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Auf ihren Vortrag folgte Schweigen, das Karla schließlich selbst durchbrach.

»Mein Gott«, sagte sie. »Ich habe soeben Polarlichter, Erdbeben und Tsunamis beschrieben.«

»Mit anderen Worten, einen Polsprung«, stellte Austin fest. »Erzählen Sie ruhig weiter.«

»Ich versuch’s. Es ist lange her.« Sie blickte zur Decke.

»Jede Strophe beginnt mit dem gleichen Drunter-drüber-Reimpaar, und dann ändert sich die Strophe. Die nächste lautet: ›Der Schlüssel steckt in der Tür, / Wir dreh’n den Knauf, der Riegel schnappt, / Damit das Meer verstummt.‹ Danach kommen noch mehrere Strophen, bis das Gedicht mit meiner Lieblings­strophe endet: ›Der Tag ist da, vorbei die Nacht, / Die Welt ist wieder gut, / Denn Karla träumt, / Und alles wieder lacht.‹«

Barrett holte einen Kugelschreiber und ein Notizbuch aus der Tasche und schob es über den Tisch zu Karla hin. »Könnten Sie jede Strophe aufschreiben?«

»Ja, aber –« Karla war ein wenig verwirrt. »Glauben Sie, dieser Quatsch hat irgendeinen Sinn?«

»Ich bin nur neugierig«, sagte Barrett.

»Wir sollten jede Spur verfolgen, egal wie seltsam sie uns vorkommen mag«, meinte Austin. Er warf einen Blick auf eine Wanduhr. »Ich muss los. In zwei Stunden treffen wir uns wieder hier.«

Er bat Zavala, den Trouts Bescheid zu sagen, dass sie den Transmitter-Schiffen auf der Spur bleiben sollten, dann wandte er sich an Karla. »Ich könnte Sie jetzt zum Krankenhaus mitnehmen«, sagte er.

»Ich fahre später zu Onkel Karl. Wenn ich ihn jetzt besuche, dann verlangt er bloß von mir, ihm bei seiner Flucht aus dem Krankenhaus behilflich zu sein. Ich würde Sie viel lieber zu Mr. Pitt begleiten«, gestand sie.

»Also ich weiß nicht«, erwiderte Austin. »Ich halte es für besser, wenn Sie vorerst in der Versenkung bleiben.«

»Schon möglich, aber ich will mich nicht verstecken. Es besteht immerhin die Chance, dass derjenige, der meinen Tod befohlen hat, nicht weiß, dass ich noch am Leben bin.«

»Ich möchte, dass es auch so bleibt.«

»Die Arbeit meines Großvaters hat diesen Unsinn erst in Gang gesetzt. Ich bin es ihm schuldig, dafür zu sorgen, dass seine Arbeit nicht auf eine solche Art und Weise missbraucht wird.«

Als er den entschlossenen Ausdruck in Karlas Augen sah, wusste Austin, dass er es nicht schaffen würde, sie umzustimmen.

Eine Viertelstunde später suchten Austin und Karla sich einen Wagen aus der Pkw-Flotte in der NUMA-Tiefgarage aus. Während Austin den Wagen aus der Garagenausfahrt lenkte und sich in den für Washington typischen dichten Verkehr einfädelte, wurden er und Karla durch die Ein-Weg-Fenster eines Vans beobachtet, der vollgestopft war mit der modernsten Abhör- und Beobachtungselektronik. Die Aufschrift auf der Seitentür wies ihn als ein Dienstfahrzeug der Metropolitan Transit Authority aus.

Im Innern des Vans sog Doyle gierig an einer Zigarette, während er und ein Helfer mehrere Monitore beobachteten, die die Straßenszene rund um das NUMA-Gebäude zeigten. Versteckte Kameras im Van und einem ähnlichen Fahrzeug, das vor dem Haupteingang der NUMA-Zentrale parkte, zeichneten das Gesicht jeder Person auf, die das Gebäude verließ, und verglichen es mit den Bildern in einer umfangreichen Datenbank. Das Erkennungssystem konnte mehr als tausend Gesichter in der Sekunde überprüfen.

Der Monitoralarm summte. Das Signal für einen Treffer. Das Bild von Austin hinter dem Lenkrad eines türkisfarbenen Jeep Cherokee, der die Garage verlassen hatte, wurde auf einen der Schirme übertragen. Unter Austins Konterfei befand sich eine Zusammenfassung seiner persönlichen Daten. Doyles harte Augen funkelten vor Erregung. Bingo!Kaum hatte er seinem Helfer befohlen, sich auf den Fahrersitz zu schwingen und dem Jeep zu folgen, als ein zweiter Monitor summte. Das Bild einer attraktiven jungen Frau, die auf dem Beifahrersitz des Jeeps saß, füllte den Bildschirm. Die Datenbank identifizierte sie als Karla Janos.

Zweimal Bingo!

Ein Lächeln spielte um Doyles Lippen. Er konnte es kaum erwarten, Gants Gesicht zu sehen, wenn er ihm erzählte, dass Karla Janos gesund und wohlauf war und mit dem Feind zusammenarbeitete. Während der Van sich in Bewegung setzte und an den Jeep hängte, rief Doyle ein Motel in Alexandria an, wo sechs Harley-Davidson-Motorräder bereitstanden. Minuten später tauchten sechs Männer aus dem Motel auf, schwangen sich auf die Motorräder und machten sich auf den Weg, um mit Doyle zusammenzutreffen.

36

Karla betrachtete die Männer im Grau der Konföderierten und im Unions-Blau, die die ländlichen Straßen mit ihren Pick-ups und Geländefahrzeugen verstopften.

»Ich muss mich wohl geirrt haben«, sagte sie. »Bisher bin ich immer davon ausgegangen, dass der Bürgerkrieg vorüber sei.«

»Sie haben wirklich ein abgeschiedenes Leben geführt«, sagte Austin. »Der Krieg der nördlichen Aggression, wie der Bürgerkrieg von den Südstaaten auch gerne genannt wurde, ist in den Köpfen der Leute immer noch in vollem Gang. Sie brauchen bloß den Namen Robert E. Lee aus dem Fenster zu rufen, und Sie finden genug Freiwillige für die Rebellenarmee, um die Schlacht von Gettysburg zu wiederholen.«

Austin folgte dem Verkehr zu einem Parkplatz, der sich am Rand eines einige Hektar großen Feldes befand. Nachdem er den NUMA-Wagen geparkt hatte, schlossen sie sich dem Strom von Zuschauern und Bürgerkriegsdarstellern an, die zu dem Feld zogen. Schilder am Weg verkündeten, dass die militärische Demonstration und die Dampfmaschinenparade abgehalten wurden, um Spenden für den Verein der Freunde des Manassas National Battlefield zu sammeln.

Austin hielt einen bärtigen Mann in der grauen Uniform eines Offiziers der Lee-Armee an, um sich nach dem Weg zu erkundigen.

»Stonewall Jackson stets zu Diensten«, sagte der Mann mit einer höflichen Verbeugung.

»Ich freue mich, Sie kennen zu lernen, General. In Anbetracht der historischen Umstände sehen Sie noch sehr gut aus. Ich frage mich, ob Sie wissen, wo sich die Dampfautos sammeln«, sagte Austin.

Jackson blickte mit zusammengekniffenen Augen in die Ferne und zupfte nachdenklich an seinem Bart. »Genau genommen wurden Autos erst 1861 erfunden, daher weiß ich nicht, wovon Sie reden, Sir. Aber wenn ich es wüsste, würde ich meinen, dass Sie das, was Sie suchen, in der Nähe der Porta Pottis finden, die es zu meiner Zeit noch gar nicht gab.«

»Vielen Dank, General Jackson. Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Schlacht.«

»Es war mir ein Vergnügen«, erwiderte der Soldat, lächelte Karla an und tippte gegen seine Mütze.

Während sie ihm nachschaute, als er in der Menge verschwand, sagte sie: »Er nimmt seine Rolle wirklich ernst, nicht wahr?«

Austin lächelte. »In Manassas fand die erste große Schlacht des Bürgerkriegs statt. Die Unionstruppen glaubten, sie würden die Rebellen überrennen. Sogar aus Washington kamen Leute mit Picknickkörben angereist, um sich die Schlacht anzusehen. Es war beinahe so wie heute. Die Konföderierten hatten an diesem Tag ein Mordsglück, aber am Ende behielt die Union die Oberhand.«

»Warum gehen wir nicht zum originalen Schlachtfeld?«, wollte Karla wissen.

»Sie haben vor einigen Jahren eine Nachinszenierung der Schlacht versucht. Aber das Spektakel lief derart aus dem Ruder, dass sie das Ganze heute auf privatem Land veranstalten.«

Karla schaute sich um. »Ich glaube, ich verstehe, was Sie mit ›aus dem Ruder laufen‹ meinen. Die Leute spielen ja völlig verrückt.«

Austin grinste.

»Wie der alte Stonewall vielleicht gesagt hätte: ›Nicht verzagen. Der Süden wird wieder aufstehen!‹«

Die sechs Männer, die mit ihren Motorrädern vor dem geparkten Van vorfuhren, sahen aus, als wären sie in einem einzigen Labor geklont worden. Alle trugen Spitzbärte, und ihre Geheimratsecken waren zu nadelscharfen Witwenspitzen ausrasiert.

Lucifer’s Legion war eine Gruppe von extremen Neo-Anarchisten, die die Auffassung vertraten, dass Gewalt zur Durchsetzung ihres Anliegens nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar notwendig war. Wie ihre wild dreinblickenden, Bomben legenden Vorgänger agierten sie am Rand der vorwiegend gewaltlosen Anarchistenbewegung, die nichts mit ihnen zu tun haben wollte. Sie zogen auf ihren Motorrädern von Stadt zu Stadt und hinterließen eine breite Spur aus Chaos und Gewalt.