weit auf wie möglich und lenkte den Bug von dem drohenden Kessel weg. Der Motor lief auf Hochtouren, und es hörte sich an, als würden jeden Moment die Ventile reißen. Ein Ruck nach dem anderen durchlief das Boot, als würde es mit Elektroschocks traktiert. Das Zodiac schaffte ein oder zwei Meter, ehe es wieder von dem kraftvollen Sog erfasst wurde, den der riesige Strudel erzeugte.