Ein Viersternegeneral, der Austin gegenübersaß, sagte: »Ich wäre der Erste, der zugeben würde, dass die Bilder, die wir gesehen haben, im höchsten Maße beängstigend sind, wenn sich alles so abspielen würde. Aber wie Sie eben sagten, handelt es sich um eine Computersimulation und könnte daher ein Szenario sein, das ausschließlich auf Annahmen beruht und nicht auf Tatsachen.«
»Ich wünschte, es wären nur Annahmen, General. Wir hatten nicht die Zeit, eine schriftliche Zusammenfassung vorzubereiten, daher müssen Sie sich gefallen lassen, dass ich Ihnen die wesentlichen Punkte dessen, womit wir es zu tun haben, mündlich erläutere. Das erste Glied in der Kette der Ereignisse, die uns hier zusammengeführt haben, wurde vor mehr als sechzig Jahren mit der Arbeit eines genialen Elektroingenieurs namens Lazio Kovacs geschmiedet.«
Mehr als eine Stunde lang erläuterte Austin die historischen Abläufe, angefangen mit Nikola Tesla über Kovacs’ Flucht aus Ostpreußen bis hin zu den von den Vereinigten Staaten und Russland durchgeführten Experimenten zum Einsatz elektromagnetischer Waffensysteme. Er beschrieb sein Treffen mit Barrett, dem Mann, der die praktische Anwendbarkeit der Theoreme erschlossen hatte, sowie die Schiffe versenkenden ozeanischen Störungen und die Pläne, einen Polsprung zu initiieren. Austin war sich des fantastischen Charakters seiner Geschichte durchaus bewusst, daher verzichtete er auf die Schilderung einiger Details. Hätte er sie nicht mit eigenen Augen gesehen, hätte er niemals an die Existenz von Zwergmammuts in einer im Innern eines urzeitlichen Vulkans eingeschlossenen Kristallstadt geglaubt.
Aber auch ohne die unglaublichen Details schlug ihm eine Woge der Skepsis entgegen. Austin stellte seine Auffassung mit dem Geschick eines Staranwalts vor einer Jury dar. Doch er wusste, dass man ihn mit Fragen überschütten würde. Ein Ministerialdirektor aus dem Verteidigungsministerium unterbrach Austin, als er Jordan Gants Verbindung mit Margrave erläuterte.
»Sie werden sicherlich Verständnis dafür haben, wenn ich Schwierigkeiten habe zu glauben, dass der Chef einer gemeinnützigen Organisation und der milliardenschwere Inhaber einer angesehenen Softwarefirma sich wegen irgendeines vagen neo-anarchistischen Anliegens zusammentun, um diesen sogenannten Polsprung herbeizuführen.«
»Über Einzelheiten lässt sich diskutieren«, sagte Austin, »aber es ist alles andere als ein vages Anliegen. Lucifer hat die Lichtreklamen des Broadway benutzt, um der Welt seine Botschaft zu schicken, und hat anschließend als Warnung New York City für einige Zeit lahmgelegt. Ich denke, 9/11 hat gezeigt, wie gefährlich es ist, scheinbar verrückte Warnungen zu ignorieren.«
»Wo liegen diese sogenannten Transmitter-Schiffe?«, wollte ein Marineoffizier wissen.
»In Rio de Janeiro«, antwortete Austin.
»Sie sagten, es hätte früher vier Schiffe gegeben, von denen eins gesunken sei.«
»Das ist richtig. Wir nahmen an, dass ein Ersatzschiff gebaut würde, konnten aber nichts dergleichen feststellen, daher gehen wir davon aus, dass sie sich bei der Ausführung ihres Plans mit drei Schiffen begnügen.«
»Dann dürften wir leichtes Spiel haben«, sagte der Ministerialdirektor. »Ich schlage vor, dass wir das nächste U-Boot auf diese Schiffe ansetzen, und wenn sie irgendetwas Verdächtiges versuchen, versenken wir sie.«
»Wie steht es mit diplomatischen Verwicklungen?«, fragte der Viersternegeneral. »Sollen wir auch auf hoher See mit der Taktik ›Erst schießen, dann fragen‹ vorgehen?«
»Es wäre nichts anderes, als ein Passagierflugzeug abzuschießen, das aufs Weiße Haus oder den Kongress gelenkt wird«, sagte der Ministerialdirektor. »Können wir es tun?«, fragte er den Marineoffizier.
»Die Marine liebt Herausforderungen«, erwiderte dieser.
»Dann machen wir es so. Ich werde den Verteidigungsminister von dem Plan in Kenntnis setzen, und dann können wir sofort loslegen. Er wird den Präsidenten unterrichten, wenn er morgen von seiner Reise zurückkehrt.« Er wandte sich an Austin. »Vielen Dank für die erschöpfenden Informationen.«
»Ich bin noch nicht fertig«, sagte Austin. »Es gibt Grund zu der Annahme, dass wir etwas zur Verfügung haben, womit sich der Polsprung verhindern oder neutralisieren lässt. Möglicherweise haben wir eine wirkungsvolle Gegenmaßnahme gefunden.«
Sämtliche Augen im Saal starrten ihn an.
»Welche Art von Gegenmaßnahme?«, fragte der General mehr aus Höflichkeit als aus ernsthaftem Interesse.
»Es gibt eine Reihe von elektromagnetischen Frequenzen, von denen wir annehmen, dass sie der Polverschiebung entgegenwirken.«
»Wie wollen Sie diese Gegenmaßnahme anwenden?«, wollte der Ministerialdirektor wissen. »Punktuell oder großräumig?«
»Ich habe da ein paar Ideen.«
»Die einzige sinnvolle Gegenmaßnahme, die mir einfällt, wäre ein Torpedo in den Arsch dieser Irren«, sagte der Marineoffizier.
Jeder im Saal außer Austin brach in brüllendes Gelächter aus.
»Ich will ja nicht unhöflich sein«, ergriff der Ministerialdirektor wieder das Wort. »Aber ich denke, Sie sollten Ihre Überlegungen zu Papier bringen und bei Gelegenheit meiner Sekretärin geben.«
Die Konferenz war vorüber. Während Austin durch das Labyrinth von Fluren und Korridoren im Pentagon geführt wurde, erinnerte er sich an seine Begegnung mit Gant und an seinen Eindruck, dass er jemand war, dessen Doppelzüngigkeit man auf keinen Fall unterschätzen sollte.
Von wegen leichtes Spiel, dachte er.
39
Die Trouts hatten in einem Strandhotel oberhalb des Hafens ein Zimmer mit Balkon gemietet, von dem aus sie einen ungehinderten Blick auf die fernen Dockanlagen hatten. Seit ihrer Ankunft in Rio hatten sie abwechselnd auf dem Balkon gesessen und die Transmitter-Schiffe beobachtet.
Trout brachte Gamay ein Glas kalten Orangensaft, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben sie. »Passiert was?«
Gamay blickte durchs Fernglas und betrachtete einen langen Kai auf der anderen Seite des Hafens. »Seit wir hier angekommen sind, haben die Transmitter-Schiffe sich nicht einen Zentimeter vom Fleck bewegt.«
Trout lieh sich das Fernglas von ihr aus und inspizierte selbst die drei Schiffe, die nebeneinander vertäut am Kai lagen.
»Hast du bemerkt, dass der Passagierdampfer verschwunden ist?«
»Gestern war er noch da. Sie müssen heute Morgen schon ganz früh abgelegt haben. Noch ehe wir aufstanden.«
Gamay hatte sich gewundert, was ein Passagierschiff in einem Frachtschiffbereich zu suchen hatte. Sie hatten den Namen am Bug des Schiffs lesen können: Polar Adventure.Aber keiner von ihnen hatte eingehender über das Schiff nachgedacht. Viel mehr hatten sie sich für die drei Frachtschiffe interessiert, die die Namen Polaris I, IIund IIInach dem nördlichen Polarstern trugen.
»Ich denke, wir sollten uns das mal ein wenig genauer ansehen«, entschied Paul.
»Ganz meine Meinung. Von mir aus können wir sofort aufbrechen.«
Minuten später fuhren sie am Rand des Hafens entlang. Die Ferienhotels blieben nach und nach zurück, und die Umgebung, durch die sie fuhren, bekam einen zunehmend gewerblichen Charakter. Schließlich gelangten sie zu einer Ansammlung von Lagerhäusern, Schifffahrtsbüros und maritimen Verwaltungsgebäuden. Sie passierten mehrere Containerschiffe und schließlich auch den leeren Liegeplatz, der vorher von dem Passagierschiff besetzt worden war. In der Nähe der drei Frachtschiffe, die sie vom Hotel aus gesehen hatten, war ein Wachhaus aufgestellt worden.
Vor dem Haus stand ein stämmiger Wächter, der mit einer Pistole in einem Halfter und mit einem Gewehr bewaffnet war. Er rauchte eine Zigarette und unterhielt sich mit einem Hafenarbeiter. Paul behielt die Geschwindigkeit des Wagens bei, um kein Aufsehen zu erregen. Jedoch fuhr er langsam genug, um Gamay Gelegenheit zu geben, sich von den Schiffen einen kurzen, aber gründlichen Eindruck zu verschaffen.