Als Margrave zur neo-anarchistischen Bewegung stieß, versicherte er sich der Unterstützung der Legion. Er argumentierte, dass weil die Eliten die Polizei hatten, die befugt war, physische Gewalt auszuüben und, in entsprechenden Situationen, sogar zu töten, er und seine Helfer die gleichen Möglichkeiten haben sollten. Er finanzierte die Legion und benutzte sie als seine Prätorianer-Garde. Anfangs amüsierte es ihn, als sie sich Bärte wachsen ließen und ihre Haartracht veränderten, um sich ein ähnlich satanisches Aussehen zuzulegen, wie Margrave es von Natur aus vorweisen konnte. Nachdem mehrere anarchistische Demonstrationen, an denen sie beteiligt waren, einen unerwartet blutigen Verlauf genommen hatten, begriff er allmählich, dass sie zunehmend außer Kontrolle gerieten.
Er behielt sie weiter auf seiner Lohnliste, beschäftigte sie aber immer seltener. Er hatte bereitwillig Gants Vorschlag angenommen, die Sicherheitsfirma für die alltäglichen Operationen zu engagieren. Margrave war anfangs überrascht, als Gant ihm empfahl, die Legion einzusetzen, um Austin und Karla zu töten, aber er akzeptierte die Begründung, dass für den Fall, dass irgendetwas schiefgehen sollte, die Behörden zu dem Schluss kämen, es würde sich um eine Bande von Kriminellen handeln, die ihre eigenen Ziele verfolgten.
Margrave kannte die psychopathischen Tendenzen der Legion um einiges besser als Gant, weshalb er darauf bestanden hatte, dass Doyle sie im Auge behielt. Doyle hatte mittlerweile die Aufschrift METROPOLITAN TRANSIT AUTHORITY, die lediglich aus aufgeklebten Lettern bestand, vom Kleinbus entfernt. Als die Motorradfahrer neben dem Kleinbus stoppten, verließ Doyle den Wagen und empfing die seltsame Truppe, die gerade von den Maschinen abstieg, mit einem Grinsen, das seine Verachtung kaschierte.
Doyle war ein kaltblütiger Mörder, aber diese Typen mit ihrem glasigen Blick, dem starren Grinsen und den leisen Stimmen jagten ihm Angst ein. Er hoffte, dass Gant wusste, was er tat. Er hatte, wenn auch widerstrebend, von Zeit zu Zeit mit der Gruppe zusammengearbeitet. Seine eigenen tödlichen Gewaltausbrüche erfolgten stets kontrolliert und genau kalkuliert. Er tötete aus rein geschäftlichen Gründen: um einen Konkurrenten auszuschalten; um einen Informanten zum Schweigen zu bringen. Das undisziplinierte Verhalten von Lucifer’s Legion beleidigte seinen Ordnungssinn.
Er deutete auf einen türkisfarbenen Jeep in einer angrenzenden Reihe. »Austin und die Frau sind unterwegs zum Schlachtfeld. Wir müssen sie finden.«
Die Angehörigen der Legion schienen ohne Worte miteinander kommunizieren zu können und bewegten sich unisono wie ein Vogelschwarm oder ein Schwarm Fische. Wie eine Einheit reagierend, verteilten sie sich auf dem Parkplatz. Sie entdeckten den Lieferwagen einer Firma namens Gone With The Wind Costumes. Ein Angestellter lud gerade einen Ständer mit Kostümen für die weniger traditionsbewussten Darsteller ab, die keine eigenen Uniformen besaßen. Er fand sich plötzlich von sechs grinsenden Klons umringt. Einer schlug ihn mit einem Teleskopschlagstock bewusstlos, während die anderen die Szene mit ihren Körpern vor unliebsamen Zuschauern abschirmten.
Sie schoben den ohnmächtigen Mann in den Lieferwagen und durchwühlten die Kleiderkollektion, bis sie fanden, was sie suchten. Sie trugen ihre Beute zu Doyles Van und zogen sich um. Kurz darauf war von den Bikern in Jeans und T-Shirts nichts mehr zu sehen. An ihre Stelle waren drei konföderierte und drei Soldaten der Union getreten. Sie schoben sich abgesägte Schrotflinten in den Hosenbund, dann schwangen sie sich wieder auf ihre Motorräder und begaben sich wie hungrige Wölfe auf die Suche nach ihrer Beute.
Doyle ließ den Van stehen und mischte sich unter den Fußgängerverkehr. Während er durch die Scharen von Zuschauern und kostümierten Teilnehmern schlenderte, suchte er die Menge ab wie ein Radar. Doyle hatte eine nahezu perfekte Sicht, ein großer Vorteil für einen Jäger, und seine scharfen Augen entdeckten Austins helles Haar. Nur wenige Sekunden später sah Doyle auch die hübsche blonde Frau an Austins Seite. Ihr Gesicht war das gleiche, das der Computer im Kleinbus als das von Karla Janos identifiziert hatte.
Er hakte das Sprechfunkgerät von seinem Gürtel los und schickte Lucifer’s Legion eine kurze Nachricht.
Austin hatte die Dampfwagen gefunden. Ungefähr zwanzig antike Stanleys waren am Rand des Feldes aufgereiht. Ein Mann in mittlerem Alter mit einem Klemmbrett in der Hand wanderte an der Wagenreihe entlang.
»Ich suche jemanden, der sich hier ein wenig auskennt«, sagte Austin und spielte ganz bewusst den Unbedarften.
Der Mann grinste. »Kommt ganz darauf an, worin ich mich auskennen soll.« Er streckte ihm eine Hand entgegen. »Doug Reilly. Ich bin der Präsident des Virginia Stanley Steamer Clubs. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich suche einen Wagenbesitzer namens Dirk Pitt.«
»Oh sicher, Pitts Wagen ist die Kopie des 1906 Vanderbilt Cup Racer da drüben.« Reilly deutete auf einen offenen roten Wagen, dessen lange Motorhaube geformt war wie ein Sarg. »Es gab davon nur zwei Originale, und soweit wir wissen, existiert keins mehr. Die Motoren kommen allerdings von Stanley. In den Bergen absolut unschlagbar.«
»Und welcher ist Ihrer?«
Reilly führte sie zu einer glänzenden schwarzen Limousine Baujahr 1926 und zählte wie ein stolzer Vater die Besonderheiten des Wagens auf. »Kennen Sie sich bei diesen alten Kisten ein wenig aus?«
»Ich bin ein einziges Mal bei einer Dampfwagen-Rallye mitgefahren. Dabei habe ich mehr Zeit damit verbracht, auf die Anzeigeinstrumente zu achten als auf die Straße.«
»Das sagt mir in etwa alles«, meinte Reilly kichernd. »Der Stanley Steamer war der schnellste und stärkste Wagen seiner Zeit. Ein Stanley mit ›Kanu‹-Karosserie brach 1906 mit 220 Kilometern in der Stunde den Geschwindigkeitsweltrekord. Sie liefern schon volle Kraft, wenn man den Gashebel nur anschaut. Mit ihrem Dieselantrieb konnten sie innerhalb kürzester Zeit vom Stand auf hundert Stundenkilometer beschleunigen, während die Fahrer der meisten benzingetriebenen Fahrzeuge noch in den Gängen herumrührten.«
»Eigentlich ist es überraschend, dass wir heute keine Dampfwagen mehr fahren«, sagte Austin.
»Die Stanley-Brüder wollten ihre Wagen nicht in Massenproduktion herstellen. Henry Ford produzierte an einem Tag so viele Fahrzeuge wie sie in einem Jahr. 1912 stellte Cadillac dann den elektrischen Starter vor. Diese Wagen stehen alle unter Dampf, um Zeit zu sparen. Wenn die Stanley-Brüder etwas erfunden hätten, damit ihre Wagen schneller starten, und ihre Produktion und ihr Marketing verbessert hätten, dann würde heute niemand von uns das fahren, was die Stanleys als ›Vehikel mit Explosionsmotor‹ bezeichneten. Aber entschuldigen Sie, dass ich ein wenig vom Thema abgekommen bin.«
»Es braucht Ihnen nicht leid zu tun«, sagte Karla. »Es war höchst interessant.«
Reilly errötete. »Alle anderen Wagenbesitzer sind rübergegangen, um sich das Schlachtspektakel anzusehen. Ich halte ein wachsames Auge auf das hier. Wenn die Schlacht vorüber ist, führen wir eine Parade um das ganze Schlachtfeld an.«
Austin bedankte sich bei Reilly und ging dann mit Karla zum Schlachtfeld. Dem Krachen der Musketen und der Artillerie nach zu urteilen, hatte der Kampf bereits begonnen. Während sie über das weite Feld gingen, konnten sie die Zuschauermassen sehen, die verfolgten, wie Schützenlinien in Grau und in Blau gegeneinander vorrückten. Das Knallen der Musketen klang aus der Ferne wie das Explodieren von Knallfröschen, und der Geruch von Schießpulver wehte ihnen entgegen.