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»Was war das mit Garibaldis Tochter?«, fragt Joona leise. »Was ist mit ihr passiert?«

»Die vierzehnjährige Maria Garibaldi ist nach wie vor verschwunden«, antwortet Anja.

Carlos seufzt, murmelt etwas in sich hinein, geht zum Aquarium und betrachtet kurz seine Paradiesfische, ehe er zu den anderen zurückkehrt.

»Was sollen wir tun? Ihr könnt nicht beweisen, dass die Munition für den Sudan bestimmt ist, und ihr könnt Axel Riessens Verschwinden durch nichts, rein gar nichts, mit Raphael Guidi in Verbindung bringen«, sagt er. »Gebt mir irgendeinen Hinweis, dann spreche ich mit dem Staatsanwalt, aber ich brauche eine Verbindung und dafür reicht es einfach nicht …«

»Ich weiß, dass er unser Mann ist«, unterbricht Joona ihn.

»Und dafür reicht es einfach nicht, wenn Joona sagt, dass er unser Mann ist«, beendet Carlos seinen Satz.

»Wir brauchen die Befugnis und die nötigen Mittel, um Raphael Guidi wegen Verstößen gegen schwedisches und internationales Recht zu ergreifen«, fährt Joona hartnäckig fort.

»Nicht ohne Beweise«, sagt Carlos.

»Wir finden Beweise«, erwidert Joona.

»Ihr müsst Pontus Salman so weit bringen, dass er aussagt.«

»Wir holen ihn heute noch her, aber ich glaube, dass es schwer werden wird, ihn als Zeugen zu gewinnen, er hat zu viel Angst … er fürchtet sich so, dass er kurz davor war, sich das Leben zu nehmen«, sagt Joona.

»Aber wenn wir Raphael Guidi fassen, traut er sich vielleicht zu reden. Wenn sich die Lage beruhigt, meine ich«, bemerkt Saga.

»Wir können jemanden wie Raphael Guidi nicht einfach so verhaften, ohne irgendwelche Beweise oder Zeugen zu haben«, sagt Carlos mit Nachdruck.

»Und was zum Teufel sollen wir tun?«, fragt Saga.

»Wir setzen Pontus Salman unter Druck, das ist alles, was wir im Moment tun können …«

»Aber ich glaube, dass Axel Riessen in Gefahr ist«, sagt Joona. »Wir haben nicht die Zeit, um …«

Alle drei verstummen und schauen zur Tür, als Oberstaatsanwalt Jens Svanehjälm den Raum betritt.

97

Die Flucht

Die Klimaanlage hat für Kühle im Auto gesorgt. Pontus Salman merkt, dass seine Hände auf dem Lenkrad zittern. Er ist bereits mitten auf der Lidingö-Brücke. Eine Finnlandfähre legt von ihrem Kaiplatz ab, und hinter dem Kunstmuseum Millesgården verbrennt jemand Laub.

Nur zwei Stunden zuvor saß er in seinem kleinen Ruderboot und probierte, sich den Lauf einer Schrotflinte in den Mund zu stecken. Er hat den Metallgeschmack noch als Furcht einflößende Erinnerung im Mund, genau wie das reibende Geräusch an den Zähnen.

Eine Frau mit abstehenden Haaren war mit dem Kriminalkommissar zum Steg hinuntergekommen und hatte ihm zugerufen, er solle zurückkommen. Es sah aus, als hätte sie ihm etwas Wichtiges mitzuteilen. Sie war um die vierzig, hatte eine bläulich schimmernde Punkfrisur und roten Lippenstift.

Als er ihr in einem kleinen grauen Zimmer gegenübersaß, erfuhr er, dass sie Gunilla Petrén hieß und Psychologin war.

Sie hatte sich mit ihm ernst und streng über das Gewehr und seine Absichten draußen auf dem See unterhalten.

»Warum wollten Sie sterben, Herr Salman?«, hatte Gunilla Petrén ihn gefragt.

»Das will ich nicht«, hatte er ihr wahrheitsgemäß geantwortet.

Es war still geworden in dem kleinen Behandlungszimmer. Dann sprachen sie weiter und er hatte ihre Fragen beantwortet und war dabei mehr und mehr zu der Überzeugung gelangt, dass er nicht sterben, sondern viel eher fliehen wollte, sodass er begann, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, irgendwohin zu reisen, einfach zu verschwinden und unter anderer Identität ein völlig neues Leben anzufangen.

Inzwischen hat er die Brücke hinter sich gelassen. Pontus Salman schaut auf seine Armbanduhr und spürt, wie erleichtert er ist.

Mittlerweile muss Veroniques Maschine den schwedischen Luftraum verlassen haben.

Er hat mit ihr über Französisch-Polynesien gesprochen und sieht sie vor sich, wie sie mit einer hellblauen Stofftasche in der Hand und einem breitkrempigen Hut, den sie wegen des Windes festhalten muss, das Flughafengebäude verlässt.

Warum sollte er nicht auch entkommen können?

Er muss nur noch kurz zum Haus zurückfahren und seinen Pass aus der Schreibtischschublade holen.

Ich will nicht sterben, denkt Pontus Salman und sieht den Verkehr vorbeirauschen.

Er war auf den See hinausgerudert, um vor seinem Albtraum zu fliehen, war aber nicht fähig gewesen, auf sich selbst zu schießen.

Ich nehme den erstbesten Flug, denkt er. Ich könnte nach Island, Japan oder Brasilien fliegen. Hätte Raphael Guidi mich wirklich umbringen wollen, wäre ich jetzt mit Sicherheit nicht mehr am Leben.

Pontus Salman biegt in die Garagenauffahrt vor seinem Haus und verlässt den Wagen. Der Duft von sonnenwarmem Asphalt, Abgasen und Pflanzen steigt ihm in die Nase.

Die Straße ist menschenleer, die Anwohner arbeiten, und die Kinder des Viertels müssen bis zu den Sommerferien noch einige Tage zur Schule gehen.

Pontus Salman schließt die Tür auf und tritt ein. Es ist dunkel im Haus, die Jalousien sind heruntergelassen.

Sein Pass liegt im Arbeitszimmer, und er geht die Treppe hinunter. In der unteren Etage hält er mitten in einer Bewegung inne, lauscht und hört ein seltsam schlurfendes Geräusch, wie von einer nasse Decke, die über einen gekachelten Fußboden geschleift wird.

»Veronique?«, fragt er mit einer Stimme, die kaum trägt.

Pontus Salman sieht das ruhige Licht des Pools auf den weißen Steinwänden schaukeln. Langsam und mit pochendem Herzen geht er darauf zu.

98

Der Staatsanwalt

Oberstaatsanwalt Jens Svanehjälm begrüßt Saga Bauer, Joona Linna und Carlos Eliasson und setzt sich. Das von Anja Larsson beschaffte Material liegt vor ihm auf dem flachen Tisch. Svanehjälm trinkt einen Schluck von seinem Sojakaffee, wirft einen Blick auf das oberste Bild und wendet sich an Carlos.

»Es dürfte euch schwerfallen, mich zu überzeugen«, sagt er.

»Es wird uns schon gelingen«, erwidert Joona lächelnd.

»Make my day«, sagt der Staatsanwalt.

Svanehjälms schlanker Hals ohne erkennbaren Adamsapfel und seine schmalen, abfallenden Schultern unter dem gut sitzenden Anzug verstärken den Eindruck von einem Jungen, der sich als Erwachsener verkleidet hat.

»Die Sache ist einigermaßen kompliziert«, beginnt Saga. »Wir glauben, dass Axel Riessen, der Generaldirektor der Staatlichen Waffenkontrollbehörde, entführt worden ist und dies mit den Ereignissen der letzten Tage zusammenhängt.«

Sie verstummt, als Carlos’ Telefon klingelt.

»Entschuldigt bitte, ich dachte eigentlich, ich hätte Bescheid gesagt, dass wir nicht gestört werden wollen«, sagt er, greift nach dem Apparat und meldet sich. »Ja, Carlos Eliasson …«

Er hört zu, wird rot, murmelt, dass er versteht, bedankt sich für das Gespräch und legt den Hörer auf.

»Ich bitte um Entschuldigung«, sagt Carlos.

»Kein Problem«, erwidert Jens Svanehjälm.

»Nein, ich wollte sagen, dass ich mich dafür entschuldige, dich mit dieser Besprechung behelligt zu haben«, verdeutlicht Carlos. »Das war Axel Riessens Sekretärin bei der Kontrollbehörde, ich hatte mich mit ihr in Verbindung gesetzt … Und sie hat soeben mit Axel Riessen gesprochen.«

»Was hat sie gesagt – ist er gekidnappt worden?«, fragt Svanehjälm lächelnd.

»Er befindet sich auf Raphael Guidis Jacht, um die letzten Fragen zu der Ausfuhrgenehmigung zu klären.«

Joona und Saga werfen sich einen kurzen Blick zu.

»Seid ihr mit dieser Antwort zufrieden?«, erkundigt sich der Staatsanwalt.

»Axel Riessen hat offenbar eine Unterredung mit Raphael Guidi verlangt«, sagt Carlos.

»Er hätte mit uns sprechen müssen«, meint Saga.

»Laut seiner Sekretärin haben die Beteiligten auf Guidis Jacht den ganzen Tag in einer Besprechung zusammengesessen, um die letzten Details in einer Angelegenheit zu klären, die sich in die Länge gezogen hat. Sie sagt, Axel Riessen rechne damit, der Kontrollbehörde noch heute Abend seine Unterschrift faxen zu können.«